Labormaus in Käfig
Zahlreiche Mäuse und Ratten sterben Jahr für Jahr in Österreichs Laboren. Tierschützer versuchen zumindest einigen davon einen schöneren Lebensabend zu ermöglichen.
Christian Fischer/ foto@fischerfoto.com

"Die meisten Menschen stört an Ratten der lange Schwanz", sagt Michaela Trauer, während sie mit beiden Händen eine weiße Ratte an ihre Wange hält. Trauer ist in Tierschützerkreisen als Rattenkoryphäe bekannt. Sie weiß genau, welches Futter, welche Stoffe und Lichtverhältnisse die Ratten vertragen. "Die Leute denken, Ratten fressen nur Müll. Dabei ist das Gegenteil der Fall, man muss also schauen, was sie bekommen. Obst gibt es für sie nur zweimal im Jahr."

Die Albinoratte, die Trauer hält, kommt aus einer Labortierzucht der Medizinischen Universität Wien und ist ein Zuchtweibchen. Nach fünf Würfen hat die Laborratte ausgedient. Sie hatte Glück, an ihr selbst wurden keine Versuche durchgeführt. Und sie bekommt nach ihrer Zeit als Zuchttier mit zweien ihrer Babys eine neue Chance.

Trauer bringt seit mehr als zehn Jahren Katzen, Ratten, Hamster, Meerschweinchen, Mäuse und Kaninchen aus Tierversuchslaboren zu Privatbesitzern. Über ihren Verein My Second Life fuhr Trauer einige Ratten sogar bis ins norddeutsche Kiel. Laut Angaben der Med-Uni kommen circa 500 Mäuse und 200 Ratten aus den eigenen Laboren bei Tierliebhaberinnen und Tierliebhabern unter.

Überzählige Tiere

Über eine Facebook-Gruppe lernte Trauer vor 13 Jahren Astrid Fabry kennen. Damals versuchte Fabry Meerschweinchen aus einem Ausbildungskurs an der Veterinärmedizinischen Uni in Wien bei Freunden und Verwandten unterzubringen. Mittlerweile ist sie bei der Med-Uni angestellt und vermittelt Tiere aus der Labortierzucht und -haltung ganz offiziell.

Sind Tiere aus der Zucht überschüssig, prüft Fabry ihre Gruppen auf Instagram, Facebook oder Whatsapp auf Interessenten. Überzählige Vierbeiner gibt es zum Beispiel, wenn eine Studie Männchen untersucht, aber mehr Weibchen vorhanden sind.

Astrid Fabry und Michaela Trauer nebeneinander mit Nagetierkäfigen in der Hand.
Astrid Fabry (links) und Michaela Trauer (rechts) engagieren sich seit Jahren gemeinsam für Labortiere.
Christian Fischer/ foto@fischerfoto.com

Seit Jahren engagieren sich Fabry und Trauer dafür, dass so viele Tiere wie möglich nach ihrer Zeit im Labor weiterleben. Als Aufwandsentschädigung akzeptiert Trauer von neuen Besitzern nur ein Sprit- und Kilometergeld – ein "Nullsummenspiel", wie sie sagt. Diesmal nimmt sie insgesamt 15 Mäuse und zwölf Ratten in ihrem in die Jahre gekommenen VW Golf mit – auf dessen Rückscheibe prangen Sticker von My Second Life. Bevor die Nager zu ihren künftigen Besitzern in Oberösterreich kommen, behält Trauer die "Laboris", wie sie sie nennt, einen Monat zum Übergang. Bei ihr lernen sie neue Lichtverhältnisse, Temperaturen und Geräusche kennen. Auch ihr Immunsystem muss sich an die Umgebung mit Keimen gewöhnen.

Anzeige durch Tierschutz Austria

Allerdings haben viele Labortiere nicht das Glück, ein zweites Zuhause zu finden. Die meisten werden getötet. Für die Tötung von Labortieren sieht das Tierversuchsgesetz vor, dass sie "nur unter geringstmöglichen Schmerzen, Leiden und Ängsten getötet werden". Tierschutzverbände klagen aber, dass diese Regeln nicht immer eingehalten werden. 2020 erstattete der Tierschutz Austria gegen das Biomedizinische Forschungsinstitut der Med-Uni eine Anzeige. Der Grund: Laut der Tierschutzorganisation sind mindestens 100 Mäuse verhungert oder verdurstet. Die Tiere seien nicht angemessen versorgt worden. Nach Ermittlungen kam es zu einer Strafanklage gegen eine Tierpflegerin der MedUni Wien.

Fabry spricht dabei von einem Einzelfall. Zudem betont sie, dass diesbezüglich Maßnahmen in der Verwaltung getroffen worden seien. Der Leiter des Zentrums für Biomedizinische Forschung, Bruno Podesser, sagte dem STANDARD, dass das Vieraugenprinzip im geschlossenen Bereich der Mauszucht aufgrund der Corona-Pandemie teilweise außer Kraft war. Die Verfehlungen einer Mitarbeiterin seien ein harter Schlag für das Forschungszentrum gewesen. Man habe die verantwortliche Tierpflegerin entlassen. Es folgten interne Diskussionen, externe Experten wurden beigezogen. Zudem wurde die Labortierzucht laut Podesser von der experimentellen Forschung getrennt.

Stephan Scheidl ist Tierpfleger bei Tierschutz Austria. Der Freispruch der Tierpflegerin nach dem Verfahren frustriert ihn. Das Tierversuchsgesetz besagt, dass der Tod "als Endpunkt eines Tierversuchs möglichst zu vermeiden" ist. Scheidl beklagt, dass es in der Labortierzucht nur selten Kontrollen gebe, um dies einzuhalten. Der qualvolle Tod der Mäuse sei ein Symptom für ein institutionelles Problem.

Forschung an Schweinen

Trotz der Anzeige beherbergt der Tierschutz Austria in Vösendorf im Speckgürtel Wiens zahlreiche Mäuse und Ratten, die von der Med-Uni Wien kommen. Sie an Besitzer zu vermitteln gehe schnell, meint Scheidl. Viele Menschen schätzen, dass die Nager aus Laboren durch Versuche bereits an Menschen gewöhnt sind. Anders sieht es da bei den Rhesusaffen oder Schweinen aus, die invasive Versuche hinter sich haben.

Kunekune-Schwein blickt in die Kamera.
Am Kunekune-Schwein Kevin wurden Materialverträglichkeit sowie Operationstechniken erforscht.
Tierschutz Austria

Zwei davon stellt er vor: "Hier wohnen Thekla und Kevin", sagt Scheidl im Gehege der Kunekune-Schweine und wirft Erdnüsse vor ihnen auf den Boden. An den Schilddrüsen der Schweine brachten Forschende der Med-Uni Apparaturen an, um bestimmte Nerven zu stimulieren. So sollen die Schweine auch nach einer Schädigung jener Nerven wieder Laute äußern können. Von den Erkenntnissen der Forschung sollen Menschen profitieren, die nach einem Eingriff an der Schilddrüse ihre Stimme verloren haben. "Tierschutz Austria setzt sich gegen Tierversuche ein. Zum jetzigen Zeitpunkt sämtliche Tierversuche abzudrehen ist aber vermutlich unrealistisch", sagt Scheidl. Alternativmethoden seien, so der Tierpfleger, noch nicht ausgereift genug.

Bewusstsein für Versuchstiere

Die steigende Zahl der Versuchstiere sieht er kritisch. Sie ist in Österreich von 206.469 im Jahr 2020 auf 218.244 im Jahr 2021 gestiegen. Dass nur wenige davon gerettet werden könnten, sei schmerzlich. Die Tiervermittlung zeige dennoch Wirkung, da sie auch für mehr Bewusstsein für Versuchstiere sorge. Aufzugeben sei ohnehin keine Alternative. "Man muss es versuchen – selbst wenn nur zwei Schweine von hunderten gerettet werden können."

Zehntausende Mäuse und Ratten sterben Jahr für Jahr in Österreichs Laboren. Tierschützer wollen das nicht hinnehmen und versuchen zumindest einigen davon einen schöneren Lebensabend zu ermöglichen. (Isadora Wallnöfer, 11.6.2023)