Den Erfolg Donald Trumps könnte man auch als Spätfolge der Finanzkrise von 2008 sehen. Damals wurden die Weichen für den Siegeszug des Populismus gestellt.
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Populismus schadet der Wirtschaftsleistung: Das zeigt der Ökonom und Politologe Massimo Morelli in seinen Forschungen, die er kürzlich in einem Vortrag an der Central European University in Wien vorstellte. Ein Ausgangspunkt des aktuellen Populismustrends liege in der Finanzkrise von 2008.

STANDARD: Sie zeigen, dass populistische Politik starken Einfluss auf die Wirtschaftsleistung einer Gesellschaft hat. In welcher Weise?

Morelli: Eine typische populistische Politik bezieht sich auf Wahlversprechen, mit denen beispielsweise gegen Migration, für höheres Einkommen oder den Schutz einer Identität eingetreten wird. Eine Politik allein auf Versprechungen aufzubauen hat aber Folgen. Denn wenn es darum geht, eine Krise zu meistern, muss die politische Strategie angepasst werden. Bei den populistischen Parteien gibt es aber die Tendenz, weiter die ursprünglichen Ansätze zu verfolgen. In Trumps US-Präsidentschaft war der Verweis auf "gemachte Versprechen" allgegenwärtig. Diese Strategie wird zum Störfaktor im politischen Prozess.

STANDARD: Mit welchen Folgen?

Morelli: Die direkten Folgen konnten wir anhand von Daten aus Italien zeigen: Wenn Populisten in Städten gewählt werden, tendieren sie dazu, viel mehr Kostenüberschreitungen zu verursachen. Das fiskale Management ist gewöhnlich viel schlechter. Noch viel schlimmer ist, dass sie die Experten an der Spitze der öffentlichen Verwaltung ersetzen, um Hindernisse für ihre Agenda aus dem Weg zu räumen. Trump hat in seiner Rede zur Kandidatur von 2024 angekündigt, dass er die Verwaltungsexperten feuern möchte. Für Italien konnten wir belegen, dass die Qualitätseinbußen in der Bürokratie durch die Populisten enorm sind. Das ist der Ursprung der ökonomischen Leistungseinbußen, die wir zeigen konnten.

STANDARD: Können die Veränderungen nach der Abwahl wieder rückgängig gemacht werden?

Morelli: Es besteht die Gefahr langfristiger Konsequenzen. Die Verschärfung der sozialen und politischen Polarisierung, die Trump herbeigeführt hat, hat andauernde Auswirkungen auf die Gesellschaft, aber auch auf die Bürokratie. Die Populisten im Amt verursachen also unmittelbare und direkte Kosten für die öffentliche Verwaltung, aber auch indirekte und längerfristige Auswirkungen auf einen nachhaltig gut funktionierenden Staat.

STANDARD: Warum funktioniert gerade Migration so gut als populistisches Thema?

Morelli: Die Versprechungen zum Schutz der Identität sind erfolgreicher, weil sie kaum ein Budget benötigen. Es ist viel billiger, Grenzen zu schließen, als ein Grundeinkommen zu garantieren, wie es linke Populisten machen. Das ist der stärkste Grund für das Florieren des Rechtspopulismus in Europa.

STANDARD: Mit welchen Strategien kann man dem entgegenwirken und den Aufstieg der Populisten verhindern?

Morelli: Eine wesentliche Strategie im Wahlkampf von Populisten ist es, auf Krisen zu setzen, um die Schuld auf Ausländer, China oder einen anderen externen Faktor zu schieben. Zum Teil wurde die antielitäre Rhetorik auch auf eine Anti-Europa-Kampagne übertragen. Die Antwort sollte daher in der Etablierung einer antinationalistischen, langfristig orientierten Politik sein. Globale Herausforderungen wie Krieg und Klimawandel eignen sich nicht für eine nationalistische Antwort. Man muss auf das Scheitern dieser Strategien verweisen und etwa auf gute Initiativen der europäischen Institutionen setzen.

STANDARD: Kann der Populismus-Trend so wirklich gebrochen werden?

Morelli: Auf nationaler Ebene besteht das Risiko, dass sich die Situation weiter verschlimmert. Populismus polarisiert die Gesellschaft und führt zu illiberalen Reformen. Europas Institutionen haben eine Gelegenheit zu zeigen, wie man von mehr gemeinsamer Politik profitieren kann – beispielsweise durch gemeinsame Kapitalbesteuerung, um den Steuerwettbewerb der Staaten zu vermeiden. Das würde den einzelnen Nationen Freiraum geben, die Lohn- und Einkommenssteuern zu reduzieren. Die Schwächung der Demokratie auf nationalem Level könnte durch eine Stärkung der Demokratie auf europäischer Ebene rückgängig gemacht werden.

Massimo Morelli: "Populisten tendieren dazu, viel mehr Kostenüberschreitungen zu verursachen."
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STANDARD: Sie haben auch untersucht, wie die Finanzkrise die Politik verändert hat. Mit welchem Ergebnis?

Morelli: Die Finanzkrise von 2008 wurde zu einer starken Ursache für Populismus. Andere Forschende thematisierten bereits die Rolle der Globalisierungsbewegung Anfang der 2000er mit dem einhergehenden Ruf nach Protektionismus im Produktionssektor. Die Populisten wendeten sich an die Arbeiter, die Angst vor Globalisierung und Immigration hatten. Die Finanzkrise hat die Desillusionierung auch auf die Mittelschicht erweitert. Es wurden weniger Kredite vergeben, man hatte weniger Möglichkeit für sozialen Aufstieg. Als die Mittelschicht anfällig für das Misstrauen wurde, erweiterte sich auch der "fishing pool" der Populisten – so weit, dass sie die Politk in westlichen Gesellschaften verändern konnten.

STANDARD: Wie wirken sich die Effekte der Finanzkrise langfristig aus?

Morelli: Die Finanzkrise war der Startpunkt für eine Reihe von Teufelskreisläufen, die den Populismustrend am Laufen halten. Sie betreffen die Immigration, die Verschlechterung der Verwaltung und die Polarisierung der Gesellschaft. Werden Populisten abgelöst und gibt es wieder liberalere Reformen, entsteht eine neue Polarisierung. Die Regierenden möchten aber die Chancen der Opposition schmälern und nähern sich deren Positionen an.

STANDARD: Russland unterstützte vor dem Ukrainekrieg populistische Parteien in Europa. Welche Lehren sollten wir daraus ziehen?

Morelli: Die Strategie Russlands war, Europa damit zu schwächen. Nachdem diese Parteien dazu tendieren, europakritisch zu sein, nahm man an, dass die Unterstützung generell im Interesse Russlands sei. Ich bezweifle, dass russische Politiker an einzelnen Vorhaben von Parteien interessiert waren. Es ging darum, ein Erstarken Europas zu verhindern. Deshalb sollten wir ein Europa mit einer gemeinsamen Verteidigung anstreben und unsere Fähigkeiten stärken, gegen externe Bedrohungen aufzutreten und Krisen besser zu bewältigen. (Alois Pumhösel, 3.6.2023)