Fernsehen
In der guten alten Zeit gab es bereits Hightech-Entwicklungen.
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Ende der 1960er erlebte ich zu Hause einen technologischen Paradigmenwechsel: Die Eltern hatten einen Fernseher gekauft! Er wurde an exponierter Stelle im Wohnzimmer aufgepflanzt, auf dass das große Glotzen beginnen konnte.

Wir waren beim Fernsehen keine Early Adopter, sondern Nachzügler. Jetzt aber gab es das Hightech-Trumm endlich auch bei uns. Bei Einschalten galt es in einer streng einzuhaltenden zeitlichen Distanz von fünf Minuten zwei Knöpfe zu drücken. Der erste brachte die Bildröhre zum Vorglühen, der zweite setzte das Gerät endgültig in Gang.

Fernsehen war nicht unproblematisch. Man musste die Kinder (auch mich) vor bösen Inhalten schützen. Hierfür las man die Hinweise in TV Hören und Sehen ("Für Kinder nicht geeignet", und, der ganz harte Stoff, "Für Jugendliche nicht geeignet"). Ich erinnere mich, dass der Verkäufer bei der Lieferung des Geräts ernsthaft warnte: Nie dürfte man aus einer Entfernung von weniger als fünf Metern fernsehen, sonst drohten Augenschäden, ja Erblindung.

Überraschung!

Das war natürlich ein Schmarren, Fake News. Aber selbst diese groteske Technikfolgenabschätzung wirkt rührend, wenn man liest, was der General Surgeon Vivek Murthy kürzlich der US-Öffentlichkeit mitteilte: Social Media brächten schwere Risiken für die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen mit sich!

Na, so eine Überraschung aber auch! Wer hätte gedacht, eine Technologie könne schädlich sein, die mit Aufhuss-Algorithmen nicht geizt und auch unseren ganz Kleinen einen niederschwelligen Zugang zu allen Scheußlichkeiten der Welt ermöglicht. Es gibt Videos von einer Kinderleiche nach einem Schussattentat in Texas (wie neulich auf Twitter), idiotische oder gefährliche "Challenges" (wie ständig auf Tiktok) und natürlich die Gelegenheit, irgendwen zu mobben und zu dissen oder selbst gemobbt oder gedisst zu werden. Da kann manchmal schon etwas Depression aufkommen.

Deshalb bittet Herr Murthy die "Social Media"-Betreiber, ihre Misttrücherln gründlicher auszuputzen, was diese, so wie man sie kennt, sich sicher zu Herzen nehmen werden. Die Familien aber sollten "Mediapläne" erstellen, also vermutlich "John: Instagram von sechs bis halb acht; Jane: Tiktok von acht bis neun". Das wird gewiss etwas bringen. Nur erst am Tag, an dem die Hölle zufriert. (Christoph Winder, 2.6.2023)