Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) könnte sich ganz erheblich auf Wertsicherungsklauseln in Mietverträgen auswirken – und zwar auch rückwirkend. Manche Wohnrechtsexperten sprechen hinter vorgehaltener Hand von einer "Bombe", die da auf Vermieterinnen und Vermieter zukommen könnte. Andere sind vorsichtiger und plädieren dafür, erst mal abzuwarten.

Die Mieten sind in der Regel an die Inflation gekoppelt.
Getty Images/iStockphoto

Doch der Reihe nach: In einem Verbandsverfahren, das die Arbeiterkammer angestrengt hatte, musste sich der OGH kürzlich mit Klauseln in Vertragsformblättern eines Vermieters beschäftigen, darunter auch die Wertsicherungsklausel. In dem beanstandeten Mietvertrag hieß es, der Mietzins werde wertangepasst analog zum Verbraucherpreisindex (VPI) – oder, falls der VPI nicht verlautbart werden sollte, "auf jenen Index, der diesem am meisten entspricht".

Sowohl das Oberlandesgericht Wien als auch der Oberste Gerichtshof entschieden, dass diese Klausel den Anforderungen des Konsumentenschutzgesetzes (KSchG) nicht entspricht. Es bleibe "letztlich vollkommen unklar, welcher Wertmesser für die Preisanpassung bei Wegfall" des VPI zur Anwendung kommen solle, was eine Verletzung des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG darstelle. Diese Norm bestimmt unter anderem, dass jegliche Entgelterhöhung im Vertrag genau umschrieben sein muss, um den Verbraucher vor überraschenden Preiserhöhungen zu schützen. Ebenso erwähnt das OLG das sogenannte Transparenzgebot des 6 Abs 3 KschG. Die Revision des Vermieters wurde zurückgewiesen.

Klausel widerspricht Konsumentenschutzgesetz

Doch der OGH stellte quasi "nebenbei" auch etwas fest, zu dem er sich eigentlich gar nicht äußern hätte müssen: Dass nämlich "im Übrigen" diese Klausel auch dem Paragraph 6 Abs 2 Z 4 des Konsumentenschutzgesetzes widerspreche. In diesem heißt es, dass eine Vertragsbestimmung, die es einem Unternehmer erlaubt, innerhalb der ersten beiden Monate nach der Vertragsschließung das Entgelt zu erhöhen, für Konsumentinnen und Konsumenten nicht verbindlich ist. Eine Ausnahme davon gibt es nur, wenn der Unternehmer beweisen kann, dass die Klausel im Einzelnen mit dem Verbraucher ausgehandelt worden ist – praktisch wohl meist ein Ding der Unmöglichkeit.

Und dass in Mietverträgen schon von Vornherein ausgeschlossen wird, dass es in den ersten beiden Monaten zu keiner Erhöhung des Mietzinses kommen kann, kommt praktisch nie vor. "Diese Bestimmung des KSchG hatte niemand auf dem Schirm", sagt der Wohnrechtsexperte Christoph Kothbauer dazu. Er kann sich nicht erinnern, schon jemals einen Mietvertrag gesehen zu haben, in dem dies geregelt ist.

Kothbauer ist einerseits schon sehr gespannt auf die "juristische Diskussion" dazu. Andererseits werde es natürlich "äußerst spannend, ob dieser Spruch sich dann auch in einem Individualverfahren vor dem OGH durchsetzt."

Hunderttausende Wertsicherungen ungültig?

Anders als bei einer Verbandsklage gäbe es in einem Individualverfahren für den OGH "kein Gebot der Auslegung im konsumentenfeindlichsten Sinn", erklärt Kothbauer. Dennoch besteht auch für ihn die "Gefahr", dass als Folge dieser Entscheidung in möglicherweise Hunderttausenden Mietverträgen die Wertsicherungsklausel für ungültig erklärt wird – und zwar auch rückwirkend, unter Umständen sogar für längst beendete Mietverträge. Ganz ähnlich hatte sich auch der Innsbrucker Zivilrechtsprofessor Andreas Vonkilch zuvor bereits in der "Presse" geäußert.

Einschränkungen gibt es: Das Konsumentenschutzgesetz gilt nur im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern – demnach findet es nur bei Mietverträgen zwischen "großen" Vermietern, also Gesellschaften oder Privaten mit mehreren Wohnungen, Anwendung. Wer als Privatperson eine oder ein paar wenige Wohnungen vermietet, ist davon nicht betroffen.

EuGH entschied für Konsumenten

Aber warum können derartige Klauseln nicht, wie sonst im Zivilrecht üblich, ersetzt, die Lücken im Vertrag also ausgefüllt werden? Hier kommt der Europäische Gerichtshof (EuGH) ins Spiel. Er hat zuletzt in mehreren Fällen entschieden, dass missbräuchliche Klauseln, die für nichtig erklärt werden, nicht ohne weiteres ersetzt werden können. Grundsätzlich kommt im Zivilrecht dafür zunächst die ergänzende Vertragsauslegung in Frage. Dabei versucht man herauszufinden, was die Parteien vereinbart hätten, hätten sie von der nunmehr entstanden Lücke gewusst. Wenn die Lücke so auch nicht "repariert" werden kann, kommt dispositives Recht zur Anwendung, also jene Rechtsvorschriften, die nicht geregelte Fragen klären sollen, aber auch abbedungen werden können. 

Zwischen Verbrauchern und Unternehmern ist das laut EuGH aber nicht so einfach möglich. "Die Judikatur bezweifelt, dass man Klauseln, die aufgehoben werden, in solchen Fällen durch erweiterte Vertragsauslegung oder durch dispositives Recht ergänzen kann. Das ist das Problem", sagt Martin Spitzer zum STANDARD. Der Zivilrechtler von der Wirtschaftsuniversität erklärt: Die Klausel könnte nach dieser Rechtsprechung nur ersetzt werden, wenn der Vertrag ansonsten gar nicht weiter existieren könnte und das für den Verbraucher nachteilig wäre. Ein Wegfall der Mietzinsanpassung gleicht aber für die Mieterin eher einem Lottogewinn. 

Das könnte, laut Vonkilch, weitergedacht dazu führen, dass die Wertsicherungsklauseln Tausender Mietverträge in Österreich damit ersatzlos gestrichen werden könnten. Und da Mietverträge aufgrund von Mieterschutznormen in der Regel nicht ohne Weiteres von Vermieterinnen oder Vermietern aufgekündigt werden, könnten diese längerfristig in einem Vertrag ohne Wertsicherung gebunden sein.

Christiane Wendehorst, Professorin für Zivilrecht an der Uni Wien, sieht die Rechtsprechung des EuGH kritisch. "Das ist in gewisser Weise katastrophal", sagt die Professorin im Gespräch mit dem STANDARD. Aus zivilrechtlicher Sicht könne man die Judikatur als systemwidrig bezeichnen. "Aber der EuGH denkt nicht primär zivilrechtlich", sagt Wendehorst. Für den Gerichtshof stehe im Vordergrund, Sanktionen für missbräuchliche Vertragsbestandteile durchzusetzen – und zwar "leider ohne Rücksicht auf das Gebot der Verhältnismäßigkeit", wie Wendehorst erklärt.

Abwarten ist angesagt

So wie Kothbauer gibt auch Spitzer zu bedenken, dass Gewissheit erst vom OGH und möglicherweise einer neuerlichen Anrufung des EuGH zu erlangen ist. "Da der OGH sich in diesem konkreten Verfahren auf die Intransparenz gestützt hat und das Klauselverbot nur nebenbei erwähnt hat, kann man aus Vermietersicht natürlich noch hoffen, dass es bei einer transparenten Formulierung bei der nächsten Entscheidung doch anders ausgehen würde", sagt Wendehorst.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Doch allein, dass das OLG die infrage stehende Anpassungsklausel aufgehoben hat, weil der Verweis auf einen Index, der dem VPI "am meisten entspricht", zu unklar ist, könne enorme Auswirkungen haben, erklärt die Zivilrechtlerin. "Ich traue mir da keinerlei sichere Prognose zu." Es gebe aber wohl jedenfalls "zigtausende, vielleicht hunderttausende" Mietverträge, wo es aufgrund der Intransparenz zu Problemen kommen könnte. (Martin Putschögl, Levin Wotke, 8.6.2023)