Neusiedler See ohne Wasser
ORF-Visualisierung für einen Neusiedler See ohne Wasser
ORF/BFILM

Der Grant ist groß im Burgenland über die Ausgabe von "Dok 1" über "Neusiedl ohne See". Auf dem jungen Dokusendeplatz von Protagonist Hanno Settele lief am Mittwoch erstmals eine Mockumentary, laut ORF ein "filmisch-satirisches Gedankenexperiment: Was passiert wirklich, wenn der See austrocknet? Was geschieht mit der regionalen Wirtschaft, dem Tourismus und vor allem mit den Menschen, wenn das Wasser weiter vor sich hin verdunstet?" 

Was wirklich passiert, wenn der ORF eine Doku als Mockumentary anlegt, zeigte das Burgenland recht prompt: Burgenland Tourismus-Direktor Didi Tunkel schrieb ORF-Generaldirektor Roland Weißmann und Hanno Settele einen offenen Protestbrief von einer beginnenden "Storno-Welle" aufgrund der "dystopisch künstlich gestalteten Bilderwelten einer schwarzgemalten 'falschen Realität'". Damit würden "gerade Arbeitsplätze und Existenzen vernichtet".

  • Update: ORF-Sendungsverantwortlicher Hanno Settele weist die Kritik aus dem Burgenland verwundert zurück: "Neusiedl am See" sei als Satire ausgeschildert, es gebe bei diesen "grotesken" bis "absurden" Szenen keine "Verwechslungsmöglichkeit mit der Realität". Setteles Konter finden Sie unter diesem Link.

"Abgehobener" ORF

Der STANDARD war Freitag um den Neusiedler See unterwegs. Das Bild: Die Aufregung ist groß.

Am Ostufer sagt ein Gastronom, der sich nicht zu erkennen geben will: "Die Bilder vom ausgetrockneten See werden in den Köpfen der Menschen bleiben und wer geplant hatte, im Sommer hier Urlaub zu machen, wird es sich nun vielleicht überlegen, herzufahren." Das sei nicht nur für Menschen, die im Tourismus arbeiten, ein Problem, da hängen ja auch viele andere Branchen dran, erklärt er. Und er versteht nicht, dass man dafür – das Wort das er statt "dafür" verwendet hat, soll an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden – nun verpflichtende Gebühren zahlen soll.

"Ich habe es im Fernsehen gesehen", sagte eine ältere Dame aus Deutschland, die mit ihrem Mann einige Tage Radurlaub in Mörbisch macht. "Wir haben davor gar nicht gewusst, dass man hier Angst hat, dass der See austrocknet." Sie versteht nicht, dass man von einer so schönen Gegend ein Szenario zeichnet, von dem sie als Gast hier gar nichts mitbekommt. Auf der Fahrradfähre, die kurz darauf von Mörbisch in Richtung Illmitz ablegte, wollte niemand etwas zu dem Thema sagen. Aber nach der Frage, ob jemand die Sendung gesehen hätte und seine Meinung teilen will, war die Stimmung sichtlich angespannt.

"Ein abgehobener Verein", nennt ein Burgenländer, der auch nicht genannt werden möchte, den ORF, "der uns in den Rücken fällt und unser Land schlecht macht. Das war keine Satire, das war einfach nur peinlich und schlecht. Das Schlimmste ist aber, dass das jetzt nicht der ORF, sondern das Burgenland ausbaden muss."

"Weltuntergangs-Utopie"

Burgenland-Tourismus-Direktor Tunkel schreibt dem ORF-General und dem Presenter Settele: "Bei uns und in anderen Tourismusbüros und Betrieben rund um den See rufen verunsicherte Menschen an und schenken teilweise den Darstellungen der Realität – nämlich dass der See genügend Wasser hat (heuer einen leicht höheren Wasserstand als im letzten Jahr) – keinen Glauben mehr, denn die Macht der Bilder, die Sie mit Ihrem Beitrag geschaffen haben, bleiben offenbar gespeichert. Ganz abgesehen von einer Storno-Welle, die eingesetzt hat, denn dass in einer von Ihnen entworfenen Weltuntergangs-Utopie niemand mehr Urlaub machen will, ist nachvollziehbar."

Visualisierung für ORF-Mockumentary
Mole ohne See - Visualisierung für ORF-Mockumentary "Neusiedl ohne See"
ORF

"Herr Settele, Sie waren ja selbst am See. Es stimmt, es ist weniger Wasser im See, allerdings etwas mehr als im Vorjahr zur selben Zeit. Es gibt viele Szenarien, Modelle und Tendenzen, das ist uns allen bewusst, da wird auch nichts beschönigt und die Klima-Krise ist weltweit allgegenwärtig und stellt uns alle vor massive Herausforderungen", beschwert sich Tunkel: "Aber wenn wir die 'Jetzt-Zeit' damit so unterminieren, dass Gäste den See meiden, haben wir damit auch nichts gewonnen und eine Region leidet, ich nehme an, dass das nicht Ihre Intention hinter diesem Beitrag war." Tunkel bittet, "diese Fiktion in der Berichterstattung des ORF so nicht stehen zu lassen und um dringende Kontaktaufnahme".

"Mission Accomplished"

Möglicherweise haben Sie "Dok 1" über "Neusiedl ohne See" nicht bis zum Schluss gesehen. "Mission Accomplished" twitterte Hanno Settele Freitagfrüh.

Satire mit Auflösung

Die "Dok 1"-Folge zeigt Visualisierungen eines ausgetrockneten Sees und eines vorgeblich geplanten Fußballstadions an seiner Stelle. Ein Fischer, der vorgeblich auf Lama-Wanderungen umgesattelt hat – "Kamele statt Karpfen". Seeanwohner "Waterloo", der sich mangels Water nur noch "Loo" nennt, singt ein Protestlied Setteles gegen die Entwässerung und für Regen – der prompt auf die "We are the World"-Adaption "Wo ist der See, wo ist er geblieben" tatsächlich fällt.

Hanno Settele
"Ganz im Ernst" löst Hanno Settele am Schluss von "Dok 1" die Satire auf.
ORF

Am Ende der Sendung blickt Settele im Regen auf einen Neusiedler See, der die Bezeichnung eines Gewässers verdient. ORF-Wetterchef Marcus Wadsak kommt ganz zufällig vorbei. "Bist mir böse, dass wir einen satirischen Film über deinen See gemacht haben?", fragt ihn Settele. Dieser Burgenländer – Wadsak – ist es jedenfalls nicht: "Was der See wirklich braucht, ist sehr viel Wasser, aber zum zweiten Aufmerksamkeit, Bewusstsein. Wir müssen verstehen, dass da was passiert, was nicht gut ist."

Settele: "Wasser ist eh wieder da".

Wadsak: "Es hat ein bisserl geregnet, 10, 15 Zentimeter mehr. Aber es fehlt immer noch sehr viel auf das, was wir früher einmal normal genannt haben."

"Was kann man jetzt eigentlich tun, außer wie du mit dem Elektroauto fahren und darauf aufmerksam machen?"

"Wir können ein paar Gewohnheiten ändern, die den Klimawandel wirklich einbremsen können. Das ist unsere Mobilität, das ist unsere Energie, und das ist unsere Ernährung. Wir stehen da am Neusiedler See, wir leben in Österreich in einem Paradies. Auf das müssen wir verzichten, wenn wir jetzt nicht rasch und energisch handeln."

"Und ganz im Ernst" erklärt Settele zuletzt noch, dass die gezeigten Menschen (bis auf einen) "hier tatsächlich leben und arbeiten, und sie direkt betrifft, was mit dem Neusiedler See passiert. Wir mussten sie nicht überreden." (Guido Gluschitsch, Harald Fidler, 3.6.2023)