Pinocchio Festwochen
Pinocchio taucht in die Tiefen des Meeres ab: In der Mitte Hauptdarstellerin Tosh Basco
Diana Pfammatter

Am Ende geht es zurück in den Wald. Die Pilze funkeln zwischen den Stämmen, die Stämme wiegen sich im Wind. Hier mitten unter Bäumen hatte die Geschichte von Pinocchio 80 Minuten zuvor ihren Ausgang genommen: Der Uhrmacher Gepetto hatte seine Säge an eine Pinie gesetzt, um aus dem Weichholz einen Jungen zu schnitzen. 

Dass dieser über Nacht zum Leben erwacht, gehört zum kollektiven Märchenwissen. Dass Pinocchio unter den Augen einer Amsel und einer Schnecke aber seinen eigenen Weg geht und sich dabei von jenem des Gemeinwesens nicht verbiegen lässt, das haben sich die amerikanische Regisseurin, Filmemacherin und Performance-Künstlerin Wu Tsang gemeinsam mit ihrer Truppe Moved by the motion ausgedacht. Seit 2019 ist Tsang Hausregisseurin am Schauspielhaus Zürich, wo dieser Pinocchio Premiere hatte. Im Rahmen der Wiener Festwochen gastiert die Produktion jetzt für ein Wochenende im Volkstheater (ab sieben Jahren). 

Erst vergangenes Jahr hatte Filmregisseur Guillermo del Toro aus dem Romanstoff eine Moritat gegen Konformismus gemacht. Dass es bei dem Film in Stop-Motion-Technik recht unheilschwanger herging, verstand sich bei diesem auf fantastische, aber hintergründige Welten spezialisierten Hollywood-Regisseur von selbst. Bei Wu Tsang und ihrer Truppe müssen sich dagegen auch kleinere Kinder nicht fürchten: Sie werden von einer aufgeregten Amsel (Kay Kysela) und einer sanftmütigen Schnecke (Deborah Macauley) durch die Geschichte einer Menschwerdung begleitet, in der das Zusammenleben mit der Natur mindestens genau so wichtig ist wie jenes mit den Mitmenschen. 

Pinocchio Festwochen
Eine Schnecke im Pinienwald
Diana Pfammatter

Beim bösen Puppenspieler Stromboli macht Pinocchio in Gestalt der Performancekünstlerin Tosh Basco nur kurz Station, es zieht ihn in einen bunt glitzernden Shoppingtempel, bevor er in die Tiefe des Meeres abtaucht, um dort von einem Wal verschlungen zu werden. Pinocchio goes Moby Dick sozusagen, und das unter tatkräftiger Hilfe einer Schnurrbart-tragenden Fee (Tänzer Josh Johnson). So fluid die Geschlechtergrenzen in dieser Produktion sind, so durchlässig sind auch jene zwischen Mensch und Natur: Ob Sauerkirsche oder Rotbuche, Fuchs oder Katze, sie alle gehen mit Pinocchio ein Stück des (multimedialen) Weges, bis er endlich wieder mit seinem Schöpfer Gepetto (Vincent Basse) vereint ist.

Für die klangliche Unterlegung ist dabei die kalifornische DJne Asma Maroof zuständig, die genau so präzisen wie poetischen Videoprojektionen entstehen im Kollektiv. Letztere tragen maßgeblich zum Zauber einer Produktion bei, die zu Recht mit minutenlangem Jubel bedacht wurde. (Stephan Hilpold, 4.06.2023)