Sie hieß "Scala Mobile" und galt in Italien einst als große soziale Errungenschaft: 1975 einigten sich die Sozialpartner auf eine Klausel, wonach alle Löhne automatisch an die Teuerung angepasst werden, um Reallohnverluste zu vermeiden. Die Folge war eine Lohn-Preis-Spirale, die dem Land die höchste Inflationsrate Europas bescherte und viel zu jener wirtschaftlichen Stagnation beitrug, unter der Italien immer noch leidet. Die "Lohnrolltreppe" gilt bis heute als Beispiel einer gut gemeinten, aber verfehlten Wirtschaftspolitik.

Warnende Stimme: Wifo-Chef Gabriel Felbermayr.
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Nun droht Österreich in die gleiche Falle zu tappen. KV-Abschlüsse und Staatshilfen sorgen dafür, dass sich die meisten Haushalte – entgegen der vorherrschenden Meinung – so viel leisten können wie zuvor. Die Kaufkraft wurde erhalten, was die Regierung als Erfolg reklamiert, für manche sogar vergrößert. Deshalb brummt die Konjunktur hier stärker als etwa in Deutschland. Dafür aber hat Österreich nun eine Inflationsrate deutlich über dem EU-Durchschnitt, die sich selbst antreibt.

Aber es gibt einen großen Unterschied zum Italien der 1970er- und 1980er-Jahre: Damals wertete die Lira ab, wenn Exportunternehmen wegen steigender Lohnkosten an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Im Euroraum existiert diese Option nicht. Bleibt die heimische Teuerung zu hoch, gehen Exportgeschäft, Wachstum und schließlich Arbeitskräfte verloren. Dann müsste Österreich durch jene schmerzhafte Rosskur an fallenden Löhnen und Preisen gehen, die etwa Griechenland und Spanien in der Eurokrise durchmachen mussten.

Das erklärt die Besorgnis von Ökonomen wie Wifo-Chef Gabriel Felbermayr, der nun vorschlägt, dass sich die nächste Runde von Lohnverhandlungen nicht mehr an der inländischen Inflationsrate orientiert, sondern am Durchschnitt der Eurozone. Doch das würde zumindest vorübergehend zu Reallohnverlusten für Arbeitnehmer führen, was die Gewerkschaften auf die Barrikaden treibt.

Ihr Gegenvorschlag – strikte Preisregulierung – ist allerdings auch nicht kostenfrei. Staatliche Eingriffe in die private Preisgestaltung führen stets zu Verwerfungen und Versorgungslücken, die schließlich für die Masse schmerzhafter sind als ein geringer Kaufkraftverlust. Kein Land hat je damit gute Erfahrungen gemacht, auch nicht in jüngster Zeit.

Niemand verzichtet gerne, und wer dies in der Politik fordert, macht sich sofort unbeliebt. Aber etwas muss geschehen, damit die Wirtschaft nicht langfristig Schaden nimmt. Felbermayrs Vorschlag müsste Teil eines größeren Pakets sein, in dem alle ihren Beitrag leisten: Die öffentliche Hand – auch die Gemeinden – friert Gebühren ein, die Privatwirtschaft verschiebt Preisanpassungen, und die Gewerkschaften akzeptieren Abschlüsse unter der Teuerung. Ist die Inflation einmal im Griff, kann all dies später wieder aufgeholt werden.

Ein solcher Deal böte der Sozialpartnerschaft die Chance, ihre Relevanz zu bekräftigen. Wird die Inflation hingegen weiter für politisches Kleingeld genutzt, dann werden wir noch lange mit ihr leben und unter ihr leiden müssen. (Eric Frey, 6.6.2023)