Es war spannend bis zum Schluss. Würde die Wahlkommission das Ergebnis der Wahl in Zweifel ziehen? Wie viele Stimmen wurden wirklich abgegeben bei der Wahl zum SPÖ-Chef beim außerordentlichen Parteitag am Samstag? War alles wirklich nur ein Fehler? Zwei Pressekonferenzen am Dienstagnachmittag sollten die Antworten liefern. Manches blieb aber auch vage oder noch unklar, nachdem Klaudia Frieben von der Wahlkommission und Andreas Babler, nun doch wirklich als neuer Parteichef, vor die Mikrofone getreten waren. DER STANDARD recherchierte noch wichtige Puzzleteile, um ein vollständigeres Bild zu bekommen.

VIDEO: Babler meldet sich nach Bestätigung seiner Wahl bei Pressekonferenz zu Wort
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Frage: Welche Schlüsse hat die SPÖ am Dienstag nach dem Wahlauszählungsdesaster und der Neuauszählung gezogen?

Antwort: Nach der diesmal notariell begleiteten Neuauszählung der Stimmen am Dienstag trat Klaudia Frieben als neue Wahlkommissionsleiterin vor die Presse. Zuvor war Michaela Grubesa als Leiterin zurückgetreten. Frieben sagte, dass alle Protokolle (die nach der Auszählung der Urnen angefertigt werden) ordentlich ausgefüllt und protokolliert worden seien und das Ergebnis mit der Montagsauszählung übereinstimme. Andreas Babler trat kurz darauf vor die Medien und erklärte, dass er am Ergebnis nun keine Zweifel mehr habe und die Wahl annehme.

Frage: Wie kam es zu den unterschiedlichen Gesamtstimmen?

Antwort: Ausgezählt sei zu jedem Zeitpunkt richtig geworden, hielt Frieben am Dienstag fest. Das überraschte insofern, als beim offiziell verkündeten Ergebnis eine Stimme am Samstag fehlte – was überhaupt erst zur Neuauszählung führte. Bei den Montagszahlen hatten plötzlich beide Kandidaten eine zusätzliche Stimme. "Die beiden Stimmen waren immer da", war die dürftige Erklärung Friebens. Aus der Wahlkommission erfuhr DER STANDARD, dass alle Stimmen tatsächlich von Anfang an aufgeschienen seien und die neue Gesamtzahl 602 Stimmen auch am Samstag in den einzelnen Protokollen so vermerkt wurde. Die Delegierten mussten bei der Stimmabgabe ihren QR-Code einscannen lassen und warfen einen Abschnitt ihrer Delegiertenkarte in die Urne. 602 Stimmen durchliefen dieses Prozedere. Offenbar habe sich jemand bei der Eingabe der Zahlen in das System aber vertippt – und so wurden die Stimmen "verloren".

Frage: Wie kam es dann genau zu dem verdrehten Ergebnis? Hat wirklich nur eine Person die Daten in eine Excel-Liste eingegeben?

Antwort: Ein Mitglied der Wahlkommission erklärte dem STANDARD, wie es zu dem Ergebnis mit umgekehrten Vorzeichen gekommen sein soll: So gebe es in der Regel bei Parteitagen nur eine Kandidatin oder einen Kandidaten, und es würden immer die Stimmstreichungen eingegeben, das Wahlprogramm mache daraus dann das richtige Ergebnis. Den Anwesenden sei bei der Eingabe der Stimmenzahlen am Samstag aber offenbar nicht bewusst gewesen, dass gezählte Stimmen im Programm als Stimmstreichungen verstanden wurden und damit das Ergebnis genau das umgekehrte angezeigt hat.

Frage: Könnte das Wahlchaos strafrechtliche Konsequenzen haben?

Antwort: Nach aktuellem Stand nicht. Ein Excel-Fehler ist nicht strafbar – vor allem nicht, wenn er rasch korrigiert wird. Falls Vorwürfe laut würden, dass die Stimmen vorsätzlich falsch in die Excel-Tabelle übertragen worden seien, könnte sich die Lage ändern. Das könnte etwa als Betrug gesehen werden, sagen mehrere Juristen zum STANDARD. Auch wären die Delikte Täuschung oder Urkundenfälschung denkbar. Frieben schloss Betrug aus.

Frage: Können bei der SPÖ-Mitgliederbefragung vor dem Parteitag auch Unregelmäßigkeiten passiert sein?

Antwort: Auch das schloss Frieben aus.

Frage: Ist nach dem ganzen Chaos um die ausgezählten Stimmen ein neuer SPÖ-Sonderparteitag samt Kampfabstimmung notwendig?

Antwort: Ein Sonderparteitag mit Kampfabstimmung ist vom Tisch. Es war aber lange nicht klar, ob es nicht so weit kommen würde: Kärntens Landeschef Peter Kaiser wollte Montagabend nichts ausschließen. Das Ergebnis der Wahlkommission am Dienstag wurde aber als klar dargestellt, es gebe daran "nichts mehr zu rütteln", sagte Leiterin Frieben.

Frage: Wie lief die Auszählung beim SPÖ-Sonderparteitag in Linz am Samstag ab?

Antwort: Am Parteitag gab es Mitgliedern der Wahlkommission zufolge zwölf Wahlurnen, die dann auf elf sogenannten Straßen (also auf elf Tischen) ausgezählt wurden. Der Wahlgang soll eine halbe Stunde gedauert haben. Eine Person aus der Kommission, die anonym bleiben will, sagte, sie sei für eine bestimmte Urne zuständig gewesen und habe während des Vorgangs nicht den Eindruck gehabt, dass da etwas nicht stimme. Die Kommission soll nach dem recht schnellen Wahlgang zusammengetreten sein und Urne für Urne ausgezählt haben. Die Teilergebnisse sollen einer Person mitgeteilt worden sein, die sie schließlich in Excel eintrug – allerdings eben jeweils verkehrt, wie am Montag Grubesa, da noch Wahlkommissionsleiterin, sagte. Am Samstag soll es Gerüchte gegeben haben, dass Babler bei fast allen der zwölf Urnen mehr Stimmen als Doskozil erhalten hatte. Es wurde aber nicht noch einmal nachgezählt.

Frage: Wie kam es dazu, dass Michaela Grubesa als Doskozil-Vertraute Leiterin der Wahlkommission war?

Antwort: Grubesa wurde in diese Funktion von der Mehrheit der Mitglieder der Wahlkommission gewählt, nachdem Harry Kopietz aus Gesundheitsgründen zurückgetreten war. Kopietz wurde dem Lager Pamela Rendi-Wagners zugeordnet. Nach dem Wechsel gab es einen Schlagabtausch über die Auszählungsmodalitäten für die Mitgliederbefragung, die von 24. April bis 10. Mai lief.

Frage: Was ist dran an der Information, dass die Stimmzettel des außerordentlichen Bundesparteitags in Linz nach der Auszählung in einfachen Plastiksackerln nach Wien gebracht worden sein sollen?

Antwort: Montagabend kam das Gerücht in der "ZiB 2" bei einem Interview mit Landeschef Kaiser auf, dass diese Darstellung der Abläufe kursiere. Von SPÖ-Seite hieß es dazu am Dienstag, dass die Stimmzettel eingeschweißt auf einer Palette von Linz nach Wien transportiert worden seien. Die Stimmzettel seien in der Bundesgeschäftsstelle verwahrt und erst im Zuge der Neuauszählung am Montag wieder geöffnet worden. Zuletzt war gerüchteweise der Vorwurf laut geworden, die Zettel seien unversiegelt in einem Sackerl nach Wien gelangt.

Frage: Hat Grubesa am Montag allein nachgezählt, oder waren da noch andere dabei?

Antwort: Parteiintern wird davon ausgegangen, dass Grubesa nicht alleine war, sondern mindestens drei weitere Personen bei der erneuten Auszählung dabei waren – unter anderen ein Anwalt. Nicht dabei gewesen sein dürften Mitglieder der Wahlkommission. Als Grubesa bei der Pressekonferenz am Montag sagte, sie habe nachgezählt, hatten einige das so verstanden, dass sie ganz alleine die Stimmzettel überprüft habe.

Frage: Hatte vor Grubesa noch jemand Zugriff auf die Stimmzettel?

Antwort: Offenbar schon: Klaudia Frieben sagte am Dienstag bei der Pressekonferenz, dass Mitarbeiter der Parteizentrale in der Löwelstraße am Montag von sich aus begonnen hätten, die Stimmzettel erneut auszuzählen. Ein SPÖ-Sprecher hielt allerdings fest, dass diese drei Mitarbeiter erst im Auftrag der damaligen Wahlkommissionsvorsitzenden Grubesa gehandelt hätten.

Frage: Wer ist jetzt für die SPÖ letztverantwortlich? Ist es noch Christian Deutsch als bisheriger Bundesgeschäftsführer (der aber nicht mehr im Impressum der SPÖ-Website steht)?

Antwort: Von SPÖ-Seite wurde Dienstagnachmittag mitgeteilt, dass nun Babler für die Partei letztverantwortlich sei. (David Krutzler, Fabian Schmid, Colette M. Schmidt, Gudrun Springer, Elisa Tomaselli, 6.6.2023)

VIDEO: Pressekonferenz SPÖ-Wahlkommission nach Neuauszählung der Stimmen vom Parteitag
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