Im Gastblog gibt Frank M. Amort Einblick, warum es Gesundheitsökonomie braucht.

Wenn vom österreichischen Gesundheitssystem die Rede ist, dann übertreffen sich die Meldungen derzeit mit negativen Schlagzeilen: Es heißt dann, dass "nichts mehr geht" und das "System an die Wand fährt". Dem stand – oder steht noch immer – die Aussage gegenüber, dass "Österreich eines der besten Gesundheitssysteme, der Welt hat". Welches Narrativ trifft zu?

Das Gesundheitssystem ist wie wenige andere gesellschaftliche Systeme vom demographischen Wandel, sowohl auf der Seite des Personals als auch Seite der Nutzerinnen und Nutzer, dem technologischen Fortschritt und multiplen Krisen (Teuerung, Klima, ...) gefordert. Neben berechtigten Anliegen, vertreten von unterschiedlichen Stakeholderinnen und Stakeholdern, ist es somit gesellschaftliche Projektionsfläche für Emotionen und vor allem auch Ängste. Gerade in einem emotional so aufgeladenen Diskurs, benötigt es vor allem auch die ökonomische Analyse und Perspektive.

Menschen in einem Meeting
Welche Bedarfe und Bedürfnisse zur Gesundheit gibt es?
Foto: Getty Images/iStockphoto

Wenn wir wissen, dass die Lebenserwartung in Österreich zwar prinzipiell zufriedenstellend ist, die Anzahl der gesunden Lebensjahre im internationalen Vergleich aber unterdurchschnittlich sind, dann stellt sich die Frage, ob die finanziellen und auch andere Ressourcen richtig eingesetzt werden. Wenn wir wissen, dass in Österreich Wohlbefinden, Gesundheitsstatus und auch Gesundheitskompetenz maßgeblich durch soziodemografischen Faktoren bestimmt werden, dann stellt sich die Frage, wie gerecht unser Einsatz eben dieser Ressourcen ist.

Fragen der Gesundheitsökonomie

Genau mit diesen Fragen beschäftigt sich die Gesundheitsökonomie: Welche Bedarfe und Bedürfnisse zur Gesundheit gibt es? Welche Ziele, sollen mit den durch das Gesundheitssystem gesetzten Maßnahmen verfolgt werden? Welchen Nutzen haben sie wirklich? Könnte der gleiche Effekt (oder sogar ein besserer) durch gleich teure oder sogar günstigere Interventionen erreicht werden? Und letztlich: Wie viel Geld gibt der Staat für Gesundheit aus, wo genau setzt er sie ein, wie viel sollte er ausgeben?

In bestehenden Ausbildungscurricula der unterschiedlichen Gesundheitsberufe kommt Gesundheitsökonomie zumeist nur in Grundzügen vor, das Management von Gesundheit bezieht sich vor allem auf die betriebswirtschaftliche Ebene oder aber die freiberufliche Tätigkeit. Um den erwähnten Herausforderungen gerecht zu werden, braucht es in Österreich aber vermehrt Expertinnen und Experten, die das große Ganze im Auge haben. Diese benötigen eine umfassende Methodenkompetenz an der Schnittstelle von Gesundheit, Ökonomie, Gesellschaft und Wissenschaft, um sich im interdisziplinären Kontext der "Gesundheit für alle gesellschaftlichen Teilsysteme" effektiv einbringen zu können.

Dabei geht es nicht – wie jetzt vielleicht viele Leserinnen und Leser denken – um ein Sparen um jeden Preis. Ziel der Gesundheitsökonomie ist ein mehr an Gesundheit und eine gerechtere Gesundheit durch den bestmöglichen Einsatz von Ressourcen. Ein reines mehr an Mitteleinsatz garantiert keineswegs automatisch bessere Gesundheit. Es ist wie auch in anderen Bereichen der Gesundheit eine Frage der Dosis. Doch um diese festlegen zu können, braucht es umfassende Kompetenzen, die bislang an der Schnittstelle von Gesundheit und Ökonomie zu wenig vermittelt werden. (Frank M. Amort, 12.6.2023)