Künstliche Gebärmutter 
Kühne Vision oder dystopischer Ausblick? Die Idee künstlicher Brutkammern erregte die Gemüter der Online-Community.
Youtube/Hashem Al-Ghaili

Es ist eine polarisierende Vision, die Hashem Al-Ghaili da in den Äther schickte und mit hunderttausenden Followern teilte. Der Wissenschaftskommunikator stellte in einem Video die fiktive Firma Ectolife vor, die eines Tages in der Lage sein solle, 30.000 Menschen in künstlichen Gebärmüttern heranwachsen zu lassen. Anhand genetischer Kriterien würden in dem Szenario ausgewählte In-vitro-Embryonen in keimgeschützten Kapseln über ein von einer künstlichen Intelligenz verwaltetes System mit Nährstoffen versorgt.

Das Video wurde von zahlreichen Usern als Dystopie wahrgenommen, aber ist es tatsächlich realistisch? Auf Anfrage schreibt Al-Ghaili, das Ziel des Videos sei gewesen, "herauszustreichen, wie weit die Bereiche der Ektogenese, Biotechnologie und KI" inzwischen reichen. Er betont, dass der Inhalt auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhe, und rechnet damit, dass eine solche Einrichtung bald Realität sein wird. Tatsächlich sind Abschnitte des dargestellten Prozesses bereits möglich. Die Forschung bewegt sich im Bereich der Ektogenese, der Entwicklung von Embryonen oder Föten in künstlichen Systemen, aus zwei Richtungen aufeinander zu.

Grenzen des Fortschritts

"Als ich vor 25 Jahren in der Neonatologie begonnen habe, lag die Grenze, wo wir Frühgeborene aktiv versorgt haben, bei Schwangerschaftswoche 25 oder 26", sagt Angelika Berger, Leiterin der Abteilung für Neonatologie an der Wiener Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde. "Mittlerweile liegt diese Grenze bei Woche 22." Auf der neonatologischen Intensivstation werden solche extrem Frühgeborenen heute mit guten Überlebenschancen versorgt, dass die Grenze noch weiter nach vorne verschoben werden kann, bezweifelt Berger aber. Auch die Ergebnisse einer Forschungsgruppe rund um Emily Patridge zu einer künstlichen Gebärmutter sieht sie für den Menschen kritisch.

2017 publizierten die Forschenden des Children’s Hospital in Philadelphia Ergebnisse zur Versorgung von Lammföten in einem "Biobag", einem mit Fruchtwasser gefüllten Plastikbeutel. Das Heranwachsen der Lämmer wurde über mehrere Wochen und bis zum Erreichen der Geburtsreife fortgesetzt. "Bei dieser Studie wurden viele Hindernisse überwunden", sagt Berger. "Das Hauptproblem ist nach wie vor, dass ein Kind, wenn es aus dem Mutterleib kommt, zu atmen beginnt. Es müsste also binnen kürzester Zeit an die künstliche Nabelschnur angeschlossen werden, um das zu verhindern."

Da Komplikationen, die zu einer Frühgeburt führen, meist plötzlich auftreten, sei dieser Vorgang nicht realistisch. Das andere Problem sei die technische Limitation. Kinder, die so früh dem Mutterleib entnommen werden, wiegen nur ein paar Hundert Gramm und sind viel kleiner als Lammföten. "Die Frage ist: Finde ich überhaupt noch so kleine Katheter? Mit den Devices, die zur Verfügung stehen, kommen wir heute schon oft ans Limit", sagt Berger. Dass der Entwicklungsprozess eines Menschen je gänzlich außerhalb des Körpers stattfinden kann, bezweifelt sie.

"Wir haben in den letzten Jahren viel dazugelernt, was die Technik zur Versorgung von Frühgeborenen angeht." Aber es spiele nicht nur eine Rolle, ob ein Kind entsprechend mit Sauerstoff versorgt werden könne. "Auch die Umgebung ist extrem wichtig, vor allem für die Entwicklung des Gehirns", erklärt Berger. Momentan liege ein Schwerpunkt der Abteilung deshalb auf der adäquaten Stimulation von Frühgeborenen auf der Intensivstation, die möglichst nahe an die Erlebnisse im Mutterleib herankommt - und in diesem Bereich gebe es noch viel Forschungsbedarf.

Frühgeborenes Baby
In der Versorgung von Frühgeborenen hat die Medizin in den vergangenen Jahren gewaltige Fortschritte gemacht.
APA/dpa/Waltraud Grubitzsch

Synthetisch erzeugte Embryos

Auf der anderen Seite des Prozesses nähert man sich im Bereich der Embryonenforschung der künstlichen Erzeugung eines Menschen an. Eine Befruchtung von Eizellen außerhalb des menschlichen Körpers wird schon seit Jahrzehnten im Rahmen der In-vitro-Fertilisation durchgeführt. Das erste österreichische Retortenbaby wurde so 1982 von einer Forschergruppe rund um Wilfried Feichtinger in Wien gezeugt. 40 Jahre später werden in der Republik etwa 18.000 künstliche Befruchtungen jährlich durchgeführt.

"Die Embryos, die wir hier typischerweise im Rahmen der künstlichen Befruchtung verwenden, sind maximal fünf bis sieben Tage nach Befruchtung alt, länger kann man einen Embryo unter normalen Bedingungen nicht kultivieren", sagt Michael Feichtinger, Sohn des Pioniers der Reproduktionsmedizin und Leiter des Wunschbaby-Instituts Feichtinger in Wien. Zwischen 6. und 7. Tag nach dem Eisprung nistet sich der Embryo ein - ein komplexer und heikler Vorgang, der noch lange nicht ausgeforscht sei. "Ab diesem Zeitpunkt braucht der Embryo die Mutter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Prozess je ohne menschlichen Körper funktionieren kann."

Aufsehen erregten in dem Bereich zuletzt die Ergebnisse eines Forschungsteams vom California Institute of Technology und der Universität Cambridge. Synthetisch erzeugte Mäuseembryonen wurden bis zur mittleren Schwangerschaft erhalten. Sie erreichten ein Stadium, das etwa der Hälfte der Schwangerschaftszeit von Mäusen entspricht. So bahnbrechend die Ergebnisse sind, handelte es sich doch um Mäuseembryos - nicht um Menschen. Bei künstlichen Embryonen und Gebärmüttern sei die allgemeine Wahrnehmung nach Feichtinger aber generell einige Schritte weiter als der Stand der Wissenschaft.

Ethisch wichtige Einordnung

"Auf dem Gebiet werden zurzeit die ersten Trippelschritte gemacht, aber in Wirklichkeit ist es nicht denkbar, dass eine Unternehmung wie Ectolife in unserer Lebenszeit noch Realität wird." Zudem gibt es ethisch bedingte und gesetzlich festgelegte Grenzen für die Wissenschaft. Synthetische Embryonen, die ohne Verwendung von befruchteten Eizellen entstehen, sind im österreichischen Gesetz noch überhaupt nicht erfasst, die Forschung an menschlichen Embryonen ist verboten. International gilt in vielen Ländern eine 14-Tage-Regel, die die Internationale Gesellschaft für Stammzellenforschung (ISSCR) aber 2021 lockerte. Vorhaben, um Embryonen darüber hinaus zu kultivieren, sollen von Fall zu Fall geprüft werden.

In einem im Mai publizierten Positionspapier der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) zu künstlichen Gebärmuttersystemen wird nun dem österreichischen Parlament nahegelegt, den legislativen Handlungsbedarf zu eruieren. Die Einrichtungen empfehlen zur ethischen Einordnung dieser Technologien einen gesellschaftlichen Dialog unter Beteiligung der Öffentlichkeit - den Anstoß hat Hashem Al-Ghaili mit seinem Video allemal gegeben. (Sarah Kleiner, 12.6.2023)