Ihre Anfänge reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück, heuer begeht die griechische Außenstelle des Österreichischen Archäologischen Instituts ihr 125-jähriges Jubiläum. Mit Forschungen abseits der berühmtesten Grabungsstätten will man mehr über die Lebensrealität der Bevölkerung in der Antike erfahren, wie die Außenstellenleiterin Brigitta Eder erklärt.

Die Entzündung des olympischen Feuers in Olympia durch Priesterinnen
Die Spuren des antiken Griechenlands in der Gegenwart sind vielfältig. Vor dem Hera-Tempel in Olympia wird traditionell das olympische Feuer mithilfe eines Hohlspiegels entzündet, so wie hier 2021 für die Olympischen Winterspiele in Peking.
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Die Lage an der Peripherie der altorientalischen Reiche des Mittleren Ostens hat im rohstoffarmen Griechenland im ersten Jahrtausend vor Christus zur Entwicklung von gesellschaftlichen, künstlerischen, politischen und technologisch-wissenschaftlichen Neuerungen geführt, die große Teile der Welt bis heute prägen. Die Wiege des modernen Europas findet sich an vielen Orten des heutigen modernen Griechenlands. An einigen Stätten abseits der bekannten antiken Zentren wie der Athener Akropolis, Olympia, Korinth, Delphi und Co gibt es eine langjährige österreichische Grabungshistorie, die von der inmitten Athens gelegenen ÖAI-Außenstelle federführend mitgestaltet wurde, wie Eder betonte.

Anfänge in der Monarchie

Die Anfänge des ÖAI in Athen reichen in die letzten Jahrzehnte der Österreichisch-Ungarischen Monarchie zurück. Rund um die Wende zum 20. Jahrhundert waren es erst sechs vergleichbare Institutionen. Heute ist die Einrichtung eine von insgesamt 19 ausländischen archäologischen Instituten oder Schulen. Das Gebäude wurde nach Plänen des Architekten Ernst Ziller erbaut und im Jahr 1908 eröffnet. Es steht auf einem vom griechischen Staat zweckgewidmeten Grundstück in der Nähe des griechischen Nationalmuseums.

Die Zweckwidmung habe das Gebäude in der Rückschau vermutlich auch nach den Zweiten Weltkrieg davor bewahrt, heute anders genutzt zu werden, vermutet Eder. Letztlich blieb es Drehscheibe und Anlaufstelle für österreichische Wissenschafter und fungiert als zentrale Schnittstelle zu den griechischen Behörden, wenn es etwa um Grabungsgenehmigungen oder die vielen internationalen Kooperationen geht. Am 15. Juni steigt nun im Institutsgebäude in Athen eine Festveranstaltung.

Vor 125 Jahren habe die Einrichtung eine Art wissenschaftlichen Blitzstart hingelegt, der durch das Schrumpfen Österreichs auf seine heutige Größe nach dem Ersten Weltkrieg deutlich gebremst worden sei, so Eder, die zum Jubiläum in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen auch ein neues Buch zur Tätigkeit und Geschichte des ÖAI Athen vorlegt. Eine zentrale Figur war hier der frühere, langjährige Leiter des Hauses, Otto Walter.

Unterbrechung durch den Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es bis 1960, bis das Haus wieder als Außenstelle des ÖAI eingerichtet wurde. "Damals war ökonomisch alles sehr limitiert", so Eder, die seit 2019 als Leiterin fungiert. Erst Anfang der 2000er-Jahre war das Gebäude wieder exklusiv in den Händen der Archäologie.

Heute zählt man in der Außenstelle des zur Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gehörenden ÖAI neben Eder mit Walter Gauß einen weiteren fest angestellten Wissenschafter. Dazu kommen mehrere Forschende, die über Grabungs- und Drittmittelprojekte vor Ort arbeiten, sowie Gastwissenschafterinnen und -wissenschafter.

Momentan hält man in Griechenland sechs Lizenzen für österreichische Grabungen und Feldforschungsprojekte, die durch das griechische Kulturministerium genehmigt worden sind. Drei davon sind nationale Einzelgenehmigungen, die anderen drei griechisch-österreichische Kooperationen. Langjährige Grabungsstätten befinden sich im auf fast 1.000 Meter Seehöhe gelegenen Lousoi und in Aigeira auf der nördlichen Peloponnes oder auf der Insel Aigina, wo die Universität Salzburg die Siedlung und das Heiligtum am Kap von Kolonna erforscht. In Zusammenarbeit mit dem griechischen Archäologischen Dienst laufen u. a. größere Projekte in Leontion und Kleidi-Samikon.

Heute arbeitet die Archäologie fächerübergreifend mit stark naturwissenschaftlich orientierten und digitalen Methoden. Es können etwa große Areale geophysikalisch vermessen und kartiert werden, um auf im Boden befindliche Strukturen schließen zu können, oder Analysen mit alter DNA gemacht werden. Keramikanalysen geben Aufschluss über die oft weitreichenden Verbindungen der Ortschaften. So lassen sich heute vielfältige Rückschlüsse über das Leben in den antiken Städten, die ökologisch-naturräumliche Umgebung oder die Lebensbedingungen von Mensch und Tier ziehen.

Die Akropolis in Athen
Die Akropolis in Athen ist eine der bekanntesten antiken Stätten Griechenlands. Doch abseits der berühmten Orte lässt sich viel über das Leben in der Antike lernen.
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Suche nach dem "wirklichen" Griechenland

Heute gehe es darum, ein umfassendes Bild einer Siedlung und deren Umfeld zu zeichnen. Dazu eignen sich "Orte der zweiten Hierarchie" wie Lousoi und Aigeira sehr gut, wie Eder betont: "Das ist das wirkliche Griechenland, das ist die Realität der antiken Gesellschaften. Auch die sind nicht täglich auf die Akropolis gegangen." Hier erhalte man eine "moderne Perspektive" auf die Vielseitigkeit des damaligen "normalen Lebens" in urbanen Stätten.

Durch den gestiegenen technischen Aufwand werde es allerdings herausfordernder, die notwendigen Finanzierungen für Projekte zu bekommen. Das Interesse in der Bevölkerung an der Archäologie sei jedenfalls ungebrochen hoch, sagt die Forscherin: "In der Reflexion der Vergangenheit denken wir über uns selbst nach."

Interessant sind dazu nicht nur historische Klimadaten, Zugänge zu Geschlechteridentitäten oder die Organisation früher Gesellschaften in der "Wiege der Demokratie". Vieles an unserer heutigen Gesellschaft lasse sich nur durch den Blick auf das antike Griechenland verstehen, sagt Eder. Sie forscht aktuell rund um den Ort Kleidi-Samikon im Westen des Peloponnes. Erst vor zwei Jahren gelang dort einem österreichisch-griechisch-deutschen Team der Fund eines Heiligtums, bei dem es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen seit 100 Jahren gesuchten Poseidon-Tempel handelt. (APA, red, 12.6.2023)