Katrina Daschner
Das Projekt des Kunsthaus Graz und des MSU Zagreb vereint Performancekunst und feministisches Erbe aus Österreich und dem ehemaligen Jugoslawien. Die Filmemacherin Katrina Daschner ist mit ihrem träumerischen Video "Pomp" vertreten.
Katrina Daschner / Sixpackfilm

Hier hat jemand randaliert. Ein Kinderwagen liegt in Einzelteile zerbrochen auf dem Boden. Angeblich wurde einer der Keramik-Buggies bei der Eröffnung der Ausstellung Körper und Territorium im Kunsthaus Graz zertreten. Ein anderer stürzte im Stiegenhaus ab. Grund dafür war wohl die Aufdringlichkeit der Gestelle, sie sind nämlich ferngesteuert und rücken dem Publikum gern auf die Pelle. Aufkleber vermeintlicher Automarken verweisen auf ihre Dynamik.

Mit seinen Future Perfect-Objekten bringt das Wiener Kollektiv Club Fortuna weiblich und männlich konnotierte Klischees zusammen und eröffnet damit die umfassende Gruppenausstellung, die sich mit Performance und feministischer Kunst beschäftigt. Stereotype werden wortwörtlich die Treppen heruntergestoßen.

Passenderweise befinden sich daneben freihängende Fotoabzüge der ikonischen Serie Körperkonfigurationen von Valie Export. Anfang der 1970er-Jahre schmiegte sich die Linzer Künstlerin an Bordsteinkanten und Betonrundungen, um ihren Körper so in die öffentliche Architektur einzuschreiben. Auf der anderen Seite eine Arbeit von Vlasta Delimar, die als wichtige Figur der feministischen Avantgarde in Ex-Jugoslawien gilt: Nackt und hochschwanger inszeniert sie sich einer Madonna gleich, zwischen ihren Beinen tritt goldener Glitzer aus. Willkommen im Territorium der Körper!

Tomislav Gotovac
In den Achtzigern fiel Tomislav Gotovac als Nacktflitzer auf. Ein künstlerisches Tool, das im Sozialismus als absolutes Tabu galt. Hier bei seiner Aktion "Zagreb, I love you!" (1981). Nach nur wenigen Minuten wurde er verhaftet.
Milisav Vesovic, Sammlung MSU Zagreb

Körper als Werkzeug

Dem Kunsthaus Graz ist mit dem durch die Pandemie verzögerten Projekt eine sehenswerte Ausstellung gelungen. Körper und Territorium basiert auf einem kuratorischen Austausch zwischen dem Museum für zeitgenössische Kunst (MSU) Zagreb, wo die Schau in ähnlicher Form bereits zu sehen war, und dem Kunsthaus Graz. Das Team aus Jasna Jakšić, Radmila Iva Janković und Katia Huemer versammelt über 30 Künstlerinnen und Künstler und rund 100 Arbeiten.

In der Ausstellung werden zwei Tendenzen, die die zeitgenössische Kunst in Österreich bis heute prägen, exemplarisch zusammengebracht, so das Konzept der Kuratorinnen: radikale Performance und feministisches Erbe. Diese erweitert die Schau für Graz durch Positionen aus dem exjugoslawischen Raum – eine erfrischende Kombination.

Marina Abramović
Performance-Ikone Marina Abramović darf nicht fehlen. In der Ausstellung sind Ausschnitte und Gegenstände ihrer sechsstündigen Performance "Rhythm 0" von 1974 zu sehen.
Kunsthaus Graz/J.J. Kucek

Obwohl der Kampf für liberale Werte im ehemaligen Jugoslawien und die Politisierung in Österreich unter unterschiedlichen Vorzeichen standen, lassen sich in der Kunst der 60er und 70er ähnliche Tendenzen ablesen. Vor allem das Körperliche wurde zum Werkzeug für Widerstand und Aufbruch. Spuren davon ziehen sich bis in die Gegenwart und bilden in der Ausstellung spannende Dialoge.

So begegnet man dem Glitzer auf nackter Haut auch im fantastischen Video Pomp (2020) von Filmemacherin Katrina Daschner wieder. Oder man erkennt Bezüge zu Valie Export in einer Fotoserie des Künstlers Tomislav Gotovac, der im orangen Sträflingsanzug verblüffend ähnliche Körperaktionen im öffentlichen Raum realisierte. Nur tat er dies erst 1997 und mit pointiert-politischem Statement: Die Arbeit heißt Marshall Tito Square I Love you und ist eine Reminiszenz an diesen öffentlichen Platz in Zagreb, der im Laufe der Zeit umbenannt wurde und den Künstler an seine Kindheit erinnert.

Tabubrüche und "Ständer"

In den Achtzigern fiel Gotovac bereist als Nacktflitzer auf. Ein künstlerisches Tool, das im Sozialismus als absolutes Tabu galt, aber, wie es die Wiener Aktionisten vorführten, auch im konservativen Österreich für Aufregung sorgte. Selbst Günters Brus’ legendärer Wiener Spaziergang im weißen und teils schwarz bemalten Anzug galt als skandalös. In Graz wird dieser mit einem Nackt-Walk von Gotovac kombiniert. Beide erregten Aufsehen und bekamen Probleme mit der Polizei.

So springt die Ausstellung zwischen den Generationen hin und her: Die Künstlertruppe Gelitin präsentiert einige ihrer mit ihren Penissen geformten Keramikskulpturen. Ihre "Ständer", die die vier Künstler auch fotografisch festhalten, gelten als "zarte Skulpturen".

Lea Culetto
Die 1995 in Slowenien geborene Künstlerin Lea Culetto arbeitet in ihren Strickobjekten Codes zu "Frauenthemen" wie Menstruation oder PMS ein.
Kunsthaus Graz/N. Lackner

Von Aktionen der slowenischen Künstlergruppe Skupina OHO aus dem Jahr 1969 kommt man über kritisch-witzige Werke von Anna Jermolaewa – die Österreich 2024 auf der Venedig-Biennale vertreten wird – zu einer Kopftuchperformance in den Wiener Linien von Nilbar Güreş.

Nach Marina Abramović, Laibach oder Birgit Jürgenssen endet man bei Textilien der 1995 geborenen Künstlerin Lea Culetto. In ihre bunten Strickpullover arbeitet sie Codes zu "Frauenthemen" wie Menstruation oder PMS ein. Manche Tabus gilt es noch zu brechen. (Katharina Rustler, 13.6.2023)