Menschen essen im Restaurant Salzamt am Ruprechtsplatz
Speisewagen, seit 40 Jahren auf dem Weg in eine nahe, ferne Weltstadt: das Salzamt am Ruprechtsplatz.
Gerhard Wasserbauer

Man traut es sich kaum laut zu sagen: In der Küche vom Salzamt, dieser unverändert durch die Zeiten gleitenden Institution, wird ein bisserl umgerührt. Über Jahrzehnte haben hier erst Hausherrin Monika Baničevič-Pöschl, dann die von ihr straff geführten Küchenchefinnen Bogda, Maria und Mici et al. (der Hausordnung folgend stets nur mit Vornamen bekannt) den unveränderlichen Geschmack der Stammgastnoblesse bestimmt: Essen, wie man es vielleicht aus gutbürgerlichen, aufgeklärten Häusern kannte, das nicht nach Restaurant schmeckte und in dieser unaufgeregten, jedweden Dekors entledigten Selbstverständlichkeit sonst nirgends aufgetragen wurde.

Das Lokal selbst, einst von Hermann Czech mit Häusllampen, Kleiderständerlaternen, schwarzen Thonets und sehr bequemen Bänken zum Gesamtkunstwerk geformt, blieb sowieso so schön wie am ersten Tag. Mochte sich da draußen im Bermudadreieck der schlechte Geschmack immer ungenierter auskotzen – drinnen blieb alles gut und schön.

Okay, die Speisekarte wirkte manchmal aus der Zeit gefallen, Mozzarella mit Paradeisern, oder die (von manch abwegig veranlagtem Gast gralgleich verehrten) Fleischlaberln wurden vielleicht ein paar Jahrzehnte zu spät entsorgt. Aber das ofenwarme Roastbeef auf Blattsalat samt anachronistischer Rindsuppen-Vinaigrette, die Kalbsbutterschnitzel, die Susi-Torte und das Schnitzel (hier ausnahmslos mit Petersilerdäpfeln) blieben – so wie der Bründlmayer vom Heiligenstein und der Vranac vom Agrokombinat "13 Jul." aus der montenegrinischen Heimat von Hausherr Tale Baničevič. Auf irgendetwas muss man schließlich bauen können, wenn sich das Land rundherum schon den Bestien zum Gelage vorwirft.

Fischsuppe
Cuisine Française im Salzamt
Gerhard Wasserbauer

Die Atmosphäre sagte Paris, die Speisekarte sprach wienerisch, mit nobel süffisantem, balkanischem Zungenschlag. So war es immer. Plötzlich aber tauchen da auch Speisen auf, die eindeutig Französisch parlieren. Okay, das knusprig gebackene, weiche Mayonnaise-Ei auf köstlich bissiger Sauce Tartare kann noch als neo-wienerisch durchgehen, auch die gratinierten Markknochen mit gebähtem Schwarzbrot, Frisée-Salat und ein paar Backerbsen für den zart ironischen Knusperkick fügen sich ganz organisch in den Salzamt-Kosmos ein. Aber Fischsuppe "Salzamt" (im Bild) mit saftig schmelzender Steinbutt-Kette, knusprigem Branzino, Bouchotmuscheln samt Thymiancroutons, urntlich geknofelter Sauce Rouille und geriebenem Gruyère in separat aufgetragenen Saucieren und Tatzerln? Cuisine Française, die aus dem Vollen schöpft!

Auch gratinierter Chèvre, einer von der reifen Art, macht es uns in der Kombination mit knackig eingelegtem Rhabarber und Salat ganz köstlich französisch. Salade Landaise mit Frisée und Fisolen, nach der Tradition des Sud-Ouest mit einer ganzen, konfierten Entenkeule (löffelweich und knusprig!) und ebensolchen -mägen, außerdem Speck, pochiertem Apfel und wachsweichem Ei großzügig garniert, ist Bistrotkost der herrlich handfesten Sorte.

So geht’s dahin, neben Butterschnitzel und Grießnockerlsuppe darf sich auch ein grandioser Boeuf Bourguignon vom Schulterscherzel, nach allen Regeln der Kunst mit Bauchspeck, Champignons und Karotten in Burgunder geschmort, wohlfühlen. Genau so unprätentiös gut, so selbstverständlich weltstädtisch hat es im Salzamt doch zu den besten Zeiten geschmeckt, oder?

Den Stirn bieten

Wer ist jetzt der Koch, der neben Mici und Maria hier so umrühren darf, dass es im Salzamt plötzlich so französisch schmeckt, wie es immer schon ausgesehen hat? Andres Stirn heißt der Mann, seit 20 Jahren in Wien, wo er von Konstantin Filippou und Eddi Dimant abwärts mit den besten Köchen der Stadt gewerkt hat. Kommt aber aus Düsseldorf, wo er einst bei den Sternefranzosen Jean-Claude Bourgueil und Robert Huelsmann gelernt hatte, was uns jetzt im Salzamt schmeckt. Also Achtung, Chauvis! Und: Merci, Andres. (Severin Corti, 16.6.2023)