Menschen sitzen im Schatten der grünen Bäume und Sträucher auf den Terrassen. An der Fassade der berühmten Urania im ersten Wiener Gemeindebezirk wachsen Pflanzen, von einem Balkon hängt fein säuberlich gepflegtes Grün. Rund um das Gebäude ist kein fahrendes Auto zu sehen. Kinder und Erwachsene gleiten über die Wasserrutsche, die direkt in den Donaukanal mündet. Sie landen in kristallklarem Wasser, vereinzelt wachsen sogar Seerosen.

Geht es nach einem neuen Bildband, könnte Wien im Jahr 2045 so aussehen. Das Buch zeigt Simulationen grüner Stadtteile.
Foto: realutopien.de / Reinventing Society & Wire Collective (CC BY-NC-SA 4.0) / Phoenixpix

Die Grafik ist Teil es Buches Zukunftsbilder 2045. Reise in die Welt von morgen. Es zeigt fotorealistische Grafiken von Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Abgebildet sind außer Wien beispielsweise auch Berlin, Frankfurt oder Zürich. Die Visualisierungen geben einen Eindruck davon, wie diese Orte aussehen könnten, wenn Fassaden begrünt, Bäume gepflanzt, Autos verbannt und Fußgängerzonen erweitert würden. Der Bildband, der im Juli im Oekom-Verlag erscheint, solle Menschen inspirieren, sagt Co-Autor Lino Zeddies. Er zeige das "maximal Optimistische", die beste Version einer ökologischen Stadt sozusagen. Für das Buch arbeiteten er und sein Team mit Expertinnen und Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammen, auch aus dem Klimaschutz.

Ist das auch realistisch?

Mit den Bildern wird auch eine Stimmung transportiert. Man stellt sich vor, wie die Vögel zwitschern, während ein frischer Luftzug durch die Häuserzeilen weht, kein Hupen ist zu hören; stattdessen bimmelt von Zeit zu Zeit die Straßenbahn. Ein Gefühl der Erleichterung kommt auf. Denn in der Stadt ist es in den vergangenen Jahren deutlich zu merken: Es wird es immer heißer. Bei 30 Grad plus lässt es sich in einer Betonwüste schwer aushalten. Zwar bemüht sich die Wiener Stadtregierung, mit Wassersprühanlagen für Abkühlung zu sorgen – aber die Hitze lässt sich an manchen Tagen kaum in Schach halten. Würden die Häuser und Straßen begrünt, könnte das vieles ändern, sind sich Fachleute einig. Doch ist die Zukunftsvision von Wien realistisch? Könnte sie umgesetzt werden?

Markus Tomaselli ist skeptisch. "Der Wunsch der gesamten Vision ist verständlich, in der Realität sind viele Punkte aber schwer umsetzbar", sagt der Vorstand des Instituts für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen an der TU Wien. Die Dachterrassen etwa sehen nach Restaurants anstatt nach konsumfreien Zonen aus. Das würde bedeuten, man muss für den Aufenthalt bezahlen, und so sieht Tomasellis Idealvorstellung vom Leben im öffentlichen Raum nicht aus.

Das eingezeichnete Hochhaus würde Wien zudem den Status des Unesco-Weltkulturerbes kosten, ist der Stadtplaner überzeugt. Außerdem brauche es überhaupt keine zusätzlichen Hochhäuser, da sie lediglich der Gewinnmaximierung dienen und nicht der Maximierung der städtischen Landnutzung. In der Wiener Innenstadt würde er ohnehin nicht mehr nachverdichten. Die bauliche Ausnutzung sei bereits sehr hoch. Das sei in anderen Gebieten sinnvoller.

Auch künftig nicht kristallklar

Als irrelevant bezeichnet Tomaselli die Photovoltaikanlagen, die auf manchen Dächern eingezeichnet sind. Diese seien vor allem in der Peripherie der Stadt relevant, wo große Flächen genutzt werden können. Die Wasserrutsche sei zudem eher ein Einsatz für die Feuerwehr, weil man direkt in die Strömung rutschen und weggetrieben würde. Auch das Wasser im Donaukanal werde in Zukunft nicht kristallklar sein.

Zwei wesentliche Aspekte in der Zukunftsvision hält Tomaselli aber durchaus für realistisch. Der Stadtplaner geht davon aus, "die Zufahrt in den ersten Bezirk wird in den kommenden zehn Jahren für private Autofahrer beschränkt werden".

Ein weiterer Trend, der sich laut Tomaselli fortsetzen wird, ist die verstärkte Begrünung. Historische Aufnahmen würden zeigen, dass heute viel mehr Bäume an den Wiener Straßen gepflanzt sind als noch vor 100 Jahren. Es sei also durchaus denkbar, dass künftig der Grünanteil im städtischen Bereich deutlich zunehmen wird. Dabei müsste aber auch die technische Ausstattung bedacht werden.

Susanne Formanek ist Geschäftsführerin von Grün statt Grau, einem Kompetenzzentrum für Bauwerksbegrünung, und für sie ist die Zukunftsvision beeindruckend. Würde sie so umgesetzt, wäre die Gegend um die Urania herum "wie eine Stadtoase". Eine derartige Begrünung "wäre eine natürliche Klimaanlage. Die Pflanzen bilden nicht nur Schatten, sondern kühlen auch die Umgebung ab." Auch die Luft wäre sauberer, viele Pflanzen könnten zudem den Lärm reduzieren.

Dennoch meint auch die Expertin: Nicht alles, was die Visualisierung zeigt, sei realistisch. Zum Beispiel die Fassadenbegrünung der Urania: "Sie wäre so nicht möglich, weil das Gebäude dem Denkmalschutz unterliegt." Zudem könnten die Pflanzen nicht wie auf dem Bild von den Balkonen herunterhängen. Sie bräuchten etwas zum Festhalten. Für umsetzbar hält Formanek hingegen den Rasen an den Seiten des Donaukanals, auf dem in der Simulation mehrere Menschen Yoga machen. Es handle sich dabei höchstwahrscheinlich um eine Dachbegrünung.

Noch mehr möglich

Das Glasdach auf der Urania hält Formanek für eine eher schlechte Idee: "Ist es tatsächlich Glas und kein neuartiges Material, das man in der Zukunft vielleicht entwickelt hat, wird es darunter sehr warm." An manchen Stellen wäre aber sogar noch mehr möglich, als in der Grafik gezeigt wird, meint Formanek: Die Wände, auf denen Graffiti gemalt ist, könnten etwa auch noch begrünt werden. Auch auf dem Spielplatz fehlt es nach Meinung der Expertin noch an Bäumen und Pflanzen. Hier ist ausschließlich die Pergola begrünt, die Spielgeräte befinden sich in der prallen Sonne. Auf dem Boden liegt Kunststoffgranulat – es könnte durch Rindenmulch ersetzt werden, das sich weniger stark aufheize.

Ideen für eine grünere Stadt gäbe es also zuhauf. Dass zumindest ein Teil davon im Jahr 2045 Wirklichkeit wird, wäre den Städterinnen und Städtern zu wünschen. (Julia Beirer, Lisa Breit, 13.6.2023)