Klimakleber
Wie halten es Österreichs Grüne mit den Klimaklebern?
Florian Scheibe

Pro: Schweigen ist zu wenig

Die Arktis wird schon 2030 – früher als befürchtet – eisfrei sein. Halb Kanada brennt, was Europa erst wahrnahm, als sich wegen der Waldbrände im Nachbarland selbst in New York der Himmel eintrübte. Die Welt steuert nicht mehr auf eine Katastrophe zu, immer mehr Regionen sind schon mittendrin.

Da wirkt es geradezu realitätsfern, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, ob sich junge Menschen an Straßen kleben sollen und wer das irgendwie gut oder eher schlecht finden könnte. Ob sich eine Umweltpartei dazu eine Meinung leisten darf, ohne das Wahlvolk zu verärgern, kann schon morgen eine hinfällige Frage sein. Denn der Wind kann sich schneller drehen, als sich das Spindoktoren oder Politikberaterinnen vorstellen können. Die nächste Flut oder die nächste Feuersbrunst könnte Österreich treffen und den Menschen sicher mehr Leid zufügen als ein paar Minuten Protestaktion auf der Fahrbahn.

Deshalb muss eine Umweltpartei, die noch dazu in der Regierung sitzt, natürlich klar Stellung beziehen. Die Forderung der Protestierenden ist harmlos: Tempo 100 hält auch die Umweltministerin für sinnvoll. Dann soll sie auch in der Regierung und im Parlament dafür kämpfen. Dann wären die Straßen schnell frei von Klebenden, und man könnte sich wieder ganz über den völlig normalen von Autokolonnen erzeugten Stau ärgern. Vom Schweigen wird die radikale Klimakatastrophe nicht weggehen. Und der Protest sicher auch nicht. (Colette M. Schmidt, 14.6.2023)

Kontra: Nur Schweigen ist gut

Schweigen ist Gold. Das sollten die Grünen auch weiter so halten und sich bloß kein Vorbild am deutschen Klimaschutzminister Robert Habeck nehmen. Er hat die Letzte Generation – gerne Klimakleber genannt – als "klimaschädlich" scharf verurteilt. Eine deutliche Positionierung haben die Grünen hier in der Regierung auch gar nicht nötig, sie könnten nur verlieren. Entweder in "der Mitte" oder am aktivistischen Rand.

Dass es sich bei den Klimaaktivisten nicht um "Terroristen" handelt, wurde von Vizekanzler Werner Kogler bereits gesagt. Damit ist es auch schon genug. Denn einerseits reden wir bei diesen Menschen, die bewusst und fortlaufend (Verwaltungs-)Strafen in Kauf nehmen, um zur Normalität gewordenes klimazerstörendes Verhalten anzuprangern, nicht von der RAF. Die Aktionen der Letzten Generation quittiert ohnehin der Rechtsstaat auf der angemessenen Ebene.

Andererseits gibt es für die Grünen auch keinen Grund, dieser Bewegung durch ein Näherrücken ihren Saft und ihre Kraft zu rauben, sie durch bewusste Umarmung zu domestizieren oder gar zu versuchen, sie zu einem Teil des Establishments zu machen. Die Letzte Generation ist per Selbstdefinition da, um Etabliertes zu stören – und dafür braucht sie kein Spendengütesiegel, keine Schelte und schon gar keine Umarmung der Grünen. (Karin Bauer, 14.6.2023)