Am Ende stach das Argument der Ästhetik. "Windkraft Ja – Windpark auf der Brandkuppe NEIN", stand groß und knallrot auf einem Flugblatt der Gegner jenes Windkraftprojekts des Verbunds im obersteirischen Gaal, das am Sonntag an der Gemeindeabstimmung gescheitert war. Der Tenor: Die acht neuen Windräder würden das schöne Bergpanorama zerstören.

Fast 72 Prozent der Gaaler Bürgerinnen und Bürger stimmten gegen die nötige Umwidmung des Areals auf der Brandkuppe, das dem Stift Heiligenkreuz gehört.

Mit dieser Fotomontage zeigt der Verbund, wie die Windräder auf der Brandkuppe in der Gemeinde Gaal hätten aussehen können. Tatsächlich stehen dort bis heute keine Windräder.
Mit dieser Fotomontage zeigt der Verbund, wie die Windräder auf der Brandkuppe in der Gemeinde Gaal hätten aussehen können. Tatsächlich stehen dort bis heute keine Windräder.
Verbund-Rendering

Die Projektwerberin, die Verbund AG, hatte den Bergrücken als idealtypischen steirischen Windkraftstandort ausgelotet, wie er auf Höhenlagen beiderseits des Mur- und Mürztals zu finden sei, hieß es. Mit einer Turmhöhe von 149 Metern und einem Rotordurchmesser von 162 Metern hätten laut Verbund-Plan acht Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von knapp 50 Megawatt jährlich etwa 130 Millionen Kilowattstunden Strom liefern und in das regionale Stromnetz eingespeist werden können. Diese Stromproduktion entspreche dem Jahresbedarf von mehr als 30.000 Haushalten.

Es hätte auch Goodies gegeben: Für die Anrainergemeinde Gaal und deren Bevölkerung hätte ein dauerhafter Strompreisrabatt in der Höhe von ungefähr 50 Prozent gelockt. Zusätzlich hätte die Gemeinde eine Ausgleichszahlung von jährlich insgesamt 160.000 Euro erhalten. Monatelang hatte der Verbund in Infoabenden die Gaaler und Gaalerinnen auf seine Seite ziehen wollen, auch Wetter- und Klimaexperte Marcus Wadsak kam vor Ort, um über die klimatische Notwendigkeit der neuen nichtfossilen Energiequellen zu referieren.

Windanlage als No-Go in Natur- und Kulturlandschaft

Die Argumente fanden durchaus Gehör. Die Gegner räumten etwa in einem Positionspapier ein, der Ausbau von Windkraft oder Photovoltaik sei in Zukunft notwendig, um Abhängigkeiten von fossiler Energie zu substituieren, doch "Industrieanlagen mitten im Wald, in nahezu unberührter Natur- und Kulturlandschaft, angrenzend an ein Vogelschutzgebiet" seien ein absolutes No-Go. Für derartige "Monsterprojekte" würden sich andere Bundesländer wie Niederösterreich oder das Burgenland eher eignen.

Die Gemeindevertretung verhielt sich neutral. Bürgermeister Friedrich Fledl (ÖVP) hielt sich bewusst heraus – gab nicht einmal bekannt, ob er dafür oder dagegen sei. In der Energiebranche stieß das auf Unverständnis. So kritisiert der Konzernsprecher der Energie Steiermark, Urs Harnik, es liege in der Verantwortung der gewählten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, sich zu einem Infrastrukturprojekt zu positionieren. "Natürlich sollen basisdemokratische Instrumente miteinbezogen werden, aber an der Gemeindespitze nur neutral zu sein ist zu wenig", so Harnik. Denn da entwickle sich der Konflikt, dass die regionale Politik die Vorgaben des Landes, das sich wie in der Steiermark dezidiert für einen Ausbau der Windenergie ausspricht, auf lokaler Ebene nicht weitertrage.

Zustimmung grundsätzlich hoch

Die Ablehnung neuer Energie- oder Bergbauprojekte in der Nachbarschaft ist ein Phänomen, das bereits einen Namen hat: "Not in my backyard", kurz NIMBY – nicht in meinem Hinterhof. Das heißt, dass die Bevölkerung wichtige Infrastruktur zwar grundsätzlich befürwortet – aber eben nicht in der eigenen Umgebung, so wie auch im Fall von Gaal.

Für die Energiewende in Österreich sind solche Abstimmungen in den Gemeinden allerdings nicht der große Hemmschuh, erklärt Martin Jaksch-Fliegenschnee von der IG Windkraft. "Es ist schade, dass das Projekt nicht umgesetzt wird, aber Grund zum Kopfzerbrechen gibt uns dieser Fall nicht." Insgesamt würden rund zwei Drittel der Abstimmungen zu neuen Anlagen positiv ausgehen, ein Drittel negativ. Die Zustimmung zur Windenergie sei in der Steiermark die höchste von ganz Österreich, so Jaksch-Fliegenschnee. Allein die Energie Steiermark hat derzeit 50 Windräder im Genehmigungsverfahren, 50 weitere in Planung.

Windenergie Jahresproduktion vs. Ausbauziel in TWh | in Österreich
Die Bundesregierung plant, dass die Windkraft ab 2030 jährlich 17,22 Terawattstunden Strom liefern soll. Heute erzeugen die bestehenden Anlagen 7,26 Terawattstunden.
Klimadashboard Österreich / Der Standard

Dennoch gehe es viel zu langsam, warnt Jaksch-Fliegenschnee. Derzeit schaffe Österreich rund die Hälfte des jährlich anvisierten Ausbaus. Einerseits seien die Kosten deutlich gestiegen – Windanlagen sind heute um 30 bis 40 Prozent teurer als vor der Pandemie –, andererseits schaffe das neue Prämienfördermodell Unsicherheiten für die Betreiber. Außerdem gebe es Unstimmigkeiten zwischen den Ausbauzielen des Bundes und jenen der Länder. So hat die Regierung festgelegt, dass die Windkraft bis 2030 17,22 Terawattstunden Strom liefern soll – welches Bundesland wie viel erreichen soll, ist nicht definiert. Die selbstgesteckten Ziele der Länder reichen für das gemeinsame Ziel nicht aus.

Einen verpflichtenden Verteilungsschlüssel sollte das neue Klimaschutzgesetz liefern. Es ist seit zweieinhalb Jahren überfällig. (Walter Müller, Alicia Prager, 14.6.2023)