Zu sehen ist eine Demonstration von Freizeitpädagogen in Wien. Viele Menschen halten Schilder in die Höhe. 
Über 2000 Freeizeitpädagoginnen und -pädagogen haben am Donnerstag in Wien gestreikt. Gemeinsam demonstrierten sie im Anschluss mit Lehrkräften und Familien beim Aktionstag Bildung
Christian Fischer

Am Donnerstagnachmittag war in Wiens Horten und Ganztagsschulen nur wenig los. Dafür umso mehr im Resselpark vor der Karlskirche. Ausgestattet mit Trillerpfeifen, Trommeln und Transparenten, in orangefarbenen Warnwesten, versammelten sich mehr als 2000 Freizeitpädagogen zur Streikkundgebung. Zur gleichen Zeit kamen auch in Graz Nachmittagsbetreuer zum Streik zusammen, andernorts fanden Betriebsversammlungen statt (siehe Infobox).

Hunderte Freizeitpädagoginnen und -pädagogen traten am Donnerstag in den Streik und protestierten in Wien gegen geplante Änderungen im Bildungswesen.
DER STANDARD

Man kämpfe gegen die Pläne von Bildungsminister Martin Polaschek für die Freizeitpädagogen, ruft Selma Schacht ins Megafon. Sie ist Betriebsrätin von Bildung im Mittelpunkt, einem Anbieter im Eigentum der Stadt Wien, der hier 2300 Freizeitpädagogen beschäftigt. Künftig sollen diese als sogenannte Assistenzpädagogen auch im Unterricht im Einsatz sein, nicht nur in den Freizeitteilen der Schule. "Wir wollen eine offizielle Zusage, dass diese absurde Novelle so nicht kommt." Letztlich kämpfe man für die Zukunft der Kinder und ein Bildungssystem, das "schon lange reformiert gehört". Pfeifende und rufende Zustimmung aus der Menge, unter die sich viele Familien gemischt haben.

Auch Familien protestieren

Darunter ist die Schülerin Zoë T., die mit ihrer Mutter, einer Freizeitpädagogin, bei der Kundgebung ist und der die orangefarbene Weste bis zu den Knien reicht: "Ich will meiner Mama helfen, der ihr Job Spaß macht. Und ich will meine Freizeitpädagogin im Hort behalten, die mit uns Ausflüge und tolle Spiele macht." Ihre Mutter will dafür kämpfen, dass ein funktionierendes System nicht abgeschafft wird. Dass die Pädagoginnen mit ihnen basteln, in den Garten gehen oder grillen schätzen auch die Schüler der verschränkten Ganztags-Volksschule Kirschenallee, die für ihre Betreuerinnen Schilder gebastelt haben.

Auch der neue SPÖ-Chef Andreas Babler zeigt sich bei der Kundgebung solidarisch mit dem Arbeitskampf der Pädagogen. Sie leisteten einen wichtigen Job, betont er. "Eigentlich müssten wir den Bereich verstärken, nicht abqualifizieren. Da gibt es viele Menschen in der Regierung, die solche respektlosen Vorschläge machen, denen gar nicht bewusst ist, was es heißt, für 25 Kinder allein verantwortlich zu sein", sagt Babler zum STANDARD. Viel Zeit hat er nicht: Viele Teilnehmende wollen Selfies mit ihm machen.

Auch die Technik an Schulen wird bemängelt.
Privat

Unterdessen skandiert die Menge: "Wir sind streikbereit, Freizeitpädagogik bleibt" – bevor sie sich mit ihrer Demonstration dem Aktionstag Bildung anschließen. "Ich bin streikbereit" ist auch der allgemeine Tenor beim "Bildungspicknick" im Wiener Sigmund-Freud-Park. Etliche Teilnehmende, die sich dort zum Aktionstag Bildung versammelt haben, tragen das Statement auf Buttons. Das Schild "Bildung für alle, sonst gibt’s Krawalle!" liegt bereit. Spätestens wenn die Demonstration der Freizeitpädagoginnen und -pädagogen einzieht, wird es in die Höhe gehalten werden. 

Eine Forderung nach mehr Personal, Geld und Visionen.
Privat

Bundesweiter Aktionstag

Noch ist es ein friedlicher Protest. Pfeifkonzerte, Gitarrenklänge und Kinderstimmen wechseln einander ab. Organisator Michael Doblmair schätzt die Zahl der Anwesenden auf rund 2000. Mehr als 60 Bildungsorganisationen haben im Vorfeld bundesweit zum Aktionstag aufgerufen. Gemeinsam will man die Missstände im Bildungswesen aufzeigen und "inklusive Bildung und bessere Aufwachs-, Lern- und Arbeitsbedingungen" einfordern. Und sie haben viel zu sagen.

Die 52-jährige Ruth hat ihr Schild korrigiert und drei Auslassungszeichen bei "Lehrerinnen, Geld und Visionen" ergänzt. Seit 30 Jahren ist sie Lehrerin. "Man merkt, wenn man lange dabei ist, wie schlecht das Bildungssystem geworden ist", sagt sie. Die Klassen würden größer werden, das Personal dafür weniger. Sie fordert mindestens zwei Lehrkräfte pro Klasse. Zudem solle der Bildung "von oben" mehr Wert beigemessen werden.

Das Kollegium der Volksschule Löwenschule Aspern ist geschlossen vor Ort.
Privat

Geschlossen anwesend ist das Kollegium der Volksschule Löwenschule Aspern im 22. Bezirk. "Wir brauchen alles, was wir kriegen können für Kinder mit besonderen Bedürfnissen", betonen sie im STANDARD-Gespräch. "Was hier passiert, ist nicht Inklusion." Und: "Wir schaffen das nicht allein." Dass viele Eltern mit ihren Kindern anwesend sind, stimmt sie hoffnungsvoll.

Weitere Proteste in Planung

Auch Gewerkschaftsfraktionen sind vor Ort. Für Thomas Krebs, Vorsitzender der Wiener Pflichtschullehrervertretung, ist es ein positives Zeichen, dass so viele Organisationen mit unterschiedlichen Ideologien zusammenstehen. Er sei gespannt, wie viele Menschen tatsächlich bereit seien, Maßnahmen zu setzen. Auf das Thema Streik angesprochen, verweist er darauf, "Kampfmaßnahmen in petto halten" zu müssen. Hannes Grünbichler von der unabhängigen Gewerkschaftsfraktion Öli-UG zeigt sich offensiver: "Streik ist ein Thema, das angedacht werden muss." Als Vorbild sieht er die Freizeitpädagoginnen und -pädagogen, die nicht "lange gefackelt" hätten.

Mario Ferrari, Geschäftsführer der Gewerkschaft gpa Wien, zeigt sich stolz bei der Streikkundgebung: "Die Freizeitpädagogen treten für sich ein und streiken zurecht." Ferrari ärgert es, dass die Politik "nur über die Berufsgruppe spreche, aber nicht mit ihr". Deshalb sei es das Ziel, mit dem Streik Druck zu machen, um mit dem Bildungsminister ins Gespräch zu kommen. Bei den Verhandlungen - noch gebe es keinen Termin - möchte Ferrari klarmachen, dass die Pläne nicht funktionierten und es mehr Geld in dem Bereich brauche. Sein Vorschlag: Die Superreichen besteuern und das Geld ins Bildungssystem stecken.

Der Protesttag wurde seit zwei Monaten geplant und ist für die Mitorganisatoren Angie Weikmann und Michael Doblmair ein wichtiger Schritt. Damit soll es aber nicht getan sein. "Es muss weitere Aktionen im öffentlichen Raum geben", sagte Weikmann dem STANDARD im Vorfeld. "das kann der Beginn einer neuen Bewegung sein." Nach dem Aktionstag will man sich im Bündnis auf gemeinsame inhaltliche Positionen einigen. Weiter Aktionen sind bereits geplant: Am Montag streiken die Freizeitpädagogen in Kärnten, kündigt Betriebsrätin Schacht an. (Selina Thaler, Anna Wiesinger, 15.6.2023)