Ich stehe an einem verregneten Nachmittag im Mai in einer Sandkiste in Wien-Ottakring. Zum wiederholten Mal fällt mir auf: Obwohl nicht viele Kinder da sind, haben drei von ihnen genau die gleiche Jacke an. Das Motiv der bunten Monster auf grünem Grund fällt mir nicht zum ersten Mal auf. Es prangt auch auf Matschhosen und Leggins, die es bei der Kaffee- und Einzelhandelskette Tchibo zu kaufen gibt. Verwunderlich ist das nicht. Auch ich schaue regelmäßig "nur kurz" durch das Angebot – und bin am Ende ein Opfer in dieser Hochburg für Impulskäufe.

Bei Tchibo zu stöbern, ist mein heimliches Vergnügen. Heimlich, weil es mir irgendwie peinlich ist – aus der Zeit gefallen kommt es mir vor. Viele, mit denen ich spreche, stimmen mir zu. Aber warum? Und wieso gehen wir alle dennoch hin und kaufen Sachen, von denen wir nicht wussten, dass wir sie brauchen werden wollen?

Was gibt es bei Tchibo eigentlich nicht?
Foto: Christian Fischer

"Spielzeugladen für Muttis"

"Irgendwo in mir drin gibt es den Wunsch, so eine Hausfrau zu sein, die Zeit für Nordic Walking hat und gerne bäckt", sagt meine Kollegin Olivera, die sich als Tchibo-Fan outet – und nennt den Store "einen Spielzeugladen für Muttis". Sie und ihre Schwestern seien regelrecht süchtig, erzählt sie. "Ich habe schon unzählige Backutensilien gekauft, die ich dann nie verwende", erzählt Oliveras Schwester Vesna, die am liebsten aus Tassen von Tchibo trinkt und unzählige davon besitzt.

Vesna kauft bei Tchibo am liebsten Tassen.
Foto: privat

Auch mich zieht der Tchibo-Katalog in seinen Bann: Was haben sie diesmal, und könnte ich es brauchen? Ich erwische mich bei Gedanken wie: Könnte auch ich einen schönen Ostertisch decken, einen Campingurlaub machen oder mein Bad zu einer Wellnessoase umgestalten? Alleine die Vorstellung löst ein wohliges Gefühl aus. Doch in Wahrheit "ist Tchibo das Geschäft für ein Leben, das ich nicht führe", sagt Olivera, und ich stimme ihr zu.

Viele spricht auch die Ästhetik der Produkte an: gedeckte Farben, minimalistische Formen. Manches sieht mehr nach teurem, dänischem Design aus als nach deutschen Schnäppchen. "Die Produkte sind praktisch und schön, und manches ist einfach witzig", sagt meine Freundin Agnes, als ich sie besuche, und sie holt eine ganze Reihe Tchibo-Produkte aus ihren Küchenkastln, darunter ein Picknickbesteck, eine Teigspachtel mit Händen und Hintern und eine Dauerbackmatte, die Pommes extra knusprig machen soll. "Sie ist eigentlich unnötig und funktioniert auch nicht wirklich. Aber wenn ich das im Geschäft sehe, denke ich mir immer: 'Wow, klingt extrem praktisch!'"

Agnes holt ihren Fehlkauf aus dem Backrohr: die Pommes-Backmatte.
Foto: Bernadette Redl

Der Avocadoschneider!

Das dürften viele kennen, und so liegt wohl in vielen Schubladen des Landes ein Tchibo-Produkt, das dort verstaubt. So auch bei Eva. Ein Gemüseschneider, der wie ein Bleistiftspitzer für Gurken aussieht, ist ihr Fehlkauf. "Manchmal ist halt ein Schas dabei", sagt sie. Kleidung kauft sie oft und gerne bei Tchibo, Qualität, Preis-Leistungs-Verhältnis und die Passform seien gut.

Eva ist Fan vom Tchibo-Gewand.
Foto: privat

Bei Tchibo, das 1997 den Konkurrenten Eduscho übernommen hat und diesen Markennamen bis heute weiterführt, scheint es für jedes nicht vorhandene Problem eine Lösung zu geben: eine Teebeutelpresse, ein Handtuchkleid oder ein Avocadoschneider. In den sozialen Medien gibt es Accounts, die sich ausschließlich den unnützen Produkten des Einzelhändlers widmen.

Beim Unternehmen selbst nimmt man es mit Humor: "Wir sehen das als Möglichkeit, Feedback zu bekommen", erzählt Österreich-Geschäftsführer Erik Hofstädter bei einem Treffen im neu umgestalteten Concept-Store in Wien-Gersthof. Hier bemüht sich das Unternehmen um Coolness: Weinkisten im Vintagelook, viel Grün, schwarze Regale. Das Unternehmen will eine jüngere Zielgruppe erreichen. Denn auch Tchibo steht unter Druck. Zuletzt wurde bekannt, dass in Deutschland 300 Stellen gestrichen werden. Neben den aktuellen Krisen kommt bei Tchibo das Tupperware-Phänomen hinzu: Die klassische Hausfrau gibt es immer seltener – und mit ihr schwindet die wichtigste Käuferinnengruppe. Auch deshalb stellt sich Tchibo breit auf. Der Kaffee ist für etwa 50 Prozent des Umsatzes verantwortlich, doch verkauft werden auch Kleidung, Outdoorbedarf, Reisen, Mobilfunkverträge, Autos, Möbel, Gartenbedarf, Kontaktlinsen und seit neuestem sogar Häuser.

Erik Hofstädter ist Geschäftsführer von Tchibo.
Foto: Christian Fischer

Expertinnen für alles

Für die Mitarbeiterinnen ist das herausfordernd, wie mir eine Frau erzählt, die seit fast 30 Jahren dabei ist und anonym bleiben will. Sie ist zufrieden, macht ihre Arbeit mit Herzblut, wie sie sagt, aber es sei ein Knochenjob, der zuletzt immer anstrengender geworden sei. "Wir müssen Expertinnen für alles sein, langsam wird es zu viel für mich." Die Jungen zu ködern gelinge ihrer Meinung nach nicht: "Im Fitnessstudio sehe ich nur Pensionisten in Tchibo-Sachen." Was ihr die größte Freude bereite, seien die Stammkunden - auch wenn die ihr manchmal das Gefühl geben, sie arbeite in der Seniorenbetreuung, schmunzelt sie: "Sie gehören zum Inventar und sind dankbar, dass sie jemanden zum Reden haben, das erfüllt mich."

Trotz der bemühten Jugendlichkeit will Tchibo die Stammkunden nicht verlieren. Sie bestellen hier Tag für Tag ihren Verlängerten, wie auch ein älterer Herr. Der Ort hier in Gersthof sei ein Grätzel-Treffpunkt. "Wir sind zwei Gruppen, eine um neun und eine um zehn Uhr, es ist informell und gemütlich", sagt er und freut sich, dass die Mitarbeiterin seine Bestellung schon kennt.

Neben 130 Filialen gibt es in 800 Supermärkten in Österreich ein Tchibo-Regal, in denen die Produkte verkauft werden. "Ich kann keinen Supermarkt verlassen, ohne in dieses Regal zu schauen. Es ist wie ein Zwang", sagt Olivera, und Hofstädter erklärt das Prinzip dahinter: "Für die Menschen, die dort etwas mitnehmen, ist es eine Art Belohnung, die den Lebensmitteleinkauf verschönert", sagt er – und ich weiß genau, was er meint, und fühle mich dabei ein bisschen ertappt. (Bernadette Redl, 16.6.2023)