Salzkammergut, Berlin, München, Venedig, Graz, Budapest, Wien und retour nach Ischl. Der Terminkalender von Intendantin Elisabeth Schweeger platzt 200 Tage vor der Eröffnung der Europäischen Kulturhauptstadt aus allen Nähten. "Wir liegen im Zeitplan. Das Programm ist abgeschlossen. Wir gehen jetzt in die Gemeinden und stellen das Programm vor", erzählt Schweeger im Café Museum. Schräg vis-à-vis prangt auf der Wiener Secession in goldenen Lettern "Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit." Wie sich Kunst in der gegenwärtigen Zeit darstellen sollte, darüber scheiden sich im Salzkammergut noch die Geister.

Der EU-skeptische und widerständige Landstrich, mit dem vor allem Berge, Seen, Sommerfrische, Kaiser-Kitsch und Habsburger-Nostalgie verbunden werden, fremdelt noch mit der Vorstellung im kommenden Jahr kulturelles Aushängeschild Europas zu sein. "Der Gegenwind ist groß, aber das ist bei allen Kulturhauptstädten so", formuliert es Hubert von Goisern jüngst beim Städtetag in Ischl. Kulturhauptstadt sei eben nicht nur ein rauschendes Fest, sondern auch Konfrontation.

Lehar-Villa am Traunufer. Sanierung läuft.
Foto: Johannes Bruckenberger

Tradition und Widerstand

"Kulturhauptstadt ist kein Feuerwerk für ein Jahr, sondern ein Prozess. Das Kulturhauptstadtjahr ist der Startschuss", sagt Hannes Heide. Vom früheren Ischler Bürgermeister und EU-Abgeordneten der SPÖ kam die Idee zur Bewerbung.

"Das Salzkammergut ist durchsetzt von schmeichlerischem Anbiedern im Norden und rebellisch wallendem Blut im Süden. Nördlich des Löwendenkmals wird daher eine dünne, oftmals bloß reproduzierende Kultursuppe gekocht. Von Ebensee abwärts hingegen verhindern Tradition, Widerstand - und auch Alkohol -, dass aus dem fett vorhandenen Kulturkönnen nachhaltig Neues entstünde", schätzt der ehemalige "profil"-Herausgeber und Ebenseer Christian Rainer die Stimmung ein. Rainer weiß, wovon er spricht. Nach einer Diskussion über Kulturhauptstadt, Erinnerungskultur und Ebensees NS-Geschichte mit seinem Konzentrationslager wurde der "Schreiberling" in einem Gasthaus handgreiflich vor die Tür gesetzt.

"Kulturhauptstädte bergen ein Erregungspotenzial in sich. Man wird immer Gegner haben", macht sich Schweeger keine Illusionen. Der Wind habe sich aber gedreht. "Ich glaube die Menschen merken schon, dass wir alle für die Region und nicht gegen die Region arbeiten", so die Kulturmanagerin, die in den vergangenen 30 Jahren Projekte zwischen Frankfurt und Linz durchzog.

"Alles begründet sich auf Salz und die Sonne" ist als Inschrift auf der Ischler Trinkhalle zu lesen.
Foto: Johannes Bruckenberger

Die große Enttäuschung

Vor allem die strenge Auswahl der Kulturprojekte – bei einem Open Call schafften es von 900 Projektideen nur rund 100 ins Programm – hat für Enttäuschung gesorgt. Wer etwas beitragen will, wird als Bittsteller behandelt, so der Vorwurf Richtung Schweeger. Es fehle die Bereitschaft zur Kommunikation auf Augenhöhe. Dazu kamen eine hohe Fluktuation im Organisationsbüro und ein öffentlichkeitswirksamer Disput zwischen den Komitee-Mitgliedern Hannes Androsch und Hubert von Goisern. "Streitkultur gehört dazu", erklärt Schweeger.

Einer, der die Kritik der regionalen Kulturszene artikuliert, ist Alexander de Goederen. Der Ischler hat ein Indie-Label und das Wiener Fluc gegründet, ist inzwischen in seine Heimat zurückgekehrt und hat die alte Kurdirektion angemietet. Dort betreibt er eine Buchhandlung, organisiert Konzerte und Lesungen. Der jüngste Leipziger Buchpreisgewinner Dinçer Güçyeter hielt hier seine einzige Österreich-Lesung.

"Das Inkludieren der hiesigen Bevölkerung gelingt einfach nicht. Mit Kulturinstitutionen, die sich mit Gegenwartskultur beschäftigen, ist nicht einmal geredet worden", kritisiert de Goederen. "Beim Thema Erinnerungskultur nimmt man das, was am meisten bekannt ist und wo das Salzkammergut eine heroische Rolle zu verkaufen hat. Man nimmt nicht das, was weh tut." De Goederen vermisst etwa eine Auseinandersetzung mit Wilhelm Haenel, Hauptverantwortlicher für "Arisierungen" im Salzkammergut. Und dass in Ischl ein unkommentiertes Denkmal für den Antisemiten und Landeshymnen-Dichter Franz Stelzhamer steht – an der Esplanade gleich hinter der Konditorei Zauner – "geht sich mit einer Kulturhauptstadt nicht aus".

Hannes Heide vor dem Lehar-Theater. Kulturhauptstadt-Aufsichtsratsvorsitzender, Ex-Bürgermeister und EU-Abgeordneter.
Foto: Johannes Bruckenberger

Unversöhnliche Lager

Auch an der Ischler Stadtpolitik lässt de Goederen kein gutes Haar. "Wenn man nicht einmal in der Lage ist, für eine Kulturhauptstadt an einem Strang zu ziehen, hat man das Thema verfehlt." Der Kulturmacher spricht aus, was viele in der Gegend denken: Die Ischler Stadtpolitik als Klotz am Bein der Kulturhauptstadtplanungen.

Seit der Bürgermeister- und Gemeinderatswahl 2021 herrscht Dauerwahlkampf. Der SPÖ-Dissident Hannes Mathes trat damals mit ÖVP-Unterstützung gegen die amtierende SPÖ-Bürgermeisterin Ines Schiller an. Die hatte das Amt erst Anfang 2020 von ihrem Lebensgefährten Hannes Heide übernommen, der ins EU-Parlament gewechselt war. Mathes, damals noch SPÖ-Mitglied, hatte im Zuge der dynastischen Nachfolgeregelung das Nachsehen. Bei der Gemeinderatswahl holte Mathes eine knappe Mehrheit, den Bürgermeistersessel verfehlte er nur um 63 Stimmen.

Die verfeindeten Lager stehen sich seither unversöhnlich gegenüber. Streit, Diffamierungen, Anzeigen und persönliche Attacken prägen die politische Debatte. Über Schiller und Heide, die nach wie vor ein Paar sind, werden Gerüchte gestreut, die den höchstpersönlichen Lebensbereich verletzen. Schiller muss sich – wie viele Bürgermeisterinnen in Österreich – den Macho-Vorwurf gefallen lassen, dass sie ihre Kinder vernachlässige. Gewühlt wird bis in die tiefsten Sedimentschichten der politischen Schmutzkübel.

Bad Ischls Zentrum. Pfarrgasse mit Konditorei Zauner, Rathaus und katholischer Pfarrkirche.
Foto: Johannes Bruckenberger

Ein rücksichtsloses Hauen und Stechen

Viele der 14.250 Einwohner erleben das kommunalpolitische Klima als toxisch. Günther Kaindlstorfer, Kulturjournalist und Autor mit Ischler Wurzeln, kennt kaum jemanden in Ischl, "dem das rücksichtslose Hauen und Stechen nicht brachial auf die Nerven geht". Mit Mathes‘ ÖVP-Liste habe eine Art "Trumpismus light" und "provinzielle Obstruktionspolitik" in der Stadt Einzug gehalten.

Während die SPÖ beklagt, dass die ÖVP alle Projekte und Beschlüsse im Gemeinderat torpediere und verzögere, spricht man auf ÖVP-Seite von notwendiger Oppositionsarbeit nach Jahrzehnten roter Allmacht.

Schiller regiert – ohne Koalitionsabkommen – die Stadt mit einer rot-grünen Mehrheit. Ständige Angriffe auf die Bürgermeisterin sind die eine Seite. Die andere Seite: Fehler und fragwürdige Vorgänge im Stadtregierungsapparat bieten der Totalopposition der ÖVP genügend Angriffsflächen.

Kulturhauptstadt-Intendantin Elisabeth Schweeger.
Foto: Johannes Bruckenberger

Abstimmungspannen

Der Kauf des sanierungsbedürftigen Lehartheaters zieht sich wegen wiederholter Abstimmungspannen über Monate hin, bis die Stadt das klassizistische Schmuckkästchen von einer Eigentümer-Gruppe übernimmt, zu der auch Hannes Heide gehört. Gestritten wird auch über die Kosten der Sanierung. Zunächst werden 19 Millionen genannt, nach Kritik von Stadt-ÖVP und Land sind weniger als 10 Millionen geplant. Während des Kulturhauptstadtjahres sollte das Lehartheater eigentlich eine Leuchtturm-Rolle spielen, nun wird es Veranstaltungen in zerschlissenem Interieur und ohne Toiletten geben.

Verzögerungen gibt es auch rund um ein Hotelprojekt, das 2024 erste Gäste beherbergen sollte. Statt des fertigen Baus erwartet Ischl-Besucher eine Großbaustelle hinter dem Kongresshaus. Auseinandersetzungen gab es auch um ein geplantes neues Schulzentrum sowie um Parkraumbewirtschaftung und Verkehrskonzepte. 15 Prozent mehr Gäste werden im Kulturhauptstadtjahr erwartet. Offene Mobilitätsfragen müssen geklärt werden, damit Ischl nicht wie das 20 Kilometer entfernte Hallstatt im Verkehr erstickt.

Kulturhauptstadt-Kritiker Alexander de Goederen.
Foto: Johannes Bruckenberger

Ein G’schmäckle in Bad Ischl

Zuletzt sorgte auch noch das von der SPÖ präsentierte Stadtbudget für Diskussionen. Dort wurde eine Million Euro Transferzahlung der Bad Ischler Sparkasse eingebucht, ohne die das Stadtbudget ins Minus rutschen würde. Für Sponsoring einer Sporthalle, wie die Bürgermeisterin erklärte. Eine Vereinbarung mit der Bank gab es nicht, der tatsächliche Werbewert für das Sponsoring dürfte zudem weit unter der veranschlagten Million liegen. Pikantes Detail: Ex-SPÖ-Bürgermeister Helmut Haas ist Aufsichtsratspräsident der Sparkasse Bad Ischl, Hannes Heide sein Stellvertreter. Optik - kein Wert aus Ischl.

Die jüngsten Gemeinderatssitzungen endeten regelmäßig in Zwist und Chaos. Äußern Bürgerinnen und Bürger öffentlich ihre Meinung zu umstrittenen Themen, werden sie von der jeweiligen Gegenseite zur Rede gestellt. Etliche Mitstreiter von Mathes‘ ÖVP-Liste – darunter ein Stadtrat – haben inzwischen entnervt das Handtuch geworfen, weil sie des Dauerstreits überdrüssig sind. Schiller wiederum schaltete im Namen der Stadtamtsmitarbeiter unter dem Motto "Nein zur Dauerschikane" ein Inserat in Lokalmedien. Gemeindemitarbeiter, die davon aus der Zeitung erfuhren, sahen sich für politische Machtspiele missbraucht. Und Lokaljournalisten, die einfach nur ihren Job machen, wurden von der Bürgermeisterin öffentlich zur Rede gestellt und heruntergeputzt. Normaler Diskurs ist kaum mehr möglich.

Den Bürgerinnen und Bürgern reicht‘s

Viele Bürgerinnen und Bürger haben von dem Schauspiel inzwischen genug. Wann darf die Bevölkerung endlich mit einem sachlichen und konstruktiven Umgang rechnen, so der Tenor einer öffentlichen Fragestunde im Stadtparlament. In Leserbriefen wird regelmäßig Unmut artikuliert. Da wird einmal das "Gemeinderatskabarett" beklagt, ein anderes Mal ein Mediator empfohlen, "wenn ihr es schon nicht alleine auf die Reihe bekommt". Sogar der Ischler Pfarrer mahnte bei einer Predigt in Don Camillo-Manier zum Miteinander in der Ischler Stadtpolitik. "Eine Provinzposse mit mittlerweile schwerwiegenden Folgen", fasste die Lokalzeitung "Ischler Woche" die politische Unkultur in der Stadt zusammen.

"Für die Entwicklung der Stadt ist das nicht förderlich", analysiert auch Heide. "Alle Akteure haben im Wahlkampf erklärt, dass es ihnen um die Zukunft Ischls geht. Die Bürgerinnen und Bürger wollen das sehen." Schwierige Rahmenbedingungen vor allem für Intendantin Schweeger: "Alles ist immer gleich eine große Diskussion, alles ist eine Erregung. Das behindert uns nicht, es nervt. Man fragt sich, warum können die nicht einfach ganz normale Sachpolitik für die Bevölkerung machen."

Ein Herz für die Kulturhauptstadt

Im Salzkammergut hoffen manche auf mehr Unterstützung von Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP). Stelzer war ursprünglich gegen die Bewerbung der Region. Wenn der Landeshauptmann wie Anfang dieser Woche bei einem Auftritt in Wien vom Großkulturjahr 2024 spricht, dann ist zuerst vom Anton Bruckner-Jahr und vom 200. Geburtstag des oberösterreichischen Komponistensohnes die Rede, erst an zweiter Stelle kommt die Kulturhauptstadt.

Dass sein Herz nicht an der Kulturhauptstadt Salzkammergut hängt, die im schwarz-blau-regierten Oberösterreich als "rotes Projekt" gilt, weist Stelzer aber von sich. "Mein Herz hängt sehr an der Kulturhauptstadt. Was stimmt, es ist ein Vorhaben, das von unten entwickelt wurde, es war kein offizielles Landesvorhaben, aber seit dem Zuschlag bemühen wir uns sehr, es finanziell und mit allen anderen Möglichkeiten zu unterstützen, weil es einfach eine Riesenchance ist."

Lehar-Theater. Überfällige Sanierung wurde durch politische Querelen verschleppt.
Foto: Johannes Bruckenberger

Die Kulturhauptstadt, ein Erfolg?

Im Salzkammergut kolportierte Gerüchte, wonach Stelzer Mathes und die Ischler Stadt-ÖVP bereits eingebremst haben soll, will der Landeshauptmann nicht kommentieren. "Aus guten Gründen mische ich mich in die Auseinandersetzungen in der Kommunalpolitik nicht ein. Ich haben einen großen Ehrgeiz, dass die Kulturhauptstadt ein großer Erfolg wird, und ich tue alles dafür, was ich kann."

Ehrgeiz, den man in Ischls Stadtpolitik noch vermisst. Sechs knappe Monate haben die Verantwortlichen nun noch Zeit, um der Welt zu beweisen, dass aus einer von Hass und Missgunst durchsetzten Provinzstadt der politischen Unkultur eine würdige Kulturhauptstadt wird. "Hoamatland, Hoamatland, i han di so gern", heißt es zu Beginn von Franz Stelzhamers oberösterreichischer Landeshymne. Aber die ist eben auch vergiftet. (Johannes Bruckenberger, 18.6.2023)