Man kann alle jungen Menschen verstehen, die aus Empörung über das zögerliche Handeln im Angesicht der Klimakrise Hauptverkehrsadern blockieren, um so die Dringlichkeit ihres Anliegens ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Man kann all den Forscherinnen und Aktivisten, die tagtäglich neue erschreckende Fakten über das rasante Tempo der Erderhitzung publizieren, nur zustimmen. Und man müsste jede Maßnahme, die eine Verringerung des Treibhausgasausstoßes ermöglicht, mit kräftiger Stimme unterstützen. Ein gutes Drittel der Menschen in Österreich und anderen Industriestaaten tut das auch und ist bereit, ihr Leben im Dienste des Klimaschutzes grundlegend umzustellen.

Aber wer erreichen will, dass unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen so schnell abwerfen, wie es die Klimaziele erfordern, der darf nicht den Bekehrten predigen. Der muss die anderen erreichen. Und das ist deutlich schwieriger.

Sinnloser Protest: Aktivistinnen und Aktivisten blockierten am Donnerstag die Europabrücke auf der Tiroler Brennerautobahn.
APA/LETZTE GENERATION ÖSTERREIC

Gemeint sind nicht eingefleischte Klimawandelleugner, die mit pseudowissenschaftlichen Argumenten das Problem bestreiten. Die Mehrheit der Bevölkerung weiß, dass gehandelt werden muss, steht aber harten Maßnahmen skeptisch gegenüber – aus Bequemlichkeit, aus Angst vor den Kosten oder aus der Erkenntnis heraus, dass individuelles Tun wenig bringt und selbst Österreich oder die EU die Katastrophe ohne eine weltweite Allianz nicht abwenden können. Das führt zu Resignation und noch weniger Bereitschaft zum freiwilligen Handeln. Jeder kann, um das Klima zu schonen, mit Tempo 100 auf der Autobahn fahren. Aber wie viele tun es?

Viel mehr als bisher müssten sich Klimapolitik und Wissenschaft mit den Motiven dieser schweigenden Mehrheit auseinandersetzen und Strategien entwickeln, wie sie angesprochen und angeworben werden kann. Denn sie bestimmt das Tempo der Klimapolitik.

Politischer Gegenwind

Straßenblockaden der Letzten Generation sind sicherlich der falsche Weg. Die Klimakleber treffen zwar diese Zielgruppe, tragen aber nichts dazu bei, um sie zu überzeugen. Im Gegenteil.

Aber auch der Ruf nach einer höheren CO2-Bepreisung, das Verbot neuer Öl- und Gasheizungen, das gerade die deutsche Ampelkoalition in eine Krise gestürzt hat, und viele andere Klimamaßnahmen, die sachlich gerechtfertigt sind, schaffen so viel politischen Gegenwind, dass sie nur in stark verwässerter Form umgesetzt werden können. Das ist die Realität der Klimapolitik, in der EU, in Deutschland und in Österreich. Dieses Dilemma beraubt vor allem die Grünen jener Glaubwürdigkeit, die sie dringend für die Schaffung breiter Klimabündnisse brauchen würden. Das bekommt der deutsche Vizekanzler Robert Habeck genauso zu spüren wie der kleine Koalitionspartner in Wien.

In den USA, wo der Widerstand noch stärker ist, hat die Biden-Regierung den Weg von massiven Förderungen gewählt und dürfte damit Erfolg haben. Finanzielle Anreize scheinen auch bei uns das einzige Mittel zu sein, um Klimaschutz halbwegs populär zu machen. Aber sich allein darauf zu verlassen kostet langfristig zu viel und wirkt zu wenig.

Effektive Klimapolitik muss vom hohen moralischen Ross herabsteigen und sich auf einen ehrlichen Dialog mit andersdenkenden Bürgern und Entscheidungsträgerinnen aus allen Bereichen einlassen. Die zentrale Frage an sie sollte lauten: Wozu seid ihr bereit, und was muss dafür geschehen? Das mag frustrierend sein und Bremsern zu viel Einfluss geben. Aber wer die Klimaziele tatsächlich erreichen will, muss über solche mühsamen Routen gehen. (Eric Frey, 17.6.2023)