Anna Netrebko verlieh dem Auftakt der Jubiläumssaison in Verona besonderen Glanz – und beglückte in der Titelpartie der "Aida" 20.000 Menschen in der antiken Arena.
Ennevifoto / Arena di Verona

Das Premierenspektakel hatte schon vor dem dreifachen Sitzplatzgong begonnen: Kurz nach 21 Uhr donnerte eine Formation der italienischen Kunstflugstaffel Frecce Tricolori im Tiefflug über das antike Amphitheater und sprühte die Nationalfarben Grün, Weiß und Rot in den Abendhimmel. Einige Minuten später wiederholten die Militärjets das Schauspiel.

Anschließend sang auf der Bühne ein ebenfalls in den Tricolore-Farben gekleideter Chor die Nationalhymne Fratelli d’Italia. Giorgia Meloni, Chefin der gleichnamigen postfaschistischen Partei und seit letztem Herbst Ministerpräsidentin Italiens, hätte ihre Freude.

400 Künstlerinnen und Künstler

Die Feier der 100. Ausgabe des Opernfestivals in Verona hatten die Veranstalter mit ganz großer Kelle angerührt. Regisseur Stefano Poda, der mit Aida in der Arena sein Debüt gab, bleibt dabei unpolitisch. In den Hauptrollen – Aida und Radamès – wirkt die russische Wahl-Österreicherin Anna Netrebko souverän. Ihr Lebenspartner, der Tenor Yusif Eyvazov, bleibt solide.

Hinzu kamen 160 Musikerinnen und Musiker, ebenso viele Chormitglieder und hundert Tänzer – das Aida-Ensemble umfasste mehr als 400 Künstlerinnen und Künstler. Bezüglich Bühnenbild, Choreografie und Licht schien es, als hätte eine KI alles an Special Effects bereitgestellt, was machbar ist.

20.000 im Publikum

Die über 20.000 Menschen im Publikum bekamen in der antiken Arena nämlich fantastische Kostüme, Lasershows, eine riesige, halbdurchsichtige Hand und ein Raumschiff (oder war es ein chinesischer Spionagesatellit?) zu sehen. Sogar das Wetter leistete seinen Beitrag: Blitze zuckten und Donner grollte, wenn auch leiser als jener der Fliegerstaffel. Wegen einiger Regentropfen verzögerte sich der Beginn der über dreistündigen Aufführung um einige bange Minuten. Der italienische Staatssender Rai übertrug das Spektakel live. In Italien betrug die Quote 20 Prozent, was durchschnittlich 3,2 Millionen TV-Zuschauern entspricht. Das ist viel für eine Opern-Direktübertragung.

Verona Netrebko
Anna Netrebko (re.) als Aida in der Arena di Verona.
Ennevifoto / Arena di Verona

Die Oper ist von allen Musikrichtungen eben die italienischste, und deshalb war es auch nur folgerichtig, dass die berühmteste Filmikone des Landes, Sophia Loren, das Patronat für die Eröffnung dieses Galaabends am Samstag übernommen hat. Die Süditalienerin hatte als 19-Jährige in einer Kinoadaption von Clemente Fracassi anno 1953 selbst einmal die Aida gespielt.

Als die heute 88-jährige Diva, begleitet von Kulturminister Gennaro Sangiuliano und ihrem Sohn Carlo, die Arena betrat, wurde sie mit langen, stehenden Ovationen empfangen. "Es bedeutet für mich eine große Emotion, hier zu sein. Die Arena von Verona ist ein Symbol für die Schönheit Italiens", gab Sophia Loren zu Protokoll und bekam wohl mehr Applaus als Dirigent Marco Armiliato, der das Orchester effektvoll leitete – samt den hoch oben in der Arena stehenden zwölf Fanfarenbläsern.

Das Opernfestival von Verona ist auch ein gesellschaftliches Ereignis; in puncto Glamour folgt die Eröffnung gleich jener der Mailänder Scala. Die Verona-Organisatoren hatten vor den Eingängen zur Arena auf der Piazza Bra rote Teppiche ausgerollt, aus Rom sind die Präsidenten der beiden Parlamentskammern, fünf Minister und zwei Staatssekretäre angereist. Hollywood war mit Schauspieler Matt Dillon vertreten. Außerdem gaben sich zahlreiche italienische Kunstschaffende und TV-Größen die Ehre. Das Opernfestival war im Jahr 1913 erstmals durchgeführt worden, damals zur Feier des 100. Geburtstages von Giuseppe Verdi. In den beiden Weltkriegen und während der Corona-Pandemie war es ausgefallen.

Verona Netrebko
Rund 400 Mitwirkende im Ensemble, inmitten von ihnen und vor dem gigantischen Hand-Bühnenbild: Anna Netrebko als Aida.
Ennevifoto / Arena di Verona

Acht Operninszenierungen

Trotz des Eröffnungspomps soll das Opernfestival nach dem Willen von Veronas Bürgermeister Damiano Tommasi "ein Fest für alle Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt" bleiben. Aus diesem Grund hat der Linkskatholik und ehemalige Fußballer Tommasi – er gewann mit der AS Roma als Mittelfeldspieler 2001 den "Scudetto" und spielte zwei Dutzend Mal in der italienischen Nationalmannschaft – am Samstag auf vier Plätzen in ebenso vielen Quartieren der 250.000-Einwohner-Stadt Großbildschirme aufstellen lassen. Tausende Einheimische und Touristen harrten beim Public Viewing bis ein Uhr nachts aus.

Heuer werden im alten römischen Amphitheater u. a. Rigoletto,La traviata,Madama Butterfly und Carmen in Inszenierungen des 2019 verstorbenen Regisseurs Franco Zeffirelli aufgeführt – er hatte in seiner langen Karriere eng mit der Arena von Verona zusammengearbeitet. Highlights des Opernfestivals ist übrigens das Debüt des Philharmonischen Orchesters der Mailänder Scala am 31. August unter Dirigent Riccardo Chailly. Die legendäre Arena der großen Gefühle ist insgesamt bis 9. September geöffnet. (Dominik Straub aus Verona, 19.6.2023)