Die Schachfigur des Springers ist im Vordergrund von Computercode zu sehen und symbolisiert ein trojanisches Pferd.
Die EU-Mitgliedsstaaten wollen eine weitreichende Ausnahme für die Überwachung von Journalistinnen und Journalisten.
IMAGO/Alexander Limbach

Die Nachwehen des Pegasus-Skandals sind in der Europäischen Union bis heute zu spüren. Mithilfe der israelischen Spähsoftware wurden Journalistinnen und Journalisten, Oppositionelle und Menschenrechtsaktivisten überwacht. Zu den Kunden des Herstellers NSO Group zählten auch europäische Staaten wie Ungarn und Spanien. Das EU-Parlament startete deshalb einen Untersuchungsausschuss zum Missbrauch von Spyware, die EU-Kommission präsentierte dahingegen den European Media Freedom Act – der den Einsatz von Staatstrojanern gegen Medien, Journalisten und ihre Familien verbieten soll.

Einigen Mitgliedsstaaten geht dieser Schritt allerdings gegen den Strich, wie eine neue Recherche von Netzpolitik.org und dem Rechercheteam Investigate Europe aufdeckt. Der EU-Rat fordert demnach eine generelle Ausnahme für die "nationale Sicherheit", wie man einem Gesetzesentwurf der schwedischen Ratspräsidentschaft entnehmen kann. Diesen haben die Journalisten im Volltext veröffentlicht.

Mehr als eine Verwässerung

Zwar habe schon der Kommissionsvorschlag Einzelfallausnahmen für den Einsatz von Staatstrojanern vorgesehen, schreibt Netzpolitik.org. Die Forderung einer generellen Ausnahme für die nationale Sicherheit würde das Überwachungsverbot von Journalistinnen und Journalisten allerdings vollständig aushebeln – und die Bemühungen zunichtemachen. Konkret geht der Vorstoß auf Bemühungen von Frankreich zurück, heißt es im Bericht. Unterstützung habe es unter anderem aus Deutschland und Griechenland gegeben.

Der European Media Freedom Act soll neben dem Schutz vor Überwachung mittels Spyware auch die redaktionelle Unabhängigkeit festigen. "Die Verordnung verpflichtet die Mitgliedsstaaten, die tatsächliche redaktionelle Freiheit der Mediendiensteanbieter zu achten und den Schutz journalistischer Quellen zu verbessern", heißt es auf der Webseite der EU-Kommission. Medien sollen außerdem dazu verpflichtet werden, ihre Eigentumsverhältnisse transparent zu machen. Das solle die Unabhängigkeit redaktioneller Entscheidungen gewährleisten. Weiters sollen nachrichtliche Inhalte im Internet vor der ungerechtfertigten Entfernung geschützt werden.

"Leere Hülle"

Auf Anfrage von Netzpolitik.org sagte die deutsche Ministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne), dass die Bundesregierung "in keiner Weise" vorhabe, "die Ausspähung von Journalisten zu legalisieren". Die geforderte Ausnahme solle stattdessen sicherstellen, dass die im "Vertrag der Arbeitsweise der Europäischen Union bestimmten Kompetenzen der Mitgliedsstaaten im Bereich der nationalen Sicherheit unberührt bleiben“.

Der Europäische Journalistenverband (EFJ) sieht das offensichtlich anders. "Der jüngste Kompromissentwurf des EU-Rates zum Europäischen Medienfreiheitsgesetz birgt ernsthafte Risiken für die zentralen demokratischen Grundsätze und Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere für die Meinungsfreiheit und den Schutz von Journalisten", schreibt dieser in einer Pressemitteilung. Frankreichs Forderung mache den geplanten Schutz für Journalistinnen und Journalisten "zu einer leeren Hülle". (mick, 19.6.2023)