Es ist ein Widerspruch, der autoritäre Systeme schon oft ausgezeichnet hat und der in Russland besonders deutlich ist: Während Europa und dessen "verweichlichter" Lebensstil daheim zum Feindbild hochstilisiert werden, genießt die russische Elite oftmals Aufenthalte in Zweitwohnsitzen an mondänen Adressen in der EU. Das sollte sich ab 2014 und verstärkt ab 2022 mit den EU-Sanktionen ändern – zumindest in der Theorie.

Doch die Rotenberg Files, eine länderübergreifende Recherche von 17 Organisationen, beweisen: In der Praxis ist die Umsetzung der Sanktionen lückenhaft. Zigtausende E-Mails und Dokumente aus dem Umfeld der Oligarchenbrüder Boris und Arkadi Rotenberg zeigen, wie eine Armada an Anwälten und Finanzdienstleistern Vermögen der beiden Milliardäre verschleiert und vor dem Zugriff durch Behörden geschützt hat.

Mit wenigen Kniffen verschleiert

Das illustriert eindrucksvoll auch der Fall des ominösen Chalets in Kitzbühel, in dem laut STANDARD-Recherchen regelmäßig Maria Woronzowa, die Tochter des russischen Präsidenten Wladimir Putin, zu Besuch gewesen sein soll. Obwohl Gerüchte darüber seit Jahren kursieren, ist die Immobilie nicht von Sanktionen erfasst worden. Die Rotenberg Files legen offen, dass ein Konstrukt aus Briefkastenfirmen und Darlehen ausreicht, um die Ermittlungen der Behörden ins Leere laufen zu lassen.

Chalet in Kitzbühel
Dieses Chalet wurde mit Geld des Oligarchen Arkadi Rotenberg gekauft – er ist seit 2014 sanktioniert.

All diese Geldflüsse rund um die Kitzbühler Villa fanden innerhalb der EU statt, es geht um Briefkastenfirmen aus Zypern und ein Darlehen über Lettland. Trotz Untersuchungen im In- und Ausland haben die österreichischen Behörden das Rätsel nicht geknackt – Recherchen belegen nun, dass Arkadi Rotenberg den Hauskauf finanziert hat. Es braucht jetzt rasch Aufklärung darüber, woran die Experten des Verfassungsschutzes, der für das Aufspüren von Vermögenswerten mit zuständig ist, gescheitert sind. Und dann braucht es Reformen – in Hinblick auf die Transparenz in Zypern oder bezüglich der innereuropäischen Zusammenarbeit.

Peinliche Lücken

Dass die Besitzverhältnisse dieser Villa mitten in Europa mit derart prominenten Gästen – womöglich war auch der russische Präsident Putin selbst in Kitzbühel – so lange nicht geklärt wurden, ist mehr als peinlich. Genau wie die Wurschtigkeit der Verantwortlichen in Kitzbühel und dem Land Tirol. Sanktionen sollen jenen Oligarchen, die Putins Invasion der Krim und später der Ukraine unterstützen, ja zeigen, dass sie und ihr Vermögen in Europa nicht erwünscht sind, und sie spüren lassen, dass die Kriegstreiberei des Kreml Konsequenzen für dessen Umfeld hat. Wenn unsere Behörden sich so anstellen, lachen sich die Betroffenen ins Fäustchen. Nun gilt die alte Maxime: Je größer das Versagen, desto intensiver muss die Aufarbeitung erfolgen. (Fabian Schmid, 20.6.2023)