Frau hält ein Meeting
Die wirtschaftliche Gleichstellung von Frau und Mann liegt noch 169 Jahre in der Zukunft.
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Der Weg zur Gleichstellung von Männern und Frauen ist noch lang – und wird nicht kürzer. Statt einer Annäherung attestiert der aktuelle Gender Gap Report, den das Weltwirtschaftsforum am Mittwoch veröffentlichte, einen globalen Stillstand. Geht es in dem Tempo weiter, wird es noch 131 Jahre dauern, bis Frauen und Männer dieselben Chancen erhalten. Die wirtschaftliche Gleichstellung wird laut den Berechnungen sogar erst im Jahr 2192 erreicht sein.

Im Vergleich zum Jahr davor habe sich die Lücke zwischen den Geschlechtern nur um 0,3 Prozentpunkte verringert. Als Grund für diesen langsamen Fortschritt werden die Nachwirkungen der Pandemie genannt, die die Gleichstellung in den letzten Jahren zurückgeworfen haben. Zwar bewege man sich in manchen Bereichen wieder auf ein präpandemisches Niveau zu, aktuelle Herausforderungen wie steigende Lebenshaltungskosten und Unsicherheit am Arbeitsmarkt würden Frauen dennoch stärker belasten, sagt Weltwirtschaftsforum-Geschäftsführerin Saadia Zahidi.

Nordeuropäische Länder weit vorn

Wiewohl noch von kompletter Gleichstellung entfernt: Die Nase vorn haben traditionell die Staaten Nordeuropas. Island belegt bereits das 14. Jahr in Folge den ersten Platz und ist das einzige Land weltweit, das den Gender-Gap zu 90 Prozent geschlossen habe. Österreich rutschte hingegen im internationalen Vergleich kräftig ab. Im aktuellen Bericht belegt die Alpenrepublik nur noch Platz 47, nach Rang 21 im Vorjahr. 2013 rangierte Österreich sogar noch auf Rang 19 von damals insgesamt 136 Ländern.

Grund für den heimischen Abstieg ist vor allem die rückläufige politische Teilhabe von Frauen in Österreich – von ehemals Platz 16 auf Rang 48. Zurückzuführen ist das unter anderem auf den gesunkene Anteil an Ministerinnen in der Regierung. Einberechnet werden zudem auch Frauen als Staatsoberhäupter sowie ihr Anteil im Parlament. In den Bereichen Bildung, Gesundheit und wirtschaftliche Partizipation konnten jedoch ein paar Plätze aufgeholt werden. Unmittelbar vor Österreich rangiert in der Tabelle der südafrikanische Binnenstaat Eswatini (Platz 46), der zwölf Plätze aufholen konnte. Ebenfalls verbessert hat sich Deutschland und ist heuer Sechster statt bisher Zehnter. Verschlechtert hat sich hingegen die Platzierung der Schweiz, die Eidgenossen belegen statt Rang 13 in diesem Jahr nur mehr Platz 21.

Der mehrere hundert Seiten lange Report mit zahlreichen Tabellen bewertet jedes Jahr den weltweiten Stand der Gleichstellung zwischen Mann und Frau in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Lebenserwartung, wirtschaftliche Chancen und politische Beteiligung. Einige Werte haben sich gehalten beziehungsweise verbessert: Im Bereich Gesundheit ist die globale Gleichstellung laut Bericht zu 96 Prozent verwirklicht, im Bereich Bildung zu 95,2 Prozent. Hier gehen die Autorinnen und Autoren davon aus, dass die weltweite Parität in 16 Jahren erreicht sein kann. Die Gleichheit bei der wirtschaftlichen Teilhabe sei zu 60,1 Prozent erreicht, bei der politischen Beteiligung jedoch nur zu 22,1 Prozent.

Gläserne Decke im Job

Obwohl zuletzt mehr Frauen als Männer weltweit in den Arbeitsmarkt eingetreten sind, sind weibliche Beschäftigte deutlich öfter von Arbeitslosigkeit betroffen. Internationale Daten des Karrierenetzwerks Linkedin zeigen außerdem, dass Frauen zwar 41,9 Prozent der Belegschaft ausmachen, aber nur 32,2 Prozent der Führungspositionen einnehmen. Zwar sei die Quote von Frauen im Management in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, dieser Trend habe sich aber heuer umgekehrt und sei wieder auf den Wert von 2021 gefallen.

Auch in sogenannten Mint-Berufen (kurz für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) sind Frauen deutlich seltener vertreten, obwohl diese in der Regel besser bezahlt und am Arbeitsmarkt stark nachgefragt sind. Weltweit machen weibliche Arbeitnehmerinnen laut Linkedin nur 29,2 Prozent der Beschäftigten in dem Bereich aus. Daten der Onlinelernplattform Coursera legen zudem nahe, dass sich Frauen seltener für Kurse zur Stärkung technologischer Fähigkeiten anmelden. Das sei insofern überraschend, als dass weibliche Teilnehmende in entsprechenden Kursen schneller höhere Kompetenzniveaus erreichen würden als Männer. Maßnahmen zur Förderung von Mädchen und Frauen könnten deshalb laut Report unter anderem eine stärkere Sichtbarkeit von weiblichen Personen in Führungspositionen und Mint-Jobs sowie das Aufzeigen von Ausbildungen und beruflichen Möglichkeiten sein.

Eine wachsende Teilhabe von Frauen in Wirtschaft und Politik sei ein Schwerpunkt des diesjährigen Global Gender Gap Report, weil diese wiederum Gleichstellung in Haushalten, Gesellschaft und Unternehmen fördert. Doch auch für mehr Inklusion sowie nachhaltiges Wirtschaftswachstum sei es notwendig, für gleiche Chancen für alle Geschlechter zu sorgen.

SPÖ spricht von "Armutszeugnis", NEOS von "Totalabsturz"

SPÖ und NEOS reagierten auf den Global Gender Gap-Bericht am Mittwoch mit Kritik an der Regierung. Die Verschlechterung um 26 Plätze sei "ein Armutszeugnis für diese Bundesregierung", kritisierte die SPÖ-Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner in einer Aussendung und warf Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) fehlende wirksame Initiativen in Sachen Gleichstellungspolitik vor. Wichtige Schrauben, um in Sachen Gleichstellungspolitik voranzukommen, seien Lohntransparenz, verpflichtende Karenz für beide Elternteile und ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung.

Die NEOS sprachen von einem "Totalabsturz für Österreich" und einem herben Rückschlag für die Gleichstellung von Frauen in Österreich. Die Frauensprecherin der Partei, Henrike Brandstötter, forderte von der Bundesregierung eine umgehende Kurskorrektur und konkrete Maßnahmen wie das Angebot einer flächendeckenden und kostenlosen Ganztagskinderbetreuung ab dem 1. Geburtstag, "anstatt Frauen mit einer Herdprämie in mittelalterliche Rollenbilder zu zwingen, wie die ÖVP das tut".

Die mitregierenden Grünen sehen sich offenbar nicht für das Ergebnis verantwortlich. "Obwohl sich andere Frauenpolitik und Frauenquoten in Parteiprogrammen und Presseaussendungen auf die Fahnen heften, sind wir Grüne die einzigen, die das auch wirklich leben", erklärte die Frauensprecherin der Grünen, Meri Disoski, und verwies auf die sinkende politische Repräsentanz von Frauen in der ÖVP-Ministerriege, in Landesparlamenten und in der Kommunalpolitik. Abseits der politischen Vertretung habe Österreich bei der Gleichstellung aber in allen anderen Bereichen aufgeholt, betonte Disoski und ortet als Grund, dass die von der Regierung in den vergangenen Jahren gesetzten Maßnahmen zu wirken beginnen. Weitere Schritte könnten aus Sicht der Grünen rasch umgesetzt werden, darunter eine verpflichtende Lohntransparenz für Unternehmen ab 35 Mitarbeitern, ein bundesweiter Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen, zeitgemäße Elternkarenz- und Elternteilzeit-Modell und Unterhaltssicherung, die vor allem Alleinerziehende unterstützt.

Das Ressort von Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) äußerte Unverständnis über das Ergebnis und hinterfragte gleichzeitig die Aussagekraft des Rankings. "Die veröffentlichten Ergebnisse des Reports werden derzeit im Detail geprüft, aber klar ist schon jetzt: Österreich hat sich in drei von vier Bereichen verbessert und einzig im Bereich politische Partizipation verschlechtert, da durch Regierungsumbildungen weniger Frauen als im letzten Jahr in politischen Ämtern sind. Das ist bedauerlich, alle politischen Parteien sind hier gefordert, Mädchen und Frauen politische Teilhabe in ihren Strukturen zu ermöglichen und sie zu fördern", heißt es dazu in einer Mitteilung. (Anika Dang, APA, 21.6.2023)