Mit dem Renaturierungsgesetz will die EU-Kommission es schaffen, dass sich natürliche Lebensräume großflächig erholen können.
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Flüsse, Moore und Wälder gerieten in den vergangenen Monaten in Brüssel immer stärker ins politische Kreuzfeuer. Es geht um ein neues Ziel: Mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresflächen sollen, geht es nach der EU-Kommission, wieder als natürliche Lebensräume hergestellt werden. Trockengelegte Moore sollen vernässt und Wälder wieder aufgeforstet werden. Mit 100 Milliarden Euro will die EU entsprechende Maßnahmen der Staaten bezuschussen. Das Vorhaben gilt als ökologisches Kernstück des Green Deals, immerhin gelten über 80 Prozent der natürlichen Lebensräume in Europa als stark geschädigt. Auch soll die Verordnung das globale Artenschutzabkommen der Uno umsetzen, das die EU-Staaten vergangenes Jahr in Montreal unterzeichneten. Von den einen als Durchbruch gefeiert, lehnen andere das Renaturierungsgesetz allerdings ab.

Eine große Hürde hat das Gesetz am Dienstag genommen: Die Umweltministerinnen und Umweltminister der EU-Staaten stimmten für die Verordnung. Neben dem 20-Prozent-Ziel soll diese nun auch einen besseren Schutz gefährdeter Arten vorsehen sowie Klimawandelanpassung in Städten und Wäldern gesetzlich verankern. "Wir haben einen wichtigen Beschluss gefasst. Es geht um den Schutz unserer Lebensgrundlagen", erklärte Umweltministerin Leonore Gewessler. Die Stimmung im Rat sei sehr positiv gewesen und der Kompromiss ein besonders breit mitgetragener.

Schwierige Verhandlungen im EU-Parlament

Wie das Gesetz am Ende aber tatsächlich aussehen wird, ist noch völlig offen. Zwei wacklige Abstimmungen stehen erst noch an, nämlich jene im EU-Parlament. Die dort stimmenstärkste Fraktion, die Europäische Volkspartei (EVP), in der auch die ÖVP vertreten ist, lehnt das Gesetz ab. Damit scheint die EVP im Vorfeld der Europawahlen vor allem bei Kernwählerinnen und Kernwählern in der Landwirtschaft punkten zu wollen. Die Fraktion argumentiert, dass der Vorschlag in seiner jetzigen Form die Lebensmittelproduktion in Europa bremsen und die Lebensmittelpreise noch weiter in die Höhe treiben werde. EVP-Chef Manfred Weber forderte von der Kommission, den Vorschlag grundlegend zu überarbeiten.

In einem offenen Brief versuchten über 3000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daraufhin einige Einwände gegen das Renaturierungsgesetz – unter anderem die Gefährdung von Ernährungssicherheit – zu widerlegen. "Diese Einwände sind alle nicht richtig. Sie sind gegen jede wissenschaftliche Evidenz", hieß es dort. Auch die Internationale Union zur Bewahrung der Natur (IUCN) rief zur Unterstützung des Gesetzes auf.

Mit Spannung werden nun die nächsten Abstimmungen des EU-Parlaments erwartet. Jene im Umweltausschuss ist für den 27. Juni angesetzt, das Plenum soll sich dann am 11. oder 12. Juli final festlegen, bevor es in die Verhandlungen der EU-Institutionen geht. Eine ähnlich kritische Position wie die Europäische Volkspartei vertreten auch viele der österreichischen Bundesländer. Weil der Naturschutz auch in die Kompetenz der Länder fällt, enthielt sich Gewessler bei der Ratsabstimmung am Dienstag – sie begrüße das Gesetz zwar ausdrücklich, respektiere aber die Kritik der Bundesländer, erklärte sie nach der Abstimmung. (Alicia Prager, 20.6.2023)