Im Gastblog stellt New Yorkerin Stella Schuhmacher das Leben und Werk einer Roma-Künstlerin vor, die drei Konzentrationslager überlebte und dabei Zeugin unvorstellbarer Verbrechen wurde.

Du Du Du hast Angst
vor der Finsternis
auf diesem
langen Waldesweg, du
ich sage dir
wo der Weg menschenleer ist,
dann brauchst du dich auch nicht fürchten.

So lautet ein Gedicht von Ceija Stojka, Überlebende dreier Konzentrationslager, Roma-Künstlerin, mutige Aktivistin, engagierte Mutter, Großmutter, Matriarchin. Ihre berührenden und beklemmenden Werke sind zurzeit in der Ausstellung "What should I be afraid of?" im Österreichischen Kulturforum in New York zu sehen. Am Tag der Ausstellungseröffnung am 23. Mai 2023 wäre Ceija 90 Jahre alt geworden. 90 Originalkunstwerke, Gedichte, Erzählungen und Musik sind noch bis September 2023 zu sehen.

Das Österreichische Kulturforum zeigt mit diesem Projekt auf, dass Roma und Sinti seit 30 Jahren in Österreich den rechtlichen Status einer Volksgruppe innehaben. "Vor dem Hintergrund multidimensionaler globaler Krisen, die die menschliche Existenz herausfordern, ist der Ruf nach dem Schutz der Menschenwürde ein Leitthema unserer Kulturarbeit. Ceija Stojka hat in ihrer Kindheit und als junge Frau unsägliche Demütigungen und Traumata erlitten", sagt die Leiterin des Kulturforums, Susanne Keppler-Schlesinger. "Trotzdem schaffte sie es, ihre emotionale Stärke, ihre grenzenlose Kreativität und ihre Lebensfreude zu bewahren. Sie hat sich für ihre Rechte eingesetzt und ist damit ein Vorbild für zukünftige Generationen."

Schwarz-Weiß-Aufnahme von Ceija Stojka
Ceija Stojka (1995) überlebte drei Konzentrationslager.
Foto: Christa Schnepf

Ein Leben zwischen den Welten

Ceija Stojka (1933 bis 2013) war neun Jahre alt, als ihr Vater 1941 deportiert wurde. Er starb im Konzentrationslager Dachau. 1943 wurde dann sie selbst, gemeinsam mit ihrer Mutter und den fünf Geschwistern, über das Gefängnis auf der Roßauer Lände in das sogenannte Zigeunerlager in Auschwitz-Birkenau transportiert. Ceija Stojkas Arm wurde mit der Nummer "Z 6399" tätowiert. In den folgenden zwei Jahren wurde sie Zeugin unvorstellbarer Verbrechen und menschlicher Verzweiflung. Besonders zu schaffen machte ihr der Tod ihres jüngsten Bruders Ossie durch Typhus. Am Ende überlebte Ceija Stojka drei Konzentrationslager: Auschwitz-Birkenau, Ravensbrück und Bergen-Belsen.

Ihre Mutter bewies großen Mut und Geschicklichkeit, ihre Kinder am Leben zu erhalten. Sie fand Nahrung im Harz eines Baumes in Bergen-Belsen, in Pflanzenwurzeln oder in den ersten Trieben von grünem Gras zwischen Planken zerfallender Baracken. Bäume sind daher ein wichtiges und häufig wiederkehrendes Motiv in Ceija Stojkas Bildern. Ceija, ihre Mutter und vier ihrer fünf Geschwister überlebten den "Porajmo", das Romane-Wort, mit dem der Völkermord an den europäischen Roma in der Zeit des Nationalsozialismus bezeichnet wird. Mit Mitte 50 begann sie, ihre Erinnerungen aufzuschreiben, über sie zu singen, zu zeichnen und zu malen. Ihre Autobiografie "Wir leben im Verborgenen: Aufzeichnungen einer Romni zwischen den Welten" erschien 1988.

Flammen, Autobiografie
"Niemals werde ich eine andere", 1995.
Foto: Rebecca Fanuele. Courtesy of Galerie Christophe Gaillard, Paris

Die Elemente der Ausstellung im Kulturforum wurden aus verschiedenen Sammlungen in Europa und den USA zusammengetragen. "Die räumliche Anordnung der Zeichnungen und Gemälde soll dabei die Komplexität von Ceijas Denkweise und Emotionswelt widerspiegeln", sagt Stephanie Buhmann, eine Kuratorin der Ausstellung. "Sie selbst beschrieb, wie ihre Erinnerungen aus ihr hervorbrachen. Sie veranlasste ihre Hände oft zum schnellen Handeln; sie benutzte verschiedenste Oberflächen und Materialien, die sie zur Hand hatte: sei es Notiz- oder Zeichenpapier, Karton oder gar Leinwand", so die Kuratorin. 

Familienleben

Ein Hauptthema in Stojkas Œu­v­re ist das harmonische und abenteuerreiche Familienleben, sowohl vor der NS-Verfolgung als auch in der Nachkriegszeit. Sie wurde 1933 in einem Inn in Kraubath an der Mur in der Steiermark geboren. Ihre Familie, Vater Wackar and Mutter Sidi, waren Lovara-Roma aus dem Burgenland. Die Familie reiste durch Österreich, um mit Pferden zu handeln, Waren zu verkaufen und Wahrsagerei anzubieten. 1939 waren Ceija Stojka und ihre Familie in der Steiermark unterwegs, als sie erfuhren, dass ein Dekret erlassen worden war, das allen "Zigeunern" das Verlassen ihres Wohnortes untersagte. Sie beschlossen, nach Wien zu ziehen, wo sie von Freunden aufgenommen wurden.

Die Frau im Vordergrund in rotem Kleid ist Ceija Stojkas Mutter.
"Meine Mama Sidi war noch so jung ...", 2001.
Foto: Rebecca Fanuele. Courtesy of Galerie Christophe Gaillard, Paris

Die Werke geben einen spielerischen Einblick in das Gemeinschaftsleben der Familie, von Verwandten und Bekannten, das sich großteils um Pferdewagen herum abspielte. Das Sammeln von Brennholz und fröhliche Versammlungen in idyllischen Landschaften sind dabei wiederkehrende Motive.

Darstellung einer Szene mit Personen, Wohnwagen und Tieren in der Natur vor einem Teich.
"Untitled", 1993.
Foto: Rebecca Fanuele. Courtesy of Galerie Christophe Gaillard, Paris
Darstellung einer Szene mit Personen, Wohnwagen und Tieren in einem Birkenwald.
"Untitled", 1993.
Foto: Rebecca Fanuele. Courtesy of Galerie Christophe Gaillard, Paris

Auschwitz-Birkenau, Ravensbrück, Bergen-Belsen

Ceija Stojka überlebte die Gefangenschaft in drei Konzentrationslagern. Sie schreibt darüber in ihrer Autobiografie: "Das ist unsere neue Heimat. Es ist schon dunkel geworden, die Beleuchtung ist düster und öde. Der Stacheldraht ist mit Strom geladen. Unsere Mama sagte zu uns: 'Haltet euch immer an mir fest.' Die SS-Männer schrien: 'Im Laufschritt Marsch', sie schlugen uns auf den Rücken und pressten uns dann in eine Baracke."

Darstellung einer Szene aus einem Konzentrationslager im Winter. Soldaten mit ihren Hunden stehen Kindern gegenüber.
"Untitled (Ravensbrück)", 2001.
Foto: Rebecca Fanuele. Courtesy of Galerie Christophe Gaillard, Paris
Schienen
"Ravensbrück, Auschwitz, Bergen-Belsen", 1995
Foto: Rebecca Fanuele. Courtesy of Galerie Christophe Gaillard, Paris

Das Bild "Die schönen Frauen von Auschwitz" zeigt verängstigte Frauen, die nackt und schutzlos den empathielosen Blicken der Lagerführer ausgesetzt sind. Ihre Körper sind ausgemergelt, zum Teil blutig, im Vordergrund liegt Stacheldraht. Der Hintergrund im Bild ist lila gehalten, eine Farbe, die für Stojka häufig den Tod symbolisierte.

Ausgemergelte nackte Frauenkörper, Stacheldraht vor ihnen.
"Die schönen Frauen von Auschwitz", 1997.
Foto: Rebecca Fanuele. Courtesy of Galerie Christophe Gaillard, Paris

Zahlreiche Zeichnungen stellen das Lagerleben dar. In manchen verläuft die Linie fein und mit viel Ruhe und Detail, dann wieder mit breiten, fast schlagenden Pinselstrichen und dick aufgetragener Tinte.

Gemälde mit schwarzer Farbe
"Untitled (Bergen-Belsen)", 1995.
Foto: Rebecca Fanuele. Courtesy of Galerie Christophe Gaillard, Paris
Gemälde mit schwarzer Farbe
"Die Botschafter Gottes", Auschwitz 1943.
Foto: Rebecca Fanuele. Courtesy of Galerie Christophe Gaillard, Paris

Das Bild von Bergen-Belsen in Flammen stellt den Moment im Jahr 1945 dar, als britische Truppen nach der Befreiung das Lager aus hygienischen Gründen niederbrannten, um die Ausbreitung von Typhus zu verhindern. Nur Tage zuvor hatte Ceija Stojka sich dort noch unter einem Haufen Toter versteckt. Ein weiteres Bild zeigt das brennende Lager Birkenau.

Konzentrationslager in Flammen
"Bergen-Belsen", 1945
Foto: Rebecca Fanuele. Courtesy of Galerie Christophe Gaillard, Paris
Gemälde mit Flammen, darüber Köpfe.
"Birkenau", 1944.
Foto: Rebecca Fanuele. Courtesy of Galerie Christophe Gaillard, Paris

Von den dreiundzwanzigtausend Sinti und Roma, die nach Auschwitz deportiert wurden, starben einundzwanzigtausend, an Krankheiten, gezielter Unterernährung oder durch Vergasung in den Gaskammern. Ceija Stojka überlebte, um der Welt zu berichten: "Ich träum immer davon. Vom Stacheldraht, vom Gestöhne und vom Schreien der Menschen. Albträume. Auch der Karli träumt sehr viel. Manches Mal, wenn ich in der Früh die Augen aufmach, mein Gott, schon wieder hab ich den Geruch in der Nase von den Verbrennungen. Ja, die Träume, sie kommen ganz von allein, ohne dass man etwas tut, und man kann sie nicht so wegwischen."

Die letzte Zeile des folgenden Gedichtes von Ceija Stojka gibt der Ausstellung im Österreichischen Kulturforum ihren Namen:

auschwitz ist mein mantel

du hast angst vor der finsternis?
ich sage dir: wo der weg menschenleer ist,
brauchst du dich nicht zu fürchten.

ich habe keine angst.
meine angst ist in auschwitz geblieben
und in den lagern.

auschwitz ist mein mantel,
bergen-belsen mein kleid
und ravensbrück mein unterhemd.

wovor soll ich mich fürchten?

(Stella Schuhmacher, 28.6.2023)