Ralf Rangnick lässt Österreich jubeln, Österreich lässt Ralf Rangnick jubeln.
APA/EVA MANHART

Ralf Rangnick ist überhaupt nicht verblüfft gewesen. Es war Dienstag kurz vor Mitternacht, das höchstverdiente 2:0 gegen Schweden war eine Stunde alt. Christoph Baumgartner hatte es mit zwei Toren im Finish fixiert. Rangnick saß also verschwitzt im überhitzten Konferenzsaal des Happel-Stadions, auf eine Übersetzung ins Schwedische konnte verzichtet werden, kein Interesse.

Die erste Hälfte der EM-Qualifikation wurde souverän gemeistert, vier Spiele, drei Siege, ein Unentschieden, zehn Punkte, der Tabellenführer der Gruppe F ist eindeutig Österreich. Der schwierigste Brocken sollte weggeräumt sein. Das 1:1 in Belgien könnte das Ergebnis gewesen sein, das zumindest Platz zwei absichert. Und der reicht für die Reise zur Endrunde 2024 in Deutschland allemal.

Der 64-jährige Rangnick, der die Teilnahme als alternativloses Ziel ausgegeben hat, bleibt offiziell vorsichtig: "Wir haben jetzt die Hälfte der Spiele – in einer Meisterschaft würde man sagen: die Hinrunde – absolviert. Wenn wir in der Rückrunde genauso viele Punkte machen, sind wir dabei." Fakt ist: Es dürften auch weniger reichen. Aber Rangnick würde sich eher die Zunge abschneiden, als dies kundzutun.

Neues Denken

In der nun gut einjährigen Ära des Deutschen ist viel passiert, kein Stein ist auf dem anderen geblieben. Die Ära Franco Foda war ja mit wenigen Ausnahmen von Depression geprägt, die Nationalmannschaft langweilte die Fans und sich selbst, der Angsthasenfußball war bisweilen ein Grauen. Dabei war es praktisch das idente Personal. Baumgartner sagt: "Rangnick hat uns ein neues Denken beigebracht, wir machen uns nicht mehr in die Hose." Jeder, selbst der vierte Tormann, hat Folgendes intus: So groß kann der Gegner gar nicht sein, dass man ihn nicht schlagen könnte.

Jedem Teamchef sind natürlich die Hände gebunden, die Zeit zum Trainieren ist begrenzt. Unmittelbar vor dem Schweden-Match wurde eigentlich nur geschlafen, gegessen und getrunken. Das war die ultimative Vorbereitung, so wurden die Batterien voll aufgeladen. "Es war eine Willensleistung, die mich extrem freut und die bestätigt, dass sie vor Siegeswillen nur so strotzen. Sie sind einfach gierig. Man kann in jedem Match sehen, was wir spielen wollen, auch in Phasen, in denen es nicht perfekt läuft. Das zeigt die herausragende Mentalität und Einstellung", sagte Rangnick.

Neue Euphorie

Der Deutsche entfachte in Österreich eine Euphorie, gegen Schweden war das prinzipiell unsägliche Happel-Stadion (46.300) ausverkauft, die Stimmung passte. "Ich habe nichts dagegen, wenn Zuschauer euphorisch sind." Und die Kicker bodenständig bleiben.

Es fällt auf, dass der brillante Abwehrchef David Alaba und Co recht nüchtern resümieren. Sie sagen immer nur: "Das war gut, ordentlich." Folglich ist auch verbal Luft nach oben. Rangnick begrüßt die Zurückhaltung. "Sehr gut ist es dann, wenn man Belgien schlägt."

Das Teamgebilde passt, es gibt keine sich meidenden Lager, eine gewisse Ehrlichkeit ist eingekehrt. Marko Arnautovic hat von sich aus gesagt, sein körperlicher Zustand reiche nicht, um zwei Spiele zu absolvieren. Er hatte völlig recht. Auch Marcel Sabitzer wies darauf hin, nur ein Joker zu sein.

Über die Qualität des Kaders kann, muss aber nicht diskutiert werden. Sie ist extrem hoch. In diesem Lehrgang fehlten Konrad Laimer und Kevin Danso, der eine wurde von Bayern München verpflichtet, der andere zum besten Verteidiger der französischen Liga gewählt. Der italienische Meister Napoli ist bereits mit Lens in Kontakt getreten. Die Ausfälle von Laimer und Danso spielten weder in Brüssel noch in Wien eine gravierende Rolle, das ist höchst erfreulich, mit vollen Hosen ist leicht stinken.

Neue Mischung

Die Mischung passt, Laufmaschinen (Xaver Schlager! Nicolas Seiwald!) und Kreative ergänzen einander, wobei das eine das andere nicht ausschließt. Und dann taucht auf einmal der fast vergessene Florian Grillitsch auf. Ajax Amsterdam will ihn nicht mehr haben, der 27-Jährige ist auf Vereinssuche. Gegen Schweden wurde der Mittelfeldmann in Minute 71 eingetauscht. "In den zwanzig Minuten, in denen er gespielt hat, kann man nicht viel besser machen", sagte Rangnick, der schon im Training positive Eindrücke von Grillitsch gesammelt hatte. "Er hat gezeigt, dass er nicht nur gut kicken kann und ein guter Quarterback ist, sondern dazwischenpfeifen und Bälle erobern kann."

Die Tormannfrage könnte beantwortet sein. Alexander Schlager strahlte zweimal Souveränität aus. Der 27-Jährige ist vom LASK zu Red Bull Salzburg gewechselt. Ob er dort die Nummer eins ist, wird sich weisen. Rangnick ist optimistisch.

Neuer Wohnort

Die Quali wird am 12. September in Schweden fortgesetzt, fünf Tage davor wird in Linz gegen Moldau getestet. Rangnick bleibt gestresst, er übersiedelt in ein Haus in der Nähe von Salzburg. "Dann bin ich endgültig Österreicher. Nicht von der Nationalität, aber vom Wohnort." Und was sagte Schweden-Teamchef Janne Andersson? "Wir haben gegen eine tolle Mannschaft verloren." (Christian Hackl, 21.6.2023)

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