Spit
Vanitas und die Erkenntnis "Nichts dauert ewig".
Michella Bredahl

Am Donnerstag startet das Spit-Festival im Tanzquartier Wien (TQW). Kuratiert wird diese "Plattform für Performances, die eine maximale Sichtbarkeit von Queerness garantieren", von Lisa Holzinger und Denise Kottlett. Mit dabei sind unter anderen die brasilianische Dragqueen Madame Léa, Rebecca Merlic, Deutschland, und Lau Lukkarila aus Wien.

Diskurse zur Queerness sind heutzutage komplex angelegt. Mitgedacht werden postkoloniale Aspekte, eine grundsätzliche Kritik von binärem Schwarz-Weiß-Denken oder die Öffnung der Gesellschaft für die Gleichberechtigung unterschiedlicher Lebensweisen. Das TQW widmet sich der queeren Kunst, so wie es das Brut-Theater, das Wuk und das Impulstanz-Festival tun. Spit ist nur eine Spitze des Eisbergs. Die starke Präsenz der queeren Kultur in Wien und ihre politische Bedeutung für die liberalen Demokratien lassen die Frage aufkommen, ob es nicht an der Zeit wäre, ein entsprechendes Kulturzentrum zu gründen. Ein "Queer Cultures Quarter" (QCQ) mit Bühnen, Ausstellungs- und Diskursräumen im Zentrum der Stadt würde die Sichtbarkeit deutlich verstärken und hätte Signalwirkung.

Spit, das im TQW seine vierte, mit drei Tagen etwas knapp bemessene Festivalausgabe präsentiert, könnte mit QWien (Zentrum für queere Geschichte) ein Nukleus für die Konzeption dieses Wiener QCQ sein und dieses eines der Labore für künftiges Leben, die jetzt gebraucht werden.

Mehr Selbstachtung

Die rasante Weiterentwicklung der queeren Kulturen während der vergangenen Jahre hat viele spannende Ideen hervorgebracht wie Radical Softness (bei Spit untersucht von Helena Araúcho) statt martialischer Machoprimitivität zum Beispiel oder sexuelle Offenheit anstelle von puritanischer Zensur und Selbstachtung statt nationalistischen Soldatentums. Sicherlich kann man etliches kritisieren, was den Ideenschmieden der Wokeness-Bewegung im Allgemeinen entspringt. Aber gerade der Wille zur Sichtbarkeit bei gleichzeitigen Rufen nach "Schutzräumen" (bei Spit Natalie Ananda Assmann und Maximilian Prag) machen deutlich, dass es offene Diskussionen ohne defensive Einkapselungen braucht.

Spit ist ein Zeichen dafür, dass sich liberale Demokratien in Krisenzeiten nicht einschüchtern lassen dürfen und dass die verhärteten Filterblasen eines fauligen, sich radikalisierenden Konservativismus auch in den sozialen Medien geöffnet werden müssen.

"Nichts dauert ewig", heißt es im Festival bei Jules Fischers Performance Vanitas. Hier spiegelt der Zauber um den Zerfall die Forderung nach Veränderung, Übergängen und Verwandlungen wider. Selbst beim Essen, wie Flávia Mudesto mit der Performance Eat Meat Politically zeigt. Was das bedeutet? Ganz klar: Den Kunstschaffenden bei Spit geht es um das Feiern eines anderen Lebensgefühls. (Helmut Ploebst, 21.6.2023)