Die Journalistinnen Elena Kuch und Stefanie Lohaus, die Politikerin Rita Suessmuth (CDU), der Unternehmer Thomas M. Stein, der Moderator Louis Klamroth, der Journalist Tobias Haberl und die CDU-Politikerin Lisa Schäfer (von links) bei
Die Journalistinnen Elena Kuch und Stefanie Lohaus, die Politikerin Rita Süssmuth (CDU), der Unternehmer Thomas M. Stein, der Moderator Louis Klamroth, der Journalist Tobias Haberl und die CDU-Politikerin Lisa Schäfer (von links) bei "Hart, aber fair". Kuch und Süssmuth waren allerdings nicht Teil der Diskussionsrunde, sondern wurden nur am Rande befragt.
IMAGO/Horst Galuschka

Seit bekannt geworden ist, dass die Berliner Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen den Rammstein-Sänger Till Lindemann eingeleitet hat, wird auch im Fernsehen über "den Fall Rammstein" gesprochen. Und wie so oft bei geschlechterpolitischen Themen ist das eine ziemliche Katastrophe.

Dafür ist meist die Einladungspolitik dieser Sendungen verantwortlich, die nach sich zieht, dass über Unterschiedlichstes geredet wird – nur leider kaum über das Thema an sich. Die konkreten Vorwürfe gegen Till Lindemann, die seine Anwälte als "ausnahmslos unwahr" dementieren, ließen sich leicht auf eine Metaebene führen. Statistiken und Umfragen belegen, dass unzählige Frauen Erfahrungen mit sexualisierten Übergriffen und Belästigung haben. Zahlen über Letztere zeigen: 97 Prozent der Frauen haben schon einmal oder mehrmals sexuelle Belästigung erlebt. Auch wenn viele Formen davon nicht unter das Strafrecht fallen, reduziert sie das dennoch auf Sexobjekte. 

Worüber reden wir noch gleich?

Völlig unabhängig, was die Ermittlungen gegen Lindemann ergeben, für den die Unschuldsvermutung gilt – die Zahlen müssten für Debatten in öffentlich-rechtlichen Sendern eigentlich heißen: Holen wir die in die Sendung, die zumindest die leiseste Ahnung von diesem Problem haben. Aber nein, lieber sollen – etwa bei "Im Zentrum" vergangenen Sonntag – Musikjournalisten und Videoregisseure darüber reden, einzig für den zweifelhaften Erkenntnisgewinn: Des woar eh scho immer so.

Dasselbe Spiel einen Tag später in der ARD bei "Hart, aber fair". Ein früherer Musikmanager erklärt einmal mehr: Meine Güte, war schon immer so. Daneben ein Autor eines Buches mit dem Titel "Der gekränkte Mann" und neben ihm eine CSU-Politikerin, sie offenbar zu den drei Prozent Frauen gehört, die bisher keine sexuelle Belästigung erfahren haben. Allerdings fühle sie sich in Stadtteilen "unwohl", in denen sie die Sprache nicht spreche. Das war eine klare Anspielung darauf, vor allem Männer aus arabischen oder türkischen Communitys würden Frauen sexuell belästigen. Moment mal! Worüber reden wir noch gleich? Ach ja, über Vorwürfe dutzender Frauen gegen einen sehr reichen Mann, der der deutschen Sprache mächtig ist.

Apropos viele Vorwürfe: Der besagte Musikmanager zeigt sich in der ARD empört, dass durch die vielen Berichte einfach so ins Blaue hinein vorverurteilt würde. Doch wie gedenkt er mit Dutzenden von Vorwürfen gegenüber einem berühmten Musiker umzugehen? Stillschweigen? Diese Frage wird leider nicht gestellt.

Jenseitige Debattenkultur

Drei von vier Diskutant:innen sehen also entweder kein Problem oder halten es für unnötig aufgeblasen. Eine konstruktive Debatte? Fehlanzeige. Einzig Stefanie Lohaus, Mitherausgeberin des feministischen "Missy Magazine", kennt sich mit Geschlechterhierarchien aus, mit Fragen des Konsens beim Sex, mit den feministischen Kämpfen der vergangenen Jahrzehnte sowie damit, was sie bewirken, und sie kennt außerdem den Stand der Forschung zu geschlechterspezifischen Themen.

Doch insgesamt ist die Debattenkultur rund um Gender jenseitig, von Inkompetenz und einer seltsamen Nostalgie geprägt. Wie wäre es stattdessen mit einer Anwältin in solchen Runden, die von ihren Erfahrungen mit Sexualdelikten vor Gericht erzählt, mit einem Sexualtherapeuten, der zu berichten weiß, was mit konsensualem Sex innerhalb seiner Profession gemeint ist, mit Feministinnen, die von der Kontinuität dieser Debatten erzählen können. Und keine Sorge, selbst unter jenen, die das Problem zumindest als solches anerkennen, entsteht sicher eine Diskussion – sind doch auch Fachleute bei weitem nicht alle derselben Meinung, wie es am besten zu lösen wäre.

Doch stattdessen wird über pauschale Diskriminierung weißer Männer gejammert und die rassistische Erzählung bedient, nur nichtweiße Männer würden eine problematische Männlichkeit leben. Stattdessen gibt es Seitenhiebe auf "die Feministinnen" – ohne die beispielsweise Vergewaltigung in der Ehe noch immer kein Sexualdelikt wäre –, und es wird so getan, als ob Medienberichte über eine Person des öffentlichen Interesses die Rechtsprechung aushebeln würden. Das kann man im Sinne einer schrillen Diskussion machen, es bringt uns aber keinen einzigen Schritt weiter. Und so drehen wir uns im Kreis, dass es einer nur so schwindelig wird. (Beate Hausbichler, 24.6.2023)