In Österreich werden Arbeit und Konsum massiv besteuert, aber Vermögen, Erbschaften und Grundbesitz fast gar nicht. Dass das weder ökonomisch noch sozial vernünftig ist, darüber sind sich Experten von EU-Kommission bis zum Internationalen Währungsfonds und der OECD, einem Zusammenschluss von Industriestaaten, einig. Die Vermögensungleichheit steigt – auch in Österreich –, und die Klimakrise macht höhere Umweltabgaben dringend nötig.

Wie man mit einer ökologischen und sozial gerechten Steuerreform auch noch die Beschäftigung erhöht und so drei Fliegen mit einer Klatsche schlägt, erklärt Wifo-Steuerexpertin Margit Schratzenstaller im ausführlichen STANDARD-Interview.

STANDARD: Fangen wir grundsätzlich an. Wie viel nimmt der österreichische Staat mit Steuern ein?

Schratzenstaller: Es sind etwa 109 Milliarden Euro im Jahr. Davon geht knapp ein Drittel über den Finanzausgleich an die Länder und die Gemeinden. Die zwei größten Brocken sind die Lohnsteuer, die wird heuer mit 33 Milliarden budgetiert, und die Mehrwertsteuer, die auf 37 Milliarden kommt. Diese hat inzwischen also die Lohnsteuer überholt. Das hat mit der hohen Inflation zu tun und mit der Steuerreform, die die Lohnsteuereinnahmen senkt, hinzu kommt der Ausgleich der kalten Progression.

STANDARD: Also zwei Drittel Lohn- und Umsatzsteuer. Letztere gibt es ja in quasi jedem Land – sie ist sehr einfach einzuheben, aber ein Milliardär zahlt auf die Wurstsemmel gleich viel Umsatzsteuer wie ein Obdachloser.

Schratzenstaller: Für einen großen Teil der Verteilung wirkt die Umsatzsteuer regressiv, das heißt, die Steuerbelastung sinkt relativ mit steigenden Einkommen. Sie ist aber beliebt, weil sie eine sehr effiziente Steuer ist. Sie ist mit relativ geringem administrativem Aufwand einzuheben, und der Konsum ist eine sehr ergiebige Bemessungsgrundlage.

STANDARD: Eine beliebte linke Idee ist, Lohnsteuern zu senken und dafür die Vermögenssteuern zu erhöhen. Ist das sinnvoll?

Luxusyacht-Messe in Deutschland: "Erbschaften zu besteuern hat viele Vorteile gegenüber einer allgemeinen Vermögenssteuer", sagt Margit Schratzenstaller. Jedenfalls sinken müsse die steuerliche Belastung der Löhne und Gehälter.
IMAGO/Rupert Oberhäuser

Schratzenstaller: Das kommt nicht nur von linker Seite, sondern auch von Mainstream-Ökonominnen und -Ökonomen. Im Übrigen auch einhellig von der EU-Kommission, der OECD und dem Internationalen Währungsfonds. Das sind keine sehr linken Institutionen. In Österreich sind die Abgaben auf Arbeit hoch, auf Vermögen gering und auf Umweltverbrauch sowie Treibhausgasemissionen eher moderat. Das ist in vielen Ländern so, aber in Österreich besonders ausgeprägt. Eine Reform kann eine Mehrfachdividende bringen.

STANDARD: Was heißt das?

Schratzenstaller: Indem man die Umweltsteuern erhöht und mit den Einnahmen den Faktor Arbeit entlastet, erzielt man positive Umwelt- und Beschäftigungseffekte. Das ist eine ganz alte Idee, und dafür gibt es auf Englisch ein schönes Schlagwort: "Tax what you burn, not what you earn" (Besteuere, was du verbrennst, also fossile Energie, nicht, was du verdienst, also Löhne, Anm.). Auch eine Erhöhung von vermögensbezogenen Steuern, mit der man eine Senkung der Abgaben auf die Arbeit finanziert, hätte positive beschäftigungspolitische Effekte. Und es würde das Abgabensystem sozial ausgeglichener machen.

STANDARD: Als ich geboren wurde, im Jahr 1990, gab es in Österreich noch eine Vermögenssteuer, eine Erbschafts- und Schenkungssteuer, und die Grundsteuer war höher. Was ist seither passiert?

Schratzenstaller: Anfang der 1990er-Jahre wurde unter dem SPÖ-Finanzminister Ferdinand Lacina die Vermögenssteuer abgeschafft. Nicht nur in Österreich, allein in Europa in zehn Ländern seit 1978. Lacina hat aber gleichzeitig eine Kapitalertragssteuer (KESt), die etwa auf Zinsen und Dividenden anfällt, eingeführt. Kapitalerträge waren vorher schon steuerpflichtig, aber man musste sie nur bei der Steuererklärung angeben. Das wurde aber häufig umgangen, damals gab es noch anonyme Nummernkonten und ein sehr, sehr striktes Bankgeheimnis. Man hat also die KESt strenger exekutiert, die gleichzeitig von Teilen der SPÖ geforderte Erhöhung der Erbschaftssteuer kam allerdings nicht.

STANDARD: Und die Erbschaftssteuer, warum verschwand die?

Schratzenstaller: Das hängt mit der Bewertung von Grund- und Immobilienvermögen zusammen. Da gab es für private Haushalte – nicht für Land- und Forstwirte! – das letzte Mal 1973 eine Hauptfeststellung der sogenannten Einheitswerte, also der Steuerbasis für die Grundsteuer. Seither sind die Grund- und Immobilienpreise stark gestiegen, aber die Einheitswerte und die Steuerlast blieben gleich.

STANDARD: Ein Haus auf dem Land hat etwa einen Einheitswert von 20.000 Euro, darauf zahlt man gut 100 Euro Grundsteuer. Der echte Wert liegt eher bei 300.000 bis 400.000 Euro. Das ist so, als würde ich 100.000 Euro verdienen, aber nur für 5.000 Euro davon Steuern zahlen.

Schratzenstaller: Ganz genau. Die Grundsteuer macht wirklich nur einen kleinen Bruchteil des tatsächlichen Verkehrswerts aus. Sie wird seit den 1970ern schleichend ausgehöhlt. Wir hatten letztes Jahr 750 Millionen Euro Einnahmen aus der Grundsteuer, aber 33 Milliarden durch die Besteuerung von Arbeit. Das sind also Peanuts im Vergleich.

STANDARD: Wir waren bei der Erbschaftssteuer.

Schratzenstaller: Genau, der Verfassungsgerichtshof urteilte 2007, dass sie wegen dieser veralteten Einheitswerte nicht verfassungskonform sei. 2001 wurden die Einheitswerte zwar um den Faktor drei erhöht, aber das war noch immer meilenwert vom Verkehrswert entfernt. Alle vererbten Vermögensgegenstände, zum Beispiel ein Aktienpaket, mussten zum Marktwert besteuert werden; Grund- und Immobilienvermögen hingegen nicht. Der Gerichtshof urteilte, dass das gleichheitswidrig sei, und setzte eine Frist für eine Reform. Es war ein Appell an die Regierung Gusenbauer, an die Koalition aus SPÖ und ÖVP. Ohne eine Reform dürfe sie ab August 2008 nicht mehr eingehoben werden. Es gab keine Reform, und die Steuer war damit weg.

STANDARD: Konnte man sich in der Koalition nicht einigen?

Schratzenstaller: Das war eher eine bewusste politische Entscheidung, um die steuerliche Attraktivität Österreichs zu erhöhen.

STANDARD: Neben der Erbschaftssteuer gibt es auch die Idee einer allgemeinen Vermögenssteuer. Auch bei ihr wird der Steuerwettbewerb immer wieder als Argument dagegen angeführt. Nur Norwegen, die Schweiz und Spanien haben noch eine.

Schratzenstaller: Spanien hatte sie abgeschafft, aber wegen der Turbulenzen mit den öffentlichen Finanzen nach der Finanzkrise befristet wieder eingeführt. Sie ist immer noch nicht endgültig wieder eingeführt, sondern man hat die Frist ein paar Mal verlängert. Aber die drei sind die einzigen OECD-Länder mit einer allgemeinen Vermögenssteuer. Allerdings mit relativ mäßigen Einnahmen und immer wieder Diskussionen über Ausweichmöglichkeiten.

STANDARD: Dass Leute wegen der Steuer wegziehen, war das auch einer der Gründe dafür, warum die Vermögenssteuer in Österreich abgeschafft wurde?

Schratzenstaller: Die Verlagerung von Vermögen ins Ausland war ganz sicher einer der Gründe. Es sind mit dem EU-Beitritt die Grenzen weggefallen, in der EU haben sich die Kapitalmärkte integriert, und es gab keine adäquaten Kontrollmöglichkeiten über die Grenzen hinweg. Es gab daher zunehmend die Möglichkeit, Vermögen ins Ausland zu verschieben, um die Steuer zu vermeiden. Da haben dann viele Länder gesagt, die Erhebung der Vermögenssteuer ist teuer und bringt relativ wenig.

Margit Schratzenstaller-Altzinger ist seit dem Jahr 2003 am Wiener Wifo tätig.
DER STANDARD

STANDARD: Heute wäre das aber einfacher zu kontrollieren?

Schratzenstaller: Jein. Es ist ein bisschen besser, aber es gibt noch immer viele Lücken. Wir haben in der EU einen Informationsaustausch über Kapitaleinkünfte, aber nicht über Vermögensgegenstände. Den braucht es aber, so wie ein europäisches Vermögensregister. Sonst ist es relativ schwierig für ein Land, im nationalstaatlichen Rahmen eine Vermögenssteuer durchzusetzen.

STANDARD: Wie aufwendig ist es, eine Vermögenssteuer einzuheben?

Schratzenstaller: Im Vergleich zu anderen Steuern relativ aufwendig, und zwar nicht nur für den Fiskus, sondern auch für die Steuerpflichtigen. Man muss alle paar Jahre das Vermögen bewerten. Wenn ich Aktien halte, ist das einfach, auch bei sonstigem Finanzvermögen, etwa meinem Bankkonto. Aber bei Grund- und Immobilienvermögen wird es schon schwieriger. Wenn ich dann noch Kunstgegenstände, teure Autos und anderes einbeziehe, dann wird das relativ aufwendig zu bewerten und zu kontrollieren. Ich brauche also Ausnahmen, und dann habe ich wieder das Problem, dass die zu Ausweichreaktionen führen. Das zieht einen Rattenschwanz von Fragen nach sich.

STANDARD: Eine Sorge ist, dass Leute nur auf dem Papier reich sind, mit einer selbst genutzten Wohnung im Speckgürtel oder einer Firma, die Millionen wert ist, aber keinen Gewinn bringt. Sie hätten vielleicht die Mittel gar nicht, eine Vermögenssteuer zu bezahlen.

Schratzenstaller: Erstens bin ich mir nicht sicher, wie groß diese Gruppe tatsächlich wäre. Zweitens: Wenn man eine allgemeine Vermögenssteuer wieder einführen würde, dann müsste man das mit hohen Freibeträgen machen. Man will damit ja nicht den Mittelstand, sondern sehr hohe Vermögen treffen. Da würden trotzdem noch hohe Steuereinnahmen anfallen, weil die Vermögen sehr ungleich verteilt sind, besonders in Österreich. Die Konzentration der Vermögen ist seit 2010 weiter gestiegen.

STANDARD: Wenn eine Einführung in Österreich allein schwierig ist, wäre eine EU-weite Vermögenssteuer sinnvoll?

Schratzenstaller: Ja, durchaus. Die Ausweichmöglichkeiten wären kleiner. Man kann noch immer sein Vermögen in eine Steueroase verschieben, aber das ist eine andere Hürde, als einfach in das nächste EU-Land zu gehen. Sinnvoll wäre die Einführung einer Vermögenssteuer aber immer nur unter der Vorgabe, dass man mit den zusätzlichen Einnahmen andere Steuern senkt. Man könnte etwa die Beiträge zum EU-Budget, die die Länder leisten, zum Teil aus so einer Vermögenssteuer finanzieren. Die Länder hätten dann die Möglichkeit, andere Abgaben zu senken, die Beschäftigung und Wachstum bremsen.

STANDARD: Erreicht man mit der Vermögenssteuer etwas, was man mit anderen Steuern nicht erreichen kann?

Schratzenstaller: Ich persönlich glaube, dass man besser eine Erbschaftssteuer einheben sollte. Wenn es um die regelmäßige Besteuerung von hohen Vermögen geht, sollte man auf die Kapitalertragssteuer zurückgreifen. Erbschaften zu besteuern hat viele Vorteile gegenüber einer allgemeinen Vermögenssteuer. Man muss nicht alle paar Jahre Vermögen bewerten, sondern nur im Todesfall, wo das ohnehin passiert. Es lässt sich besser kontrollieren, und es gibt weniger Ausweichreaktionen. Wenn man jedes Jahr eine Vermögenssteuer bezahlt, wird man jedes Jahr daran erinnert. Das ist ein Anstoß, sich zu überlegen, wie man sie vermeiden kann. Das ist bei der Erbschaftssteuer nicht so.

STANDARD: Die Erbschaftssteuer ist aber sehr unbeliebt. Mein Liebster stirbt, und jetzt will der Staat davon profitieren.

Schratzenstaller: Das ist einer der Gründe dafür, warum sie in vielen Ländern unpopulär ist. Außerdem ist es für viele wichtig, Vermögen in der engen Familie zu halten. Und: Sehr viele denken, dass sie eine Erbschaftssteuer erwartet, obwohl sie nur die Aussicht auf  geringe Erbschaften haben. Man kann all diesen Argumenten aber mit einer geeigneten Ausgestaltung begegnen.

STANDARD: Wie?

Schratzenstaller: Es braucht Informationen darüber, wer wirklich betroffen ist und wo man selbst in der Vermögensverteilung steht. Man kann auch großzügige Ausnahmen für den Partner und die Kinder gewähren, damit das Vermögen in der Kernfamilie bleibt.

STANDARD: Und man könnte sagen: Wir senken die Lohnsteuer. Wer in der Mittelschicht ist, zahlt keine oder kaum Erbschaftssteuer und weniger Lohnsteuer.

Schratzenstaller: Ein ganz wichtiger Punkt. Die Steuerwiderstände sind größer, wenn das Geld einfach in den Staatshaushalt fließt und sich die Abgabenlast erhöht. Sicher geringer, wenn man sagt, man entlastet damit die unteren und mittleren Arbeitseinkommen. Auch ein Leistungsgedanke ist hier relevant. Man kann ohne Leistung relativ hohe Summen erben, aber zahlt mit niedrigem Arbeitseinkommen schon recht rasch Abgaben. Die Empirie zeigt auch, dass hohe Erbschaften negative Arbeitsanreize setzen. 19 von 27 EU-Ländern haben noch eine Erbschaftssteuer. Obwohl die vererbten Vermögen größer werden, nehmen die Einnahmen aber ab, weil es auch aufgrund von Lobbyeinflüssen immer mehr Ausnahmeregelungen gibt.

STANDARD: Jetzt sagen viele: Die Einkünfte des Verstorbenen wurden ja schon besteuert, warum sollte man das noch einmal tun?

Schratzenstaller: Das hängt von der Ausgestaltung ab. Es gibt zwei Modelle. Bei einer Erbnachlasssteuer zahlt der, der vererbt, und da kann man durchaus von einer gewissen Doppelbesteuerung sprechen. In Europa werden aber meistens Erbanfallsteuern erhoben, das heißt, der Erbe oder die Erbin zahlt. Und für diese stellt das Erbe tatsächlich einen zusätzlichen Zufluss an finanziellen Mitteln dar, der die Leistungsfähigkeit stärkt, ohne eine Doppelbesteuerung auszulösen. Es ist daher angemessen, das zu besteuern.

STANDARD: Wie hoch könnte eine Erbschaftssteuer sein?

Schratzenstaller: Die internationale Bandbreite ist groß, von vier bis acht Prozent in Italien bis zu einem sehr progressiv ausgestalteten System in Frankreich mit 50 bis 60 Prozent in der Spitze. Wichtig ist auch, wie Schenkungen zu Lebzeiten behandelt werden. Die sind in vielen Ländern bei der Steuer privilegiert, was natürlich zu entsprechenden Ausweichreaktionen führt. Wenige Ausnahmen wären aber jedenfalls sinnvoll, kombiniert mit hohen Freibeträgen. Eine Erbschaftssteuer auf ein Einfamilienhaus bezahlen zu müssen sollte jedenfalls vermieden werden, da ja gezielt sehr hohe Erbschaften und nicht der Mittelstand besteuert werden soll. Auch mit hohen Freibeträgen lässt sich wegen der beträchtlichen Ungleichheit von vererbten Vermögen ein unterer einstelliger Milliardenbetrag damit einheben.

Klimademo von Extinction Rebellion in Berlin: Höhere Umweltsteuern sind – neben jenen auf Erbschaften – ebenfalls ein Bereich, in dem Schratzenstaller Potenzial sieht. Klimasünden würden derzeit nur "moderat" besteuert.
IMAGO/aal.photo

STANDARD: Wie behandelt man Firmen? Wenn ich eine Firma erbe, die zehn Millionen Euro wert ist, heißt das nicht, dass ich mir ein, zwei, drei Millionen Euro Steuer leisten kann.

Schratzenstaller: Man muss auf jeden Fall dafür sorgen, dass eine Erbschaftssteuer nicht den Bestand von Betrieben gefährdet. Es braucht Freibeträge, um Firmen zu schonen. Es gibt auch die Möglichkeit von Stundungen und Ratenzahlungen. Die Evidenz zeigt, dass Erbschaftssteuern nicht die Existenz von Betrieben gefährden müssen.

STANDARD: Also steht dem nichts entgegen?

Schratzenstaller: Man müsste sich in Österreich zuvor um zwei Dinge kümmern. Die Bewertung von Grund und Immobilienvermögen, die Einheitswerte müssen aktualisiert werden. Sonst wäre die Erbschaftssteuer nicht verfassungskonform. Das Zweite: Man muss sich bei den Stiftungen etwas einfallen lassen. Als es die Erbschaftssteuer noch gab, transferierten viele ihr Vermögen in steuerbefreite Stiftungen. In Deutschland beispielsweise gibt es für Stiftungen ein Erbschaftssteueräquivalent. Das Vermögen wird so behandelt, als würde es alle 30 Jahre vererbt werden, und wird dann besteuert.

STANDARD: Die Einheitswerte zu aktualisieren ist über kurz oder lang auch allein für die Grundsteuer wichtig. Ganz grundsätzlich: Die Grundsteuer ist bei Ökonomen besonders beliebt. Warum?

Schratzenstaller: Sie ist eine sehr effiziente Steuer, die man ohne internationale Kooperation gut einheben kann. Wir sollten sie in Österreich unbedingt stärken. Das würde auch die Gemeindeautonomie erhöhen, denn die Einnahmen aus der Grundsteuer gehen ja an sie. Außerdem kann man mit den Einnahmen die Abgaben auf Arbeit senken. Ich rede also wieder nicht von zusätzlichen Einnahmen, sondern von einer Strukturreform (also einer Reform, die in Summe kein Geld für den Staat bringt, sondern nur Geld aus unterschiedlichen Quellen umschichtet, Anm.).

STANDARD: Um die Einheitswerte anzupassen, liegen Vorschläge von Experten auf dem Tisch.

Schratzenstaller: Ich bin keine Bewertungsexpertin, aber ein neues Bewertungsverfahren ist auf jeden Fall machbar. Eine realistischere Einschätzung der Grund- und Immobilienwerte hat das Potenzial, viel mehr als die bisherigen 750 Millionen Euro einzubringen. Man muss das allerdings sozial verträglich gestalten. Ein Teil der Grundsteuer wird auf die Mieten überwälzt. Und 50 Prozent der Haushalte sind Eigenheimbesitzer, die man auch nicht über Gebühr belasten darf. Der Währungsfonds schlägt vor, hier mit gestaffelten Steuersätzen zu arbeiten. Je mehr Grund- und Immobilienvermögen man besitzt, desto höher wird der Steuersatz.

STANDARD: Kann man die Grundsteuer sinnvoll ökologisieren?

Schratzenstaller: Es braucht eine Gesamtreform, um den hohen Bodenverbrauch einzudämmen. Wir haben viel unbebautes gewidmetes Bauland. Die Grundbesteuerung könnte helfen, indem sie für unbebautes Bauland höher ausfällt. Auch eine Abgabe auf Widmungen könnte helfen, den Anreiz für Neuwidmungen zu senken. Und steuerliche Anreize zur Nutzung leerstehender Gebäude sowie zur Nachverdichtung sollten geprüft werden.

STANDARD: Wie lässt sich das Steuersystem noch stärker ökologisieren?

Schratzenstaller: Man kann erstens Steuern auf Abgase, Emissionen und Flächenverbrauch einheben, das tun wir zum Teil schon. Mit der Mineralölsteuer, der Energieabgabe, der Kfz-Steuer, der Normverbrauchsabgabe, die CO2-Steuer gibt es jetzt auch, da war Österreich international eher ein Nachzügler. Das Zweite ist, dass man steuerliche Anreize für klima- und umweltfreundliche Produktions- und Konsumentscheidungen setzt. Das Dritte ist die Abschaffung von klimaschädlichen steuerlichen Ausnahmen, da geht es um mehrere Milliarden Euro.

STANDARD: Wenn die Einführung der Erbschaftssteuer und die Stärkung der Grundsteuer ebenso wie die schrittweise Erhöhung der Umweltsteuern ein paar Milliarden Euro bringen und die Abschaffung von klimaschädlichen Steuerausnahmen ebenfalls und man damit Abgaben auf Arbeit massiv senkt, das würde Österreich sozial gerechter und beschäftigungs- und umweltfreundlicher machen. Ist das realistisch?

Schratzenstaller: Wenn wir uns die Klimaproblematik ansehen, die neuesten Daten zur Vermögensungleichheit und den sich abzeichnenden Arbeitskräftemangel, kann ich mir vorstellen, dass die Chancen derzeit so hoch sind wie überhaupt noch nie. Wir wünschen uns als Wirtschaftsforscherinnen natürlich immer den großen Wurf, der alles auf einmal löst. Ich bin lange genug im Geschäft, dass mir klar ist, dass das unrealistisch ist. Aber eine Umsetzung in mehreren Schritten könnte doch machbar sein. (Andreas Sator, 23.6.2023)