Im beschaulichen Messequartier in Graz scheinen zwei Realitäten aufeinanderzuknallen. Auf der einen Seite stehen Mieterinnen und Mieter, die ihre Wohnungen nach zehn Jahren mittels geförderten Mietkaufs zu einem günstigen Preis – Errichtungskosten plus zweiprozentigem Zuschlag, es wurde das sogenannte Steirische Modell genannt  - kaufen wollten. Und auf der anderen Seite steht der Bauträger, die Ennstaler Wohnbaugruppe (EnW), die nach zehn Jahren zwar die Angebote ausschickte. Doch diese fielen zum Entsetzen der Mieterinnen und Mieter viel höher aus als erwartet.

Die Mieterinnen und Mieter haben mit deutlich niedrigeren Kaufpreisen gerechnet.
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Das Argument des Bauträgers: Seit einer Änderung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes (WGG) 2016 müssen Wohnungen zumindest zum Buchwert verkauft werden – und genau das mache man nun auch. Fixpreise habe man den Mieterinnen und Mietern nie versprochen, betont Wolfram Sacherer, Geschäftsführer des Bauträgers, im Gespräch mit dem STANDARD. Man habe lediglich das damalige "Steirische Modell" erklärt, das zudem lediglich eine Empfehlung und nie eine Verordnung gewesen sei. Würden die Wohnungen nun deutlich unter dem Buchwert verkauft, wäre das nicht konform mit dem WGG, sagt Sacherer. Die Preise, zu denen die Wohnungen nun angeboten werden, würden außerdem immer noch "weit unter dem Verkehrswert" liegen.

Erstes Urteil gibt Mietern recht

Die Mieterinnen und Mieter und auch die Arbeiterkammer sehen das anders. Gleich mehrere dieser Fälle beschäftigen derzeit die Gerichte. Im Fall des Messequartiers gibt es seit kurzem ein erstinstanzliches, nicht rechtskräftiges Urteil, das einem Mieter recht gibt. Das Grazer Landesgericht für Zivilrechtssachen hat in dieser Causa entschieden, dass der Bauträger den Kaufpreis auf Basis der Herstellungskosten berechnen müsse, also auf Grundlage der tatsächlichen Grund- und Baukosten – und nicht auf Basis des Buchwertes.

Ursprünglich waren dem kaufwilligen Mieter zwei Varianten zur Auswahl angeboten worden: Ein freifinanzierter Sofortkauf oder ein geförderter Mietkauf nach besagtem "Steirischen Modell" nach zehn Jahren. Zweiteres sei vom Bauträger stets als die bessere und günstigere Variante beworben worden, sowohl in Beratungsgesprächen als auch über einen Mietkauf-Leitfaden sowie auf der Website des Unternehmens. "Ein Hinweis darauf, dass sich an der vereinbarten Berechnungsmethode etwas ändern könnte, sei seitens der Beklagten in keiner Weise kommuniziert worden", hielt das Gericht im Verfahren fest. Indem die EnW im Kaufangebot an den Mieter zur Kaufpreisberechnung den Buchwert herangezogen hatte, wich sie "von den vereinbarten Berechnungsmodalitäten ab".

Das Gericht entschied also im Sinne des Klägers. Das Land Steiermark trat übrigens dem laufenden Verfahren noch als "Nebenintervenient" bei und brachte vor, dass das Steirische Modell im vorliegenden Fall zur Anwendung gelangen müsse, wenn dessen Anwendung von den Parteien rechtswirksam vereinbart worden sei.

Es geht in die nächste Instanz

Vor wenigen Tagen hat die Ennstaler Wohnbaugruppe Berufung angemeldet. Viele Dinge seien im Urteil unbeantwortet geblieben, kritisiert Geschäftsführer Sacherer, aufs WGG sei nicht eingegangen worden. Außerdem würden die EnW derzeit gleich mehrere ähnliche Verfahren beschäftigen, "eines ist jetzt für uns und eines gegen uns ausgegangen", sagt Sacherer. Mieterinnen und Mieter hatten im Vorjahr die Geschäftsführung auch wegen Betrugs angezeigt, das Verfahren wurde aber von der Staatsanwaltschaft eingestellt.

Nun wird sich das Oberlandesgericht mit dem Fall beschäftigen müssen. "Wenn wir die Wohnungen um diese Preise verkaufen müssen, dann machen wir das", sagt Sacherer. "Aber wir wollen auf der sicheren Seite sein."

Die Klärung wird aber jedenfalls auch ins Geld gehen. Die Verfahrenskosten machen bereits rund 28.000 Euro aus. (Martin Putschögl, Franziska Zoidl, 25.6.2023)