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Selbst Protagonist Clive überlegt manchmal: "Bin ich jetzt eigentlich noch in einem Rollenspiel oder nicht?"
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Fragt man Spielerinnen und Spieler nach dem Titel eines berühmten japanischen Rollenspiels, lautet die Antwort in neun von zehn Fällen "Final Fantasy". Gut, vielleicht auch in zehn. Spaß beiseite: Die Serie ist seit 1987 ein Fixstern am Firmament der Rollenspiele und konnte in den letzten Jahrzehnten als Inbegriff des Japanese Role-Playing Game (JRPG) Millionen von Fans gewinnen. Und das zu Recht.

Umso überraschender war die Ansage von Naoki Yoshida, dem Produzenten des neuen "Final Fantasy XVI", als er die Öffentlichkeit im März wissen ließ, dass er die Bezeichnung "japanisches Rollenspiel" als diskriminierend empfinde. Der Begriff werde ausschließlich von westlichen Medien verwendet, in Japan gebe es keine geografische Zuordnung, und man werde als Entwickler auch noch an eine Zeit erinnert, als der Begriff nicht als Kompliment verstanden wurde.

Als ob Yoshida nun einen Beweis antreten und den Westen eines Besseren belehren wollte, wirkt das seit 22. Juni exklusiv für die Playstation 5 erhältliche "Final Fantasy XVI" auf den ersten Blick, als wäre das Spiel im Hinblick auf die Serie komplett aus dem Rahmen gefallen. "Final Fantasy" ist grundsätzlich bekannt dafür, seine Grenzen im Lauf der Zeit immer wieder neu ausgelotet zu haben  – nicht zuletzt auch deshalb, weil es die Serie schon so lange gibt. So stark an den Grundfesten von "Final Fantasy" wurde aber schon lange nicht mehr gerüttelt. DER STANDARD hat sich angesehen, was daraus geworden ist.

Von Kristallen und Monstern

Wie im Vorfeld bereits bekannt geworden war, beschritten Publisher Square Enix und Entwickler Creative Business Unit III von Anfang an einen radikalen Weg mit "Final Fantasy XVI". Nicht nur, dass man das traditionelle Rollenspiel in ein modernes Action-Adventure überleiten wollte, auch hinsichtlich Story nannte man immer wieder zwei Referenzen, die für die Serie äußerst ungewöhnlich klingen, nämlich "God of War" und "Game of Thrones".

"Final Fantasy XVI" Launch Trailer
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Um eines gleich vorwegzunehmen: Die Story wird an dieser Stelle nicht gespoilert. Ein klein wenig muss an dieser Stelle dennoch ausgeholt werden. "Final Fantasy XVI" spielt in einer Fantasy-Welt namens Valisthea, deren Bevölkerung auf magische Mutterkristalle ihrer Reiche angewiesen ist. Das Land wird von einer zerstörerischen Krankheit namens Fäule bedroht, die den Frieden zwischen diesen Reichen gefährdet. Diese Welt wird von mächtigen Kreaturen namens Espern im Gleichgewicht gehalten - sowie von den Domini, menschlichen Machtträgern, die diese Espern beschwören können.

Hier kommt Hauptcharakter Clive Rosfield ins Spiel. Er ist ein Krieger, der zum "Ersten Schild von Rosaria" ernannt wurde und geschworen hat, seinen jüngeren Bruder Joshua zu beschützen. Das hat natürlich einen besonderen Grund: Joshua ist einer dieser Domini. Bald schon soll Clive im Mittelpunkt einer daraus resultierenden Tragödie stehen und Rache gegen einen dunklen Esper namens Ifrit schwören, ein mysteriöses Feuermonster, das nichts als verbrannte Erde hinterlässt.

Vermeintliches Neuland

Tatsächlich fühlt man sich am Anfang wie in einer Folge von "Game of Thrones". Der eine "Ausgestoßene" hat schon was von Jon Snow, der andere ein wenig später was von Jaime Lennister, und auch das düster-blutige Setting könnte direkt aus einer Folge des HBO-Serienhits entsprungen sein. Zwar bleibt es für die Spieleserie ungewöhnlich düster, was ihr, nebenbei bemerkt, hervorragend steht – nach und nach passt sich die Geschichte aber einer Dramatik und markanten Handlungsträgern an, wie man es dann doch eher von "Final Fantasy" gewohnt ist.

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Esper Ifrit spielt eine wichtige Rolle in "Final Fantasy XVI".
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Ja, der "Anstrich" der Story, wenn man so möchte, ist neu, keine Frage, aber mit fortschreitendem Spielverlauf der rund 40-stündigen Hauptstory nähert sie sich wieder altbekannten Mustern an. Und damit auch zu einem recht vorhersehbaren Ende. Um es ein wenig diplomatisch zu formulieren: Der Weg ist das Ziel.

Viel Drumherum inklusive

Drei Eigenheiten machen die Story in "Final Fantasy XVI" aber besonders interessant: Abseits der Hauptstory stellt das Spiel eine Menge an Nebenaufgaben bereit, die spielerisch zwar meist in die Kategorie Sammelquest fallen, auf inhaltlicher Ebene dafür wirklich unterhaltsam sein können. Wer diese Nebenschauplätze auf besonders effiziente Weise angehen will, kann zudem auf eine besondere Kennzeichnung für zusätzliche Belohnungen achten. Besondere Belohnungen kann man zudem bei Jagdaufträgen erhalten, die nicht selten schwierigere Varianten bereits erlegter Gegner aus der Hauptgeschichte enthalten.

Hervorzuheben ist nicht zuletzt das sogenannte "Active Time Lore"-System: Dahinter steht ein Feature, das die Spielerinnen und Spieler laufend über die Hintergrundgeschichte des Spiels informiert hält. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt während einer Zwischensequenz oder eines Gesprächs im Spiel kann man das Dual-Sense-Touchpad gedrückt halten, um eine Reihe kontextbezogener Kompendium-Einträge aufzurufen, die für das Geschehen in dieser Szene relevant sind. Diese Einträge ändern sich dynamisch mit dem Lauf der Geschichte.

Mehr Action, weniger Rollenspiel

Was Publisher Square Enix im Vorfeld eifrig als "erstes Echtzeit-Kampfsystem" der Serie hervorgehoben hat, wechselt sich mit der aufwendig inszenierten Geschichte ab. Tatsächlich erinnern die Kämpfe im Spiel phasenweise mehr an ein "Devil May Cry" oder ein "Bayonetta" als an ein "Final Fantasy" – und der Vergleich kommt nicht von ungefähr, schließlich holte man Ryota Suzuki als Battle-Director ins Team. Er zeichnete sich zuvor bei Capcom für Kampfsysteme in "Devil May Cry 5" und "Dragon's Dogma" verantwortlich.

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Im Kampf gibt's ordentlich auf die Mütze, dabei will das niedliche Pflänzchen Clive doch nur umarmen ...
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Dass sich das Kampfsystem der Serie endgültig vom runden- und gruppenbasierten Fokus verabschiedet, kommt also nicht ganz überraschend, zumal sich das ohnehin schon im Vorgänger abgezeichnet hat. Langjährige Fans von "Final Fantasy" könnte der daraus resultierende "Zeitdruck" im Gameplay dennoch abschrecken. Aus dem passiven Vorausplanen wird ein aktives reflexgesteuertes Spiel, das gutes Timing ausdrücklich belohnt. Clive kann Schwerthiebe (Nahkampf) austeilen, Magie (Fernkampf) einsetzen und einzigartige Fähigkeiten der Esper auf Gegner niederprasseln lassen. All das lässt ihn mit zunehmendem Spielverlauf zu einer Kampfmaschine mutieren, der eine Vielzahl an Möglichkeiten in die Hand gegeben wird, Kampfhund Torgal inklusive. 

Im Gegensatz zu den Kämpfen ist der Rollenspielpart von "Final Fantasy XVI" recht schmal ausgefallen. Clive lässt sich nicht sonderlich stark individualisieren und seine Ausrüstungsslots bleiben bis zum Schluss recht überschaubar. In Kämpfen muss man nicht einmal auf Statuseffekte oder eine vorteilhafte Auswahl magischer Angriffe achten. Die Kämpfe unter den Espern, sind in ihrer Opulenz sicherlich ein Highlight des Spiels und eine Abwechslung für die Augen, aber spielerisch nicht wirklich fordernd.

Und auch der lineare Aufbau der Spielwelt belohnt nicht unbedingt den Forschungsdrang der Spielerinnen und Spieler. Auch wenn die großen Spielgebiete Valistheas im Verhältnis zu den darin verstreuten Aktivitäten relativ leer wirken, lassen sie sich nach kurzer Eingewöhnungszeit immerhin schnell bereisen und dementsprechend abgrasen. Rein spielerisch betrachtet verpasst man allerdings nur wenig, wenn man den Pfad der Hauptgeschichte verlässt.

Augen- und Ohrenschmaus

Wofür die Serie bekannt ist und was sich bei "Final Fantasy XVI" zum Glück absolut nicht geändert hat, ist das Feuerwerk für die Sinne. Beim neuesten Ableger der Serie hat man das Gefühl, dass die Taktrate, in der die bombastische Inszenierung auf Spielerinnen und Spieler niederprasselt, sogar noch erhöht worden ist. Der Detailgrad der Charaktere erreicht für Konsolenniveau einen ungeahnt hohen Level und lässt nicht nur feinste Nuancen an Haut und Haar erkennen, sondern sogar die Beschaffenheit der Materialien, aus denen Kleidungen und Rüstungen gefertigt sind.

Und auch die Landschaften, wenngleich keine echte "Open World", strotzen nur so vor Details, die man teilweise nicht für möglich gehalten hätte. Das gilt für die beeindruckende Architektur zahlreicher Festungen und Schlösser, aber auch für die unheimlich stimmige Beleuchtung in dunklen Umgebungen, beispielsweise den Fackelschein in Katakomben oder den spärlichen Lichteinfall durch dichte Baumkronen eines Waldabschnitts.

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"Final Fantasy XVI" sieht nicht nur verdammt gut aus, es ist auch musikalisch wunderbar untermalt.
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Tatsächlich hat die Grafik einen Level erreicht, bei dem es manchmal schwerfällt zu unterscheiden, wann eine vorgefertigte Filmsequenz abgespielt wird und welche Zwischensequenz in Echtzeit berechnet wird. Das ist auch gut deshalb gut so, weil "Final Fantasy XVI" trotz Action-Fokus zu einem Großteil aus solchen Sequenzen besteht. Bei allem Lob muss man aber auch erwähnen, dass das Spiel für diese Güte manchmal Opfer in Kauf nimmt.

Das merkt man in erster Linie daran, dass die Playstation 5 im gewählten Performance-Modus öfters unter die angepeilte Framerate von 60 Bildern fällt. Aber auch bei Dialogen mit nichtspielbaren Charakteren, die nicht so eindrucksvoll inszeniert sind und zudem nicht immer lippensynchron wirken, kann sich der Zauber der technischen Präsentation kurzzeitig verflüchtigen.

Durch und durch zauberhaft ist erwartungsgemäß der Soundtrack von "Final Fantasy XVI". Hauptverantwortlich zeichnet dafür Masayoshi Soken, der – wenig überraschend – auch schon Komponist für "Final Fantasy XIV" und seitdem Publikumsliebling war. Von sanften Klavieranschlägen zum Innehalten bis hin zu epischen Chorälen, die die Dramaturgie in Bosskämpfen an die Spitze treiben, scheint er immer zu wissen, wann die richtigen Töne anzuschlagen sind. Eine bessere musikalische Untermalung für ein Videospiel wird heuer nicht mehr zu hören sein.

Fazit

Als jemand, der in seinem Leben nicht alle, aber schon etliche Teile von "Final Fantasy" kennen und schätzen gelernt hat, betrachte ich "Final Fantasy XVI" mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Auf der einen Seite wäre da natürlich die detailverliebte und bombastische Inszenierung des Spiels, die ihresgleichen sucht. Zum Leidwesen aller Nicht-Playstation-5-Besitzer darf sich Sony wieder einmal über exklusive Konsolenwerbung freuen. Auch der Mut von Publisher und Entwickler, alte Zöpfe einer renommierten Serie beachtlich zurechtzustutzen, ist hoch anzurechnen, weil solche Experimente durchaus in die Hose gehen können. Jedenfalls kann der finale Übergang zu mehr Action und deutlich weniger Rollenspiel im Großen und Ganzen als gelungen bezeichnet werden.

Auf der anderen Seite nimmt dieser Wechsel "Final Fantasy" natürlich auch genau jene spielerische Charakteristik, wegen der die Serie von vielen überhaupt so gerne gespielt worden ist. Die bemüht "westlich" wirken wollende Note verpufft zwar nach gewisser Zeit. Weniger aufgeschlossenen Fans dürfte aber auch das nicht bekommen. Dass ein Spiel, das locker 70+ Spielstunden vertragen kann, manchmal auch leichte Hänger in der Story hat, ist hingegen verständlich und sollte verschmerzbar sein. Allzu oft kommt dies ohnehin nicht vor.

Um den Preis von ein paar eingefleischten Serienfans dürfte die Rechnung von "Final Fantasy XVI" jedenfalls aufgehen, in seiner Aufmachung umso mehr neues Publikum anzuziehen. Es ist schlichtweg ganz großes Kino für Spielerinnen und Spieler, das Abenteuer von Clive mitzuerleben. Böse Zungen könnten hinzufügen, mehr Kino als Spiel. Ein Teil von mir will die Hoffnung aber noch nicht aufgeben, in Zukunft auch dem runden- und gruppenbasierten Aspekt von "Final Fantasy" wieder einmal begegnen zu können. (Benjamin Brandtner, 24.6.2023)