Zähne zusammenbeißen, Kopf hoch, durchhalten, jetzt ja nicht aufgeben: Das klischeehafte Bild einer steilen Karriere ist fast immer eines, in dem die Person unkaputtbar erscheint, jegliche Sorgen an sich abprallen lässt. Fäuste ballen, anstrengen, weiter geht’s: Wer viel arbeitet, viel schafft und dabei auch noch widerstandsfähig wirkt, der ist stark.

Mental Health und Arbeit
Pflanzen, ein höhenverstellbarer Tisch und gute Gesellschaft: Arbeiten soll nicht mehr an den Nerven zehren.
Heribert Corn

Aber diese Zeiten sind am Vorüberziehen, das Bild wandelt sich. Fach- und genereller Arbeitskräftemangel, die zahlreichen Krisen genauso wie eine sich immer mehr digitalisierende, schnellere Berufswelt weichen ein traditionelles Tabuthema auf: die mentale Gesundheit. Und das, weil es viele betrifft und eine Maske im Job aufzusetzen dauerhaft nicht geht. Eine österreichweite Gesundheitsstudie der Wiener Städtischen Versicherung, vom Gallup-Institut Ende 2022 durchgeführt, zeigt, dass von 1000 befragten Personen jede Vierte eine Verschlechterung des mentalen Gesundheitszustands innerhalb des letzten Jahres wahrgenommen hat.

Auch beim Nachwuchs in der Arbeitswelt zeigen sich Sorgen und Ängste: In einer Studie mit mehr als 3000 Lehrlingen gaben 42 Prozent der weiblichen und 37 Prozent der männlichen Lehrlinge an, mit ihrem Leben nicht besonders zufrieden zu sein. Sie würden Schwierigkeiten beim Einschlafen, Angstgefühle und Nervosität erleben. Ähnlich auch an Hochschulen: Jedem oder jeder zweiten Studierenden in Österreich geht es mental schlecht.

Was allerdings immer mehr in die Arbeitswelt übergeht, ist, dass die Menschen heute darüber viel öfter reden. Die sozialen Medien Instagram, Tiktok und Facebook sind voll mit persönlichen Offenbarungen Berufstätiger über ihre psychischen Krankheiten oder ihren Zusammenbruch durch ein Burnout im Job, mit Anleitungen zum Entspannen und Entschleunigen oder auch mit Lobeshymnen auf eine verkürzte Arbeitswoche für Vollzeitbeschäftigte oder eine Teamdynamik voller Empathie.

Mehr Ausgleich, weniger Performance

Das Bild der überperformenden Mitarbeiterinnen, die sich die Schweißperlen von der Stirn wischen und niemals zugeben, dass ihnen die Arbeit zu viel wird, ist überholt. Stark ist jetzt, wer zugibt, etwas kürzertreten zu müssen. Stark ist, wer Grenzen ziehen kann. Wie im Spitzensport: Wer übertrainiert und keine Ruhetage einlegt, verletzt sich und wird nicht mehr wettkämpfen. Ideen für mehr mentale Power in der Arbeit, sowie letztlich im ganzen Leben, gibt es viele.

Chillen und Arbeit gleichzeitig?
Immer mit der Ruhe: Auch wer chillt, kann leistungsbereit sein.
Heribert Corn

Der Bare Minimum Monday etwa kursierte in den sozialen Medien und bewirbt: den Montag am besten ganz langsam angehen und nur das Nötigste erledigen. Das schaffe nicht nur einen angstfreien Sonntag, sondern auch eine gelingende Woche. Was dieser Trend wirklich verpackt: Es braucht mehr Achtsamkeit für die eigene Dynamik. Was passt für mich? Was tut mir gut? Sich bewusst zu werden, mit welchen Rahmenbedingungen und welcher Routine man (vorausgesetzt, ein Minimum an Flexibilität ist möglich) erfolgreich arbeiten kann, ist Voraussetzung für mentale Fitness im Job.

Freilich ist eine Viertagewoche, die einen Tag mehr in der Woche für Erholung bereithält, nicht in jeder Branche gleichermaßen möglich. Die Debatte über eine Arbeitszeitverkürzung – zahlreiche Studien dazu zeigen produktivere und glücklichere Mitarbeitende – kann im Endeffekt auch nur eine über die Auflösung starrer Regelwerke sein. Allein wenn Berufstätigen mehr Flexibilität zugetraut wird, können sie ihr produktivstes Ich gestalten. Der Mensch im Mittelpunkt, das soll die Prämisse für einen guten Arbeitgeber sein.

Bis in die Führungsetagen zieht sich dieser Wandel. Eine empathische Führungskraft, welche die Kollegenschaft weiterentwickeln und ihr Wissen weitergeben will, kann langfristig die Unternehmensziele erreichen. Mit Verweichlichung, Faulheit oder weniger Resistenz haben diese Entwicklungen aber nichts zu tun. Eher im Gegenteil, sagen Fachleute zur empathischen Führungsweise. Sich selbst und andere einschätzen zu können fordert heraus und verlangt Einsatz. (Melanie Raidl, 24.6.2023)