Wenn Kinder am letzten Schultag schlechte Noten mit nach Hause bringen, kann das zu einer Belastungsprobe für die Familie werden – muss es aber nicht.
Wenn Kinder am letzten Schultag schlechte Noten mit nach Hause bringen, kann das zu einer Belastungsprobe für die Familie werden – muss es aber nicht.
Getty Images/iStockphoto

Amelie blickt mit gemischten Gefühlen auf den letzten Schultag. Für viele Kinder stehen jetzt die Sommerferien bevor: zwei Monate, in denen sie keine Lernverpflichtungen haben. Doch die 16-jährige Gymnasiastin schließt das Schuljahr mit zwei Fünfern ab, in Englisch und in Mathematik. Das ist für Amelie, die eigentlich anders heißt, schlimm, aber es ist auch eine Belastungsprobe für die gesamte Familie. Ihre Mutter erzählt, dass durch die Pandemie bei allen ihren Kindern, vier an der Zahl, enorme Wissenslücken entstanden sind. Mittlerweile geben sie und ihr Mann rund 500 Euro pro Monat für Nachhilfeunterricht aus. Zum Glück können sie sich das leisten, sagt sie erleichtert.

Laut Statistik Austria müssen jedes Jahr im Schnitt 3,6 Prozent der Schülerinnen und Schüler eine Klasse wiederholen. Das möchte Amelie unbedingt vermeiden und wird im September zu den Wiederholungsprüfungen antreten. Doch was bedeutet das für den Sommer? Können sie und ihre Familie den jetzt nicht genießen?

Ein Plan für die Ferien

"Wegen eines Fünfers im Zeugnis sind nicht gleich die Ferien verpatzt, keine Sorge“, betont Christine Strableg, Klinische und Gesundheitspsychologin aus Wien: "Alle Kinder sollten zumindest einen Teil der Ferien ganz unbeschwert verbringen können, das ist sehr wichtig." Als sinnvoll habe es sich erwiesen, dass der erste Ferienmonat komplett frei sei und man erst danach mit dem Lernen beginne.

Damit das auch klappt, braucht es zu Beginn der Ferien etwas Planung: "Am besten teilt man den Lernstoff in kleine Portionen ein und erstellt bereits am Ende des Schuljahres einen guten Zeitplan", weiß Angela Schmidt vom Nachhilfeinstitut Lernquadrat. "Die Schülerinnen und Schüler sollten auf keinen Fall das Gefühl haben, allein vor dieser scheinbar unbewältigbaren Aufgabe der Nachprüfung zu stehen." Immerhin muss der Lernstoff des gesamten Jahres nachgelernt und geübt werden.

Viel Stoff, wenig Zeit

Das scheint wirklich viel Stoff zu sein, den man in wenig Zeit lernen muss. Trotzdem soll man es nicht übertreiben. Denn Gelerntes kann sich nur verankern, wenn auch Freizeit eingeplant wird. Entsprechend sollten auch die Lerneinheiten getaktet sein. Schmidt erklärt: "Das Alter des Kindes entscheidet, wie lange eine Lerneinheit dauert. Als Faustregel gilt zwei Minuten pro Lebensjahr." Außerdem sollte man jeweils an einem Halbtag nicht mehr als drei Einheiten einplanen. Für 16-Jährige etwa heißt das: Nach ungefähr 32 Minuten Lernen folgt eine fünfminütige Pause. Aufgeteilt auf zwei Blöcke ergibt das an einem Tag netto gut drei Stunden Pauken.

Freude macht es wohl keinem Kind, wenn es sich die Matheformeln reinziehen muss, während die anderen im Freibad sind. Darum sollte auch nie die Entscheidung zwischen Freizeit oder Lernen getroffen werden. "Beides ist machbar. Die Motivation zum Lernen steigert sich enorm, wenn das Kind danach machen darf, worauf es Lust hat." Man kann etwa verschiedene Wünsche auf einen Zettel schreiben, Eis essen, Schwimmbadbesuch, Freunde treffen. "Ist man mit dem Lernen fertig, darf man einen Zettel ziehen", schlägt Schmidt vor.

Abhängig von der Stoffmenge sollten vier bis sechs Wochen für das Lernen eingeplant werden. "Eltern können unterstützen, indem sie ihre Hilfe anbieten. Das kann Erklären oder auch Abfragen sein. Wichtig ist nur, alles sollte ohne Druck passieren. Denn Druck erzeugt Widerstand", weiß Psychologin Christine Strableg.

Noten sind nicht alles

Bevor es ans Lernen geht, steht aber noch der letzte Schultag bevor. Wenn der Fünfer dann schwarz auf weiß im Zeugnis steht, kann das hart sein – obwohl man es schon vorher weiß. Wie sollen Eltern dann reagieren? "Für Eltern und Bezugspersonen muss klar sein, es darf nicht von den schulischen Leistungen abhängen, wie sehr man sein Kind liebt. Und genau das sollte man auch immer vermitteln", sagt Strableg. Eltern müssen ihre Gefühle aber auch nicht vor dem Kind verbergen. "Man kann durchaus sagen, dass man traurig oder auch enttäuscht ist. Trotzdem muss das Kind spüren, dass man es liebt, egal welche Noten auf dem Zeugnis stehen."

Die Psychologin erklärt weiter: "Schulnoten zeigen nicht, ob ein Kind in dem Schuljahr womöglich Krisen bewältigen musste, wie gut es mit Stress umgehen kann, ob ihm die Pubertät im Weg gestanden ist oder ob vielleicht die erste große Liebe die Konzentration getrübt hat."

Deshalb empfiehlt Lena Kaiser, Psychologin bei der Rat-auf-Draht-Elternseite, das Schuljahr mit all seinen Facetten Revue passieren zu lassen: "Damit das Kind sich nicht alleingelassen fühlt, sollten Eltern gemeinsam mit ihr oder ihm besprechen, warum es sich in der Schule schwertut." Das Schulsystem ist nicht für jedes Kind gleich gut geeignet, und schlechte Noten sagen keinesfalls etwas über die Intelligenz des Kindes aus. Kaiser weiß: "Manche tun sich mit dem Schulsystem leicht, anderen fällt es wesentlich schwerer, in diesem Setting Leistung zu erbringen."

Fehler machen ist erlaubt

Auch den Eltern kann es guttun, das Jahr noch einmal durchzugehen, weiß die Psychologin: "Hat das Kind genügend Unterstützung bekommen? Haben sie vielleicht zu viel Druck ausgeübt? Diese Fragen sollten sich Eltern stellen." Wer hier ehrlich mit sich selbst ist, kann im nächsten Schuljahr vieles anders machen. Außerdem plädiert sie für eine gute Fehlerkultur: "Kinder sollten Fehler machen dürfen, auch in der Schule. Wenn sie das Gefühl haben, dass die Eltern keine Fehler akzeptieren, werden sie schlechte Noten oder Misserfolge im nächsten Schuljahr womöglich verstecken."

Es kann auch hilfreich sein, wenn sich Eltern kurz vor Zeugnisvergabe in das Kind hineinversetzen: "Was würde ich in dieser Situation brauchen? Immerhin kennt fast jeder und jede die Angst vor dem Zeugnis. Viele haben nur vergessen, wie sie sich anfühlt. Eine Umarmung, bei der das Kind alle Gefühle zulassen darf, reicht oft schon aus", weiß Psychologin Kaiser.

Amelies Eltern haben bereits jetzt Nachhilfeunterricht für ihre Tochter gebucht. Im Juli geht es noch auf einen zweiwöchigen Familienurlaub, ab August wird sie sich auf die Nachprüfungen vorbereiten. Wie viel und wann sie lernen wird, entscheidet in ihrem Fall der Nachhilfelehrer. (Jasmin Altrock, Nadja Kupsa, 26.6.2023)