Infrastrukturministerin Leonore Gewessler von den Grünen beim Pressefoyer nach dem Ministerrat im Parlament
Infrastruktur- und Umweltministerin Leonore Gewessler will Österreich bis 2027 von russischem Gas unabhängig machen.
IMAGO/SEPA.Media/Martin Juen

Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine vor mehr als einem Jahr versucht die Regierung, aus dem billigen russischen Gas auszusteigen. Zu unsicher sei ein Vertrag mit Russland und zudem moralisch seit dem Beginn des Angriffskriegs kaum vertretbar. Doch die Suche nach neuen Quellen und Lieferwegen scheint nicht rasch vonstatten zu gehen. Zwar reiste die Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) mit Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) im vergangenen Oktober nach Abu Dhabi. Dort wurde erreicht, dass Österreich für die Heizsaison 2023/24 eine Schiffsladung Flüssiggas (LNG) aus Abu Dhabi bekommen wird. Das hat die OMV mit der Abu Dhabi National Oil Company (Adnoc) vereinbart.

VIDEO: Gewessler mahnt Versorger zu Tempo bei Ausstieg aus russischem Gas.
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Doch wie steht es in Summe mit der Suche nach Alternativen? Scheinbar nicht so gut. Denn die Ausstiegspläne aus der russischen Abhängigkeit gehen schleppend voran. 60 Prozent des importierten Gases kommen derzeit nämlich noch immer aus Russland. Im April waren es 64 Prozent der Importe, die aus Russland kamen, sagt Carola Millgramm von der Datenregulierungsbehörde E-Control im Ö1-"Morgenjournal". Der Rest fließt beispielsweise über Deutschland und Italien nach Österreich. Von wo diese Länder ihr Gas beziehen, werde nicht kontrolliert. Es könne aber sein, dass auch dieses Gas aus Russland kommt.

Gewessler: "Das ist zu viel"

Die noch immer vorhandene Abhängigkeit von Russland ist zu hoch, das noch immer bezogene Gas zu viel, sagt Gewessler. Sie tagte am Vormittag mit den Gasversorgern, wollte von ihnen wissen, welche Ausstiegsszenarien sie haben und wie die Versorgungslage bezüglich den kommenden Winters aussehe. "Russische Gaslieferungen sind unsicher und ich halte es für völlig falsch, mit diesen einen Krieg zu finanzieren", erklärte Gewessler nach dem Treffen. Man sei von Russland mit den Energielieferungen erpresst und mit den hohen Preise unter Druckt gesetzt worden, so die Ministerin.

Die Ministerin kündigte eine Novelle im Strommarktgesetz an. Hierbei gehe es darum, im Verteilnetz eine langfristige Planung zu ermöglichen. Gewessler hob zudem den Netz-Infrastruktur-Plan hervor. In der Sicherung der Energieversorgung sei zwar schon einiges gelungen. Die Speicher waren für die vergangene Heizsaison gut gefüllt, die Preise seien gesunken. Das sei gelungen in einer angespannten Situation mitten in einer Energiekrise. Aktuell seien die Gasspeicher zu 80 Prozent gefüllt. Doch der Weg ist noch nicht zu Ende.

Positive Entwicklung

Gewessler ortet bei den Energieunternehmen grundsätzlich eine positive Entwicklung. Dennoch sei man bei den Maßnahmen zum Ausstieg "noch nicht weit genug und nicht schnell genug". Auf der positiven Seite verbuchte Gewessler, dass einige Unternehmen ein großes Interesse an der europäischen Gas-Einkaufsplattform kommuniziert hätten. Über die Plattform seien bereits 13 Terawattstunden Gas (nicht aus Russland) zum Bezug angemeldet worden. Das entspreche mehr als zehn Prozent der jährlichen Versorgung Österreichs. 

Martin Graf von der Energie Steiermark sagte, die Dekarbonisierung des Energiesystems vorantreiben zu wollen. Bei Gas gelte es aber auch, die Sicherheit der Versorgung zu garantieren.

Energie-Experte Walter Boltz erklärte, dass die EU einen Rahmenvertrag ausgeschrieben hat, wonach Unternehmen individuell Preisverhandlungen führen können. Das Konzept bewähre sich, zumal das Preisniveau derzeit niedrig ist. Laut dem ehemaligen E-Control-Chef Boltz darf sich Österreich jedoch nicht in falscher Sicherheit wiegen, könne ein plötzlicher Lieferstopp doch rasch zu einer Mangellage mit Preissteigerungen führen. "Wir dürfen uns nicht einlullen lassen", sagte Boltz nach dem Treffen mit Gewessler. Die Stromversorgung sieht der Energieexperte gesichert. Weitere Investitionen ins Stromnetz seien dennoch notwendig, um für eine etwaige Verknappung oder einen Ausfall von Lieferungen aus Deutschland - Österreich bezieht große Mengen aus dem Nachbarland - vorbereitet zu sein. Gewessler hob diesbezüglich Initiativen wie den Netzinfrastrukturplan hervor. Dieser sieht unter anderem den Ausbau von Anlagen zur erneuerbaren Stromerzeugung sowie zur Speicherung von erneuerbarem Strom und Gas vor.

Geld fließt weiter nach Russland

Amerikanisches LNG sollte Europa unabhängiger machen von russischem Gas – was auch der Fall wäre. Aber, so führt E-Control-Expertin-Millgramm weiter aus, russische LNG-Lieferungen seien seit dem Ukraine-Krieg ebenfalls angestiegen. Mittlerweile entfallen auf diese rund 15 Prozent der LNG-Importe nach Europa. Das sei laut E-Control vergleichbar mit den Importen aus Katar oder Afrika. Es profitiere damit zwar nicht die russische Gazprom sondern die private Nowatek, doch das Geld fließe dennoch weiterhin nach Russland – und LNG ist teurer als Gas.

Weder Gas noch LNG stehen auf den Sanktionslisten der EU. Dass Gas oder LNG sanktioniert werden, sei derzeit aber nicht angedacht. Für die heimischen Gaslieferanten ist es teils also schwer zu sagen, woher das Gas genau kommt. Die einzige Möglichkeit wäre, Direktverträge mit Lieferländern wie Katar oder USA abzuschließen. Das müssten die Gas-Großhändler machen, die im Sinne ihrer Kunden aber Gas dort kaufen, wo es günstig ist.

Ausbau der Infrastruktur gefordert

Vor dem Treffen von Gewessler mit den Energie-Vertretern erneuerte Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf die WKÖ-Forderungen zum Ausbau der Gasinfrastruktur. Dabei geht es vor allem um den Ausbau von Pipelines und die Nutzung inländischer Potenziale. Für die Planungssicherheit der Betriebe müsse das angekündigte Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz umgesetzt werden. 

Die Hauptforderungen der Wirtschaftskammer beinhalten die Umsetzung konkreter Infrastrukturmaßnahmen zur Nutzung von Gas aus europäischen Staaten, die verstärkte Nutzung von inländischen Gaspotenzialen und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, ähnlich wie das in Deutschland implementierte LNG-Beschleunigungsgesetz.

Die Wirtschaftskammer fordert auch die Umsetzung konkreter Infrastrukturprojekte zur Schaffung zusätzlicher Importkapazitäten nach Österreich, insbesondere für LNG und norwegisches Gas. Diese Projekte umfassen den Ausbau von Grenzübergabepunkten zu Deutschland, Slowenien und Ungarn sowie die Einrichtung eines Interconnectors zwischen Österreich und Tschechien.

Versorgung sicherstellen

Die Industriellenvereinigung (IV) erinnerte ebenfalls erneut an die Bedeutung einer sicheren Gasversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen für den Industriestandort Österreich. Auch wenn im vergangenen Jahr eine Reihe von Maßnahmen zur Sicherung der Gasversorgung seitens der Bundesregierung ergriffen wurden, sei eine Gasmangellage noch immer nicht auszuschließen – auch wenn die Gas-Speicher derzeit zu rund 80 Prozent gefüllt seien.

Nach wie vor brauche es daher auch politische Maßnahmen, um die Versorgungssicherheit mit Gas zu verbessern. Denn 2024 laufe der Gas-Durchleitungsvertrag zwischen der Ukraine und Russland aus. Hier bedürfe es dringend politischer bzw. diplomatischer Anstrengungen insbesondere unter Einbindung der EU, um nicht eine weitere künstliche Verknappung des Gasangebots zu schaffen, teilt die IV in einer Aussendung mit.

Weiters gelte es, das bestehende Gasnetz weiter insbesondere in Richtung Westen (WAG Loop) und Süden (Entry Murfeld) auszubauen und wasserstofftauglich zu machen. Zudem gebe es bestehende Gasvorkommen in Österreich: Die IV appelliert angesichts der aktuellen Herausforderungen und Abhängigkeiten daran, nicht auf die Förderung eigener Gasvorkommen zu verzichten. Gas ist und werde nach wie vor für einen längeren Zeitraum ein grundlegender Baustein der Energieversorgung in unserem Land sein – für die Industrie, aber auch für die Haushalte, heißt es abschließend.

Aus Sicht des Fachverbands Gas Wärme (FGW) ist ein Ausbau der Gasinfrastruktur gefragt, vor allem aus Richtung Deutschland und Slowenien.

Weitsicht fehlt

Kritik übte der Energieexperte Johannes Benigni. Er vermisst bei Gewessler Weitblick bei der Energieversorgung: "Im Fall eines Ausfalles russischer Gaslieferungen fehlt für die Bereitstellung von Alternativen der Plan, die Finanzierung und vor allem der Wille. Die Ministerin setzt damit Österreichs wirtschaftliche Zukunft aufs Spiel." Benigni kritisiert die Untätigkeit von Gewessler anlässlich des Round Tables im Klimaministerium: „Die Ministerin bedroht durch ihre bereits 15-monatige Untätigkeit die ausreichende österreichische Versorgung mit Gas. Sie gefährdet hunderttausende Arbeitsplätze, teilte Benigni via Aussendung mit.

Die Gründe für die heftige Kritik: In den vergangenen eineinhalb Jahren habe es die Ministerin verabsäumt, einen Plan für die nachhaltige Versorgung Österreichs mit Energie, insbesondere mit Gas, vorzulegen. "Die bisherige Untätigkeit, was die Verbesserung der Transportkapazitäten anlangt, ist gerade in Bezug auf einen potentiellen Lieferausfall aus Russland verantwortungslos. Er fordert von der Politik fünf konkrete Maßnahmen ein, um eine langfristige, sichere Versorgung Österreichs mit Gas sicherzustellen:

- Stärkere diplomatische Anstrengungen der Ministerin für das Fortsetzen des Gas-Durchleitungsvertrags zwischen der Ukraine und Russland über 2024 hinaus. Alternativ könnte die Durchleitungsvereinbarung zwischen Österreich (gemeinsam mit anderen betroffenen Staaten) und der Ukraine vereinbart werden.

- Grünes Licht für den Ausbau der West-Austria-Gasleitung (WAG) sowie einer Finanzierung durch die Republik, damit im Krisenfall ausreichend Gas aus dem Westen, also etwa über Deutschland nach Österreich gelangen kann. Das konkret umzusetzende Projekt trägt bereits den Namen WAG Loop und sollte endlich starten.

- Politisches Engagement der Ministerin das sicherstellt, dass auch in den vorgelagerten ausländischen Gasnetzen, z.B. in Deutschland oder in Italien, die notwendigen Maßnahmen zur ausreichenden Versorgung Österreichs mit Gas gesetzt werden.

- Planung und Organisation der rechtzeitigen Reservierung von heimischen Gas-Speicherkapazitäten und finanzielle Unterstützung der Bevorratung durch das Energieministerium, damit für Österreich bestimmtes Gas bei Bedarf auch tatsächlich in österreichischen Lagerstätten eingelagert werden kann.

- Intensivieren der Gasförderung in Österreich, u.a. durch Heben der österreichischen Potenziale an Grünem Gas (Biogas, Biomethan, Wasserstoff, usw.) und durch Anreize bzw. Förderungen zur Aufschließung der konventionellen österreichischen Erdgasvorkommen. 

"Wenn Politiker den Ausstieg aus russischem Erdgas vorantreiben wollen, sollten sie nicht nur träumen, sondern zuerst Alternativen anbieten, planen, diese erarbeiten und jedenfalls praktisch umsetzen", sagt Benigni. Konkrete Vorschläge von Energieunternehmen zur Entlastung der angespannten Situation lägen seit mehr als einem Jahr auf dem Tisch der Ministerin. (bpf, 26.6.2023)