In Form brauner, manchmal fast roter Felsen, umringt von Sand und Geröll, zieht sich die Atacama-Wüste entlang der Pazifikküste Chiles. Weil es in der trockensten Wüste der Welt kaum Vegetation gibt, wird die eintönige Landschaft oft als Testgelände für mögliche Marsmissionen verwendet.

Doch nahe der Stadt Alto Hospicio durchbricht eine bunt gesprenkelte Formation die Monotonie: Seit Jahren türmen sich dort Tonnen gebrauchter Kleidungsstücke – und der Berg wächst so schnell wie nie. 157.000 Tonnen Altkleider importierte Chile 2021, mehr als doppelt so viel wie noch im Jahr 2017. Innerhalb weniger Jahre ist das Land zum viertgrößten Importeur von Altkleidung geworden.

Atacama-Wüste, Berge an Textilien, eine Straße führt dazwischen hindurch
In der Atacama-Wüste in Chile werden tonnenweise Altkleider deponiert.
APA/AFP/MARTIN BERNETTI

Immer größere Textilflut

Doch das Land könne die immer größeren Ströme an gebrauchten Kleidungsstücken nicht mehr bewältigen, weshalb immer mehr Kleidung deponiert werde, sagt die chilenische Forscherin Beatriz O'Brien, die im Auftrag zweier UN-Organisationen eine Studie zur Textildeponie in der Atacama-Wüste durchführt. Am Montag stellte sie im Vorfeld der "Österreichischen Konsumdialoge" erste Ergebnisse vor.

"Das ist nicht unser Müll", sagt O’Brien, als sie die vor Ort gemachten Fotos Medienleuten präsentiert, und spricht von "Abfallkolonialismus". Dass die Altkleidung aus Europa, Nordamerika, zunehmend aber auch aus Asien kommt, sei gut dokumentiert. "Man sieht alle großen Marken: Nike, Adidas, H&M", erzählt die Forscherin.

Auch Neuwaren deponiert

Doch auch wenn die Berge auf den ersten Blick wie Müll aussehen, sei ihr bei genauerem Hinsehen aufgefallen, dass viele Kleidungsstücke unbenutzt sind. "Viele haben sogar noch ein Preisetikett", sagt O’Brien. Auch Teile von Autos oder Fitnessgeräten finden sich in den Bergen aus Textilien. "Das ist wirklich eine surreale Landschaft."

Kleidungsstücke in der Atacama-Wüste
Auf den Deponien liegt auch viel neue und neuwertige Kleidung.
Beatriz O‘Brien

Die Kleidung komme vor allem über vier große Häfen nach Chile und werde anschließend für ein bis zwei Dollar pro Kilogramm an lokale Händler weiterverkauft. Aber nur ein sehr kleiner Teil der ankommenden Kleidung könne laut O’Brien wiederverwendet werden. Für die fachgerechte Entsorgung oder das Recycling fehlten wiederum moderne Anlagen, weshalb die Kleidung in großen Mengen deponiert wird.

Da die Deponie mitten in der Wüste liegt, lässt sich die Situation nur schwer regulieren. Vor allem nachts könne man die Lastwagen laut O’Brien beim Abladen beobachten. Erst im Jahr 2022 brannte die Textildeponie Paso La Mula fast eine Woche lang – wobei insbesondere synthetische Kleidung Giftstoffe freigeben würde. Trotzdem würden weiterhin Altkleidung und unverkäufliche Neuware in Paso La Mula abgekippt.

Brennende Mülldeponie in der Wüste
Immer wieder brennen Textilmülldeponien in der chilenischen Wüste.
Beatriz O‘Brien

Vernichtungsverbot für neue Kleidung

Veronika Bohrn Mena von der Gemeinwohlstiftung Común fordert, dass Konzerne, deren Produkte dort deponiert werden, zur Kasse gebeten werden. "Dann könnten wenigstens Recyclingwerke gebaut werden", sagt Bohrn Mena, die auch die Initiative Lieferkettengesetz gestartet hat. Anfang Juni hat sich das EU-Parlament auf eine Position zu einem Lieferkettengesetz festgelegt, der Entwurf geht nun in den Trilog, das Gesetzgebungsverfahren von EU-Rat, Kommission und Parlament.

Das Gesetz soll Unternehmen dazu verpflichten, die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards entlang ihrer Wertschöpfungskette sicherzustellen. Doch laut Bohrn Mena komme die Entsorgung in den Diskussionen zu kurz. Helfen könnte etwa ein Vernichtungsverbot für unverkaufte Textilien, wie es derzeit ebenfalls auf EU-Ebene verhandelt wird. Nach einer Schätzung von Greenpeace werden in Österreich jährlich 4.600 Tonnen ungenutzter Textilien vernichtet.

Umweltfaktor Fashion

Eine Lösung für die Textilmüllberge könnte Textilrecycling sein – doch derzeit werden weltweit nur aus einem Prozent der Altkleidung neue Textilien, der Rest wird verbrannt oder deponiert. Denn zumindest derzeit stellt sich das Recycling als äußerst schwierig dar: Beim mechanischen Recycling, bei dem etwa Baumwollstoffe zerkleinert und zu neuen Garnen verarbeitet werden, verlieren die Fasern erheblich an Qualität.

Chemisches Recycling, bei dem vor allem synthetische Materialien wie Polyester in ihre chemischen Bestandteile zerlegt und neu gesponnen werden, steht ebenfalls erst am Anfang – und solange genügend günstigstes Erdöl vorhanden ist, lohnt sich der Prozess wirtschaftlich nicht.

Auch der politische Fokus liegt deshalb zunehmend darauf, längerlebige Kleidung zu produzieren. Mit einer im vergangenen Jahr vorgestellten Textilstrategie will etwa die EU erreichen, dass bis 2030 alle Textilprodukte haltbar, reparierbar und recycelfähig sind. Außerdem sollen Reparaturbetriebe breitflächig verfügbar und Wegwerfmode die Ausnahme sein. Eine neue Influencer-Kampagne soll wohl vor allem junge Menschen von mehr Secondhand überzeugen.

Dem NGO-Netzwerk Zero Waste Europe geht die EU-Strategie nicht weit genug. Denn die Produktion von höherwertiger Kleidung könnte laut einem Bericht der Organisation paradoxerweise zu mehr Ressourcenverbrauch führen – zumindest wenn sich am grundlegenden System, der Überproduktion, nichts ändere. (pp, 26.6.2023)