Auf der Suche nach einem neuen Feindbild lässt die ÖVP in diesen Tagen und Wochen ein Gespenst wiederauferstehen, das in Österreich schon zu den wirklich Toten zu gehören schien. Seit Gottseibeiuns Andreas Babler die SPÖ übernommen hat, übt uns die Volkspartei mit kruden Argumenten in Marxismus-Abwehr ein. So meinte etwa ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker bei einer Nationalratssitzung zur Kika/Leiner-Pleite zuletzt, die von der SPÖ geforderte Jobgarantie könne man nur dann geben, "wenn man dem Marxismus zum Durchbruch verhelfen will".

Karl-Marx-Hof
Laut ÖVP Wien muss der Karl-Marx-Hof wohl umbenannt werden.
FOTO: APA/Herbert Neubauer

Am Montag nun ließen die Wiener Schwarzen ihre rote Katze aus dem Sack: Wer künftig kommunale Förderungen will, solle in Wien auf seine weltanschauliche Grundlage überprüft werden, beantragten sie. Ziel dabei sei, Marxisten bzw. Leninisten von derlei Geldsegen auszuschließen. Hier kam erneut Babler ins Spiel, von dem die ÖVP zu wissen behauptet, dass er 2022 eine Lenin- und eine Marx-Büste in seinem Traiskirchner Bürgermeisterbüro stehen gehabt habe. Wer Lenin schätze, ziele auf eine "marxistische Diktatur" ab, heißt es in dem ÖVP-Antrag, der im nächsten Wiener Rechnungsausschuss abgestimmt werden soll.

Gerüchte über Andreas Babler

Nun mag der Plan für einen Marxismus-Check zwar skurril wirken, und was den neuen SPÖ-Vorsitzenden und seinen Bürodekor angeht, so basiert er auf reinem Hörensagen und Gerüchten. Dahinter jedoch steht eine böse Tradition. Was die Wiener ÖVP hier aus der Mottenkiste zu holen versucht, ist der altbekannte Linkenhass Konservativer und Rechter, der – zusammen mit seiner Entsprechung, dem Hass Linker auf Rechte – Österreich in der Ersten Republik in den Bürgerkrieg getrieben hat. In gemäßigterer, wenn auch der politischen Zusammenarbeit von Schwarz und Rot höchst abträglicher Form waren die Schatten dieser Zeit schon in den vergangenen Jahren spürbar. Der Parteivorsitz Bablers, eines dezidierten Linken, lässt das rechte Ressentiment nun offenbar irrlichtern.

Denn auch wenn Bemerkungen aus dem ÖVP-Antrag, wie dass unmittelbar nach der Machtergreifung Lenins 1917 die neu errichtete Geheimpolizei Tscheka innerhalb von zwei Monaten bis zu 15.000 Menschen ermordete und dass Terror, Folter, Mord und Zwangsarbeit Bestandteil der marxistischen Diktatur waren, voll zuzustimmen ist: Was hat das mit dem Wien von heute zu tun? Tatsächlich schlägt der Antrag ein Projekt im Wien-Museum vor, um "auch Straßennamen bzw. Denkmäler auf historisch bedenklichen Hintergrund" zu überprüfen. Dabei gehe es zum Beispiel auch um den Karl-Marx-Hof. Wäre den Antragstellern gar eine Engelbert-Dollfuß-Siedlung lieber? (Irene Brickner, 27.6.2023)