24-Stunden-Betreuung
300 Fotos von 24-Stunden-Betreuerinnen wurden am Dienstag symbolisch vor dem Ministerium aufgestellt.
Christoph Glanzl/IG24

Am Dienstagnachmittag bot sich Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) ein ungewöhnlicher Anblick: 300 Fotokärtchen waren beim Eingang des Ministeriums am Wiener Stubenring aufgestellt. Abgebildet waren Frauen, 24-Stunden-Betreuerinnen, die es wegen ihrer Arbeit nicht zur Kundgebung geschafft haben. Doch auch für den lauten Protest war gesorgt: "24 Stunden – wir sind da!", skandierten die etwa 70 Personen vor dem Eingang – darunter viele Betreuerinnen.

Betreuerin: "Genug ist genug"

Eine davon war die Rumänin Roxana R.: "Wir haben die Nase voll von der Scheinselbstständigkeit. Ihr habt uns Anstellung versprochen. Ihr habt uns arbeitsrechtlichen Schutz versprochen", sagt sie ins Mikro, während die Frauen zu klatschen beginnen. Doch passiert sei auch dieses Mal nichts. "Wir wollen endlich soziale Absicherung. Genug ist genug!"

Wogegen sich der Unmut der Anwesenden richtet: die von Rauch 2022 angestoßene große Pflegereform, die Verbesserungen für den Bereich der 24-Stunden-Betreuung vorsah. Seit die Neuerungen seit wenigen Wochen aber schwarz auf weiß vorliegen, rumort es in der Branche. Die Frauen fühlen sich einmal mehr übergangen.

24-Stunden-Betreuung
Etwa 40 Betreuerinnen und Unterstützerinnen waren dem Aufruf der InteressengemeinschaftIG 24gefolgt.
Christoph Glanzl/IG24

Wahlbetrug der Interessenvertreter

Dabei ist die 24-Stunden-Betreuung eine Branche, in der ohnehin widrige Verhältnisse herrschen. Das wurde etwa im oberösterreichischen Wels sichtbar, wo vor einer Woche eine Agenturbetreiberin verurteilt wurde. Sie hatte bei der WKO-Wahl 2020 Unterschriften von etwa 50 Betreuerinnen, die bei ihrer Agentur unter Vertrag standen, gefälscht. Ihr Mann zog darauf in die Fachgruppe für Personenberatung und -betreuung ein. Auch im Burgenland wurde bereits ein Funktionär deswegen verurteilt. Gegen drei weitere Funktionäre wird laut STANDARD-Informationen immer noch ermittelt.

Außer Geldstrafen gab es keine anderen Konsequenzen: Laut WKO ist der burgenländische Funktionär zwar seit April 2022 nicht mehr Teil der Fachgruppe – rausgeworfen wurde er aber nicht, er habe selbst die Funktion zurückgelegt, heißt es auf STANDARD-Nachfrage. Alle anderen vertreten immer noch offiziell die Interessen der 24-Stunden-Betreuerinnen.

Doppelte Abhängigkeit

Denn die 24-Stunden-Betreuerinnen sind offiziell selbstständig – was derartige Arbeitszeiten überhaupt erst ermöglicht. Den Staat kommt das freilich günstiger. Gleichzeitig sind sie sowohl von ihren zu betreuenden Personen als auch von den Vermittlungsagenturen – die ihnen teils hohe Provisionen abknöpfen – abhängig. Die Honorare bestimmen meist die Agenturen. Selbstständig scheinen sie in den meisten Fällen also nur auf dem Papier zu sein.

Weitere Missstände, die daraus resultieren, sind seit Jahren bekannt (siehe hier oder hier). Auf einen neuen machte am Dienstag die Serbin Eva M.* (der echte Name ist der Redaktion bekannt) aufmerksam. "Weil Serbien nicht Teil der EU ist, sind die serbischen 24-Stunden-Betreuerinnen in der Praxis gezwungen, in Dreimonatsturnussen und teilweise undokumentiert zu arbeiten", sagt die Betreuerin. Die Behörden jedoch würden ihre Augen vor dieser Ungerechtigkeit verschließen.

Pflegereform als großer Wurf

Ein politischer Wille, diese Missstände und letztlich die vielfach kritisierte Scheinselbstständigkeit anzugehen, war über Jahre nicht erkennbar. Bis zum Vorjahr: Da ließ Gesundheitsminister Rauch mit dem großen Pflegepaket aufhorchen. Auch die 24-Stunden-Betreuung fand dort, wenn auch ganz am Ende, Erwähnung. Die Arbeitsbedingungen sollten verbessert und insbesondere die Anstellungsform, die grundsätzlich möglich ist, aber kaum genutzt wird, attraktiviert werden.

Im Mai sah das Paket dann folgendermaßen aus: Die Förderung der 24-Stunden-Betreuung, die pflegebedürftige Personen ab Pflegestufe 3 erhalten, wird um 25 Prozent auf 800 Euro erhöht. Werden die Betreuerinnen angestellt, gibt es künftig statt 1.280 nun 1.600 Euro Förderung. Eine Änderung soll es auch beim Betreuungssetting geben: Selbstständige Betreuerinnen sollen bis zu drei nicht verwandte Personen pro Haushalt pflegen können.

Keine Garantie für bessere Bezahlung

Doch all das verschlimmere letztlich die Arbeitsbedingungen, sagt Flavia Matei von der IG 24, also jener Interessengemeinschaft, die die Kundgebung organisierte, im STANDARD-Gespräch. "Wie soll eine Frau drei Menschen auf einmal betreuen?" Auch sei die Erhöhung kein Garant für ein besseres Honorar der Betreuerinnen. Und die Attraktivierung der Anstellung? Diese sieht Matei mit den zusätzlichen 300 Euro nicht gegeben. "Da braucht es wesentlich mehr Geld, um Familien vom Anstellungsmodell zu überzeugen."

Auf die Kritik angesprochen, hält das Sozialministerium schriftlich fest: "Um mehr Transparenz durch Agenturen sicherzustellen, sollen künftig neue Vorgaben normiert werden, damit die Abrechnung für Betreute und Betreuerinnen nachvollziehbar ist." Auch würde dieser Teil der Pflegereform den Ausbau von Beratungszentren und Supervision sowie E-Learning vorsehen.

Offener Brief an Rauch

Doch das reicht den Betreuerinnen und den 30 Organisationen, darunter die IG 24, der Volkshilfe, SOS Mitmensch sowie den Parteien Links und KPÖ nicht aus. In einem offenen Brief an Rauch fordern sie unter anderem mehr Geld sowie alternative Betreuungsformen im Rahmen gesetzlich geregelter Anstellungsverhältnisse durch die öffentliche Hand. "Wenn sich nichts ändert, dann schrecken wir auch nicht vor Warnstreiks zurück", sagt eine Betreuerin.

Was die Rumänin Roxana R.* dem Gesundheitsminister gerne ausrichten würde? "Dass er einmal eine Woche lang unsere Arbeit machen soll und das wie wir 24 Stunden", sagt sie. Dann würde er die Arbeitsbedingungen wirklich verbessern, zeigt sie sich überzeugt und fügt hinzu: "Nur eine Woche." (Elisa Tomaselli, 28.6.2023)