Mithu Sanyal
Die deutsche Literaturkritikerin Mithu Sanyal ist einer der zwei Neuzugänge in der heurigen Bachmannpreis-Jury.
Regentaucher | Fotografie

Vor ein paar Tagen hat Mithu Sanyal sich ein Interview mit der Bachmannpreis-Juryvorsitzenden Insa Wilke angesehen. Dort stellte diese fest, dass die Jury in Klagenfurt nicht divers genug sei und man auf Diversität achten müsse. "Ich habe das Gefühl, ich bin diese Diversität", sagt Sanyal im Gespräch mit dem STANDARD. Sie ist heuer einer der Neuzugänge in der siebenköpfigen Jury. Geboren wurde sie 1971 als Tochter eines indischen Vaters und einer polnischen Mutter in Düsseldorf. "Wobei das natürlich Quatsch ist", legt sie dem Diversitätsmandat allerdings sogleich nach. Einerseits sei die Jury ohnehin "in vielen Aspekten total divers", andererseits könne sie selbst "auch nur bestimmte Diversitätskriterien abdecken", namentlich das aktuell im allgemeinen Bewusstsein präsente Thema "Race". In vielen anderen Aspekten sei sie hingegen auch eher "eine alte weiße Frau".

Nämlich ist Sanyal seit 25 Jahren journalistisch tätig, hat für den Spiegel, die Zeit, die Süddeutsche Zeitung oder das Missy Magazine geschrieben. Für den WDR schreibt sie Hörspiele und Features und spricht in Radiosendungen über Cancel-Culture oder den Fall Rammstein unter dem Aspekt von MeToo. Breiter bekannt geworden ist sie 2022 mit ihrem ersten und rasant-klugen Roman Identitti über eine Professorin für Postcolonial Studies, die sich als Person of Color ausgibt, aber weiß ist. Sanyal ist also besonders beschlagen in den aktuell für die größten Wirbel sorgenden Diskursen. Wird sie das in die Jury hineintragen?

Es geht hart zu

Sie tut es bereits mit den von ihr eingeladenen Texten. "Nicht weil ich explizit danach gesucht habe, aber weil mich eben bestimmte Texte ansprechen", sagt sie. Und bringt Texte mit nach Klagenfurt, "bei denen ich mir gedacht habe, das ist vielleicht noch nicht genug vertreten". Eingeladen hat sie einerseits den französischstämmigen Autor und Spoken-Word-Artisten Jayrome C. Robinet. Er hat Gedichte und Theatertexte veröffentlicht, 2019 erschien das Memoir Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund. Seit 13 Jahren lebt er als Mann.

Sanyals anderes Ticket löste Jacinta Nandi, Tochter eines indischen Vaters und einer weißen Mutter, aufgewachsen in der Londoner Vorstadt, heute wohnhaft in Berlin. Sie schreibt wie Sanyal fürs Missy Magazine, ihre Romane Nichts gegen blasen oder 50 Ways to Leave Your Ehemann handeln von Alleinerzieherinnen, Armut, Sex, Klasse. Es geht hart zu.

Diversität à la Klagenfurt

Repräsentativ sei der Bachmannpreis nicht für die deutschsprachige Literaturszene. Deshalb hat sie eine der beiden Personen, die sie ins Rennen schickt, gezielt angesprochen und um einen Text gebeten – "weil ich weiß, diese Person hätte sich von alleine nicht beworben". Auch sie selbst habe aber ihren "Tunnelblick", vergesse immer wieder, dass "nicht jede deutschsprachige Literatur aus Deutschland stammt. Da ist Klagenfurt mit seinen Autoren aus den drei Ländern also sehr divers."

Mario Wurmitzer
Mario Wurmitzer ist einer der beiden heimischen Autoren im Bewerb.
ORF

Zu diesen Autoren stoßen aus Österreich der bisher vor allem mit Theaterstücken reüssierende Mario Wurmitzer (30) und die Jugendpsychologin und Schriftstellerin Anna Felnhofer (geb. 1984; Debütroman Schnittbild). Die auch nominierten Robert Prosser und Helena Adler mussten ihre Teilnahmen absagen.

Deshalb geht der 47. Bewerb mit nur zwölf Lesungen an drei Tagen über die Bühne. Neun Beiträge kommen aus Deutschland (Deniz Utlu lehrt Sprachkunst an der Angewandten in Wien), ein Beitrag aus der Schweiz. Ebenso wie das zweite neue Jurymitglied, der Literaturprofessor Thomas Strässle. Sanyal und er ersetzen die Wiener Autorin Vea Kaiser und den Schweizer Kritiker Michael Wiederstein.

Anna Felnhofer
Auch Anna Felnhofer nimmt aus Österreich teil.
ORF

Wieder im Studio

Neu ist mit dem Christian Ankowitsch nach zehn Ausgaben nachfolgenden ORF-Journalisten Peter Fässlacher auch der Moderator der Lesungen, die wieder unter Wahrung der Einheit von Ort, Zeit und Handelnden im ORF-Theater stattfinden. Die vorjährige Autoren-Gartenbühne war der Pandemie geschuldet, bei der Jury stieß sie auf wenig Gegenliebe. Diese wird am Sonntag die Gewinner küren.

"Der Bachmannpreis ist die Zeit im Jahr, in der alle meine Freunde über wenig anderes reden. Dann ist auch Weltpolitik nicht wichtig. Das ist toll!", sagt Sanyal. Eröffnet wird diese "Parallelwelt" heute Abend indes von der 2011 aus der Ukraine nach Wien übersiedelten Tanja Maljartschuk (Gewinnerin 2018) mit ihrer Rede Hier ist immer Gewalt. Hier ist immer Kampf. Die Welten werden sich also treffen. (Michael Wurmitzer, 28.6.2023)