Minister Polaschek
Bildungsminister Martin Polaschek fühlt sich missverstanden: Die Reform der Freizeitpädagogik, gegen die sich die Beschäftigten zur Wehr setzen, stehe erst am Anfang. Er möchte alle "im System halten".
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Auf Martin Polascheks Lieblingsprojekt wird man schon im Vorraum des Ministerbüros aufmerksam: "Alle wollen die Welt retten. Du kannst!", steht auf Flyern der "Klasse Job"-Kampagne. Damit sollen Quereinsteiger angesprochen werden - 800 Personen haben den Lehrgang dafür bisher absolviert. Der Personalmangel ist aber nicht die einzige Baustelle zum Schulschluss.

STANDARD: Im Osten des Landes werden am Freitag die Zeugnisse vergeben: Wo haben Sie in diesem Schuljahr gut, wo weniger gut abgeschnitten?

Polaschek: Wir haben die Initiative "Klasse Job" auf Schiene gebracht, um das Personalmanagement zu verbessern und Quereinsteiger anzusprechen. Außerdem haben wir die Pflegeschulen als neuen Schultyp eingeführt. Mit den neuen Lehrplänen können wir nun viel rascher und flexibler reagieren. Das Steinchen, das uns noch fehlt, ist die Reform des Lehramtsstudiums.

STANDARD: Bei der Lehramtsreform spricht die Hochschülerschaft sogar von Chaos und Verzögerungen. Wann können Studierende kürzer studieren?

Polaschek: Ich erkenne kein Chaos. Wir arbeiten an dem neuen Lehramtsstudium. Wir haben nicht erst ein Gesetz gemacht und dann die Institutionen damit überrumpelt, sondern sie in den Prozess eingebunden. Jetzt arbeiten wir an einem Gesetzesvorschlag - in Abstimmung mit dem Koalitionspartner. Mein Wunsch ist, dass wir das Gesetz im Herbst beschließen.

STANDARD: Die Wiener ÖVP hat Sie aufgefordert, die Lehrpläne einem Marxismus-Check zu unterziehen. Werden Sie das tun?

Polaschek: In Lehrplänen definieren wir Inhalte, die jungen Menschen vermittelt werden. Dazu gehört auch, zu lernen, wie sich die Welt in den letzten 200 Jahren entwickelt hat – und auch Begriffe wie "Marxismus" oder "Faschismus".

STANDARD: Sie wollen also keine Überarbeitung?

Polachek: Nein. In Schulbüchern wird der Nationalsozialismus genauso thematisiert wie die Oktoberrevolution. Es ist wichtig, dass Kinder auch die Unterschiede zwischen Nationalsozialismus und Faschismus lernen, aber auch verstehen, was der Marxismus ist und wie es in der Sowjetunion war.

STANDARD: Kein gutes Zeugnis dürften Ihnen die Freizeitpädagogen ausstellen: Sie gehen seit Juni auf die Barrikaden, weil sie nicht zu schlechteren Konditionen arbeiten oder weniger verdienen wollen. Was planen Sie?

Polaschek: Hier werden Bedrohungsszenarien gezeichnet, die es nicht gibt. Wir sind am Anfang eines Prozesses. Wir loten aus, wie wir ein völlig neues Berufsfeld schaffen und die Einsatzmöglichkeiten erweitern können. Wir haben erst damit begonnen, ein Grundgerüst zu bauen.

STANDARD: Freizeitpädagogen werden also künftig nicht schlechter bezahlt?

Polaschek: Nein. Wir wollen einen Weg finden, um alle im System zu halten mit den entsprechenden, guten Arbeitsbedingungen.

STANDARD: Zuletzt gingen auch viele Lehrkräfte wegen Personalnot auf die Straße. Wie viele Lehrer fehlen?

Polaschek: Wir sind gerade im Planungs- und Zuteilungsprozess. Die Bildungsdirektionen melden uns zurück, dass es im Großen und Ganzen gelingen wird, den Bedarf zu decken.

STANDARD: Neben dem Mangel werden allerdings auch die Arbeitsbedingungen kritisiert. Die Lehrkräfte beklagen sich etwa über Mehrbelastung und Bürokratie. Wie schaffen Sie Erleichterungen?

Polaschek: Wir haben schon zwei Pakete mit den Gewerkschaften gemeinsam auf Schiene gebracht. Auch sind wir in ständigem Austausch mit den Standesvertretungen und bitten diese, Vorschläge zu machen. Wir arbeiten derzeit an einem dritten Paket: Ein Teil davon wird die Entlastung bei administrativem Aufwand sein. Eine weitere Entlastung soll durch zusätzliches Unterstützungspersonal in den Schulen kommen - zum Beispiel eben durch Assistenzpädagogen beziehungsweise Freizeitpädagogen.

STANDARD: In Österreich fehlen auch viele Kassenärzte. Sie prüfen, ob es möglich ist, die Quote der österreichischen Medizinstudierenden zu erhöhen. Derzeit gehen drei Viertel der Plätze an Österreicher. Wie viele sollen es werden?

Polaschek: Diese Quote beruht auf einem Kompromiss mit der Europäischen Kommission. Wir werden Varianten prüfen und an die Europäische Kommission allenfalls herantreten.

STANDARD: Ein Drittel der Schulleitungen sagt laut einer aktuellen Befragung, dass sie sich nicht an Ihre Vorgaben zur Einrichtung einer Deutschförderklasse halten. Was machen Sie jetzt?

Polaschek: Es wird entsprechende Gespräche geben, weil es klare Anweisungen zum Wohle der Kinder gibt. Auch Lehrkräfte müssen sich an die Anweisungen und das Gesetz halten.

STANDARD: Allerdings deckt sich die Befragung mit den Ergebnissen einer Evaluierungsstudie Ihres eigenen Ministeriums. Die Lehrkräfte wünschen sich mehr Autonomie bei der Deutschförderung. Werden sie diese bekommen?

Polaschek: Wir haben viele Empfehlungen aus der Studie bereits umgesetzt - es gibt mehr Geld und eine Überarbeitung des Mika-D-Testverfahrens. Weiters haben wir die Möglichkeit geschaffen, die Mika-D-Testung auch während des Semesters durchführen zu können, wenn zu erwarten ist, dass der Lehrplan erfüllt wird und somit eine Umstufung vorgenommen werden kann. Was wir nicht gemacht haben, ist, mehr Autonomie zu ermöglichen. Lehrerinnen und Lehrer können Vorgaben, die ihnen nicht gefallen, nicht einfach ignorieren. Sie können sich schließlich auch nicht aussuchen, ob die Schüler und Schülerinnen morgens in die Schule kommen müssen.

STANDARD: Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie nur akute Brände in der Bildung löschen, aber keine Vision für die Bildungspolitik haben: Was entgegnen Sie? Wie soll die Schule in 20 Jahren aussehen?

Polaschek: Die Kritik ist unfair: Ich bin der erste Bildungsminister, der eine Pandemie, einen Krieg in Europa und eine Inflation, die es seit der Ersten Republik nicht mehr gegeben hat, zu managen hat.

STANDARD: Aber abseits davon: Wie sieht die Vision für das Bildungssystem von morgen aus?

Polaschek: Dass es uns gelingt, für alle Bereiche strukturell langfristige Reformen zu finden. Bis zum Ende dieser Legislaturperiode möchte ich einen konstruktiven Dialog mit allen Menschen, die an Bildung interessiert sind, führen und gemeinsam eine Vision entwickeln, wo die Bildung hingeht. Ich habe das Ziel eines möglichst inklusiven Systems, in dem alle Schülerinnen und Schüler, egal mit welchem Familienhintergrund, die besten Bildungschancen haben. Aber ich muss auch sagen: Österreichs Schulen sind im Großen und Ganzen gut. Ja, wir haben Verbesserungsbedarf. Aber am Ende des Schuljahres wird das Bildungssystem regelmäßig strukturell krankgejammert. Die Bildungsdiskussion in Österreich ist erstens extrem ideologisch und zweitens extrem emotional. Wir tun uns in Österreich sehr schwer, konstruktiv über Bildung zu diskutieren. (Oona Kroisleitner, Elisa Tomaselli, 30.6.2023)