Szene in Nanterre nach Tod eines 17-Jährigen
In Nanterre wurde am Donnerstag eine Bankfiliale in Brand gesetzt.
AP/Aurelien Morissard

Paris/Brüssel – In der dritten Nacht in Folge hat es in Frankreich nach dem Tod eines Jugendlichen bei einer Polizeikontrolle Krawalle im Großraum Paris und weiteren Städten gegeben. Das österreichische Außenministerium hat indessen seine Sicherheitshinweise für Frankreich aktualisiert. "Die Sicherheitslage in der Ile de France und anderen französischen Großstädten sei instabil", hieß es auf der Website. Reisen in die Vorstadtviertel um Paris sollen gemieden werden, informierte das Ministerium. Das Ministerium rief bei Reisen nach Frankreich zudem zu einer Registrierung auf.

40.000 Polizisten waren in der Nacht auf Freitag landesweit mobilisiert, um die Ausschreitungen einzudämmen. Spezialkräfte und Hubschrauber kamen in etlichen Städten zum Einsatz, berichteten die Zeitung "Le Parisien" und der Sender BFMTV. Nach Angaben von Innenminister Gérald Darmanin wurden in der Nacht 667 Menschen festgenommen. Wegen der anhaltenden Krawalle in Frankreich wird ein Teil des Nahverkehrs im Ballungsraum Paris abends bis auf weiteres unterbrochen.

Macron verlässt EU-Gipfel vorzeitig

Alle Straßenbahnen und Busse müssen in Absprache mit der Polizei spätestens um 21.00 Uhr anhalten, teilte die zuständige Behörde am Freitag per Twitter mit. Verkehrsminister Clement Beaune hatte dem Radiosender RMC zuvor gesagt, dass der öffentliche Nahverkehr im Großraum Paris am Freitag ernsthaft beeinträchtigt sei. In einem Depot in Aubervilliers im Norden von Paris wurden zwölf Busse bei einem Feuer zerstört. Auf einem Video, das über soziale Netzwerke verbreitet wurde, war zudem eine brennende Tram in der Stadt Lyon im Osten Frankreichs zu sehen.

"Die Antwort des Staates muss äußerst entschlossen sein", sagte Darmanin in der nördlichen Stadt Mons-en-Baroeul, wo mehrere öffentliche Gebäude in Brand gesetzt worden waren. In der Region Paris fahren seit Donnerstagabend keine Busse und Straßenbahnen mehr, im acht Kilometer vom Pariser Stadtzentrum entfernten Clamart gilt eine nächtliche Ausgangssperre bis Montag. Präsident Emmanuel Macron hat für Freitag erneut eine Krisensitzung der Regierung einberufen. Diese sei für 11 Uhr geplant, meldete BFMTV unter Verweis auf das Präsidialamt. Macron verließ vorzeitig den EU-Gipfel in Brüssel verlassen, um an einer Krisensitzung teilzunehmen.

In Nanterre bei Paris, wo der 17-Jährige am Dienstag ums Leben gekommen war, wurde am Donnerstagabend eine Bankfiliale in Brand gesetzt, wobei die Flammen auf ein darüber gelegenes Wohngebäude übergriffen. Die Feuerwehr löschte den Brand, ohne dass Menschen zu Schaden kamen.

Brennendes Auto bei Krawallen in Frankreich
Bei den Ausschreitungen wurden auch Autos angezündet.
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Katz-und-Maus-Spiel

Im Anschluss an einen Trauermarsch für den erschossenen Jugendlichen in Nanterre mit 6.000 Teilnehmern gab es dort am Donnerstagabend bereits Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und der Polizei. Die Beamten wurden mit Molotowcocktails beworfen, die Polizei überwachte die Lage mit Hubschraubern und zog Spezialkräfte zusammen, 19 Personen wurden festgenommen. In der Hafenstadt Marseille gerieten hunderte Protestierende mit der Polizei aneinander, Geschäfte wurden geplündert und 14 Menschen festgenommen.

In Lille, Lyon und in Bordeaux kamen Spezialeinheiten der Polizei zum Einsatz. In Grenoble wurde ein Bus mit Feuerwerkskörpern beschossen, die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe legten daraufhin die Arbeit nieder.

Unterdessen kam es auch in Belgiens Hauptstadt Brüssel zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Ordnungskräften. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Belga wurden etwa 30 Personen festgenommen, ein Großteil davon waren Minderjährige. Diese hätten sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Ordnungskräften geliefert, es habe mehrere Brände gegeben, erklärte die Polizei. Wie die Brüsseler Verkehrsgesellschaft auf Twitter mitteilte, wurde ein Teil des öffentlichen Personennahverkehrs eingestellt.

Einsatzkräfte werden mit Feuerwerkskörpern beworfen - Proteste in Frankreich
In Frankreich waren in der Nacht auf Freitag 40.000 Polizisten im Einsatz.
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Ermittlungsverfahren wegen Totschlags

Belgische Medien zeigten Bilder eines brennenden Autos und von Polizisten in Kampfmontur. Laut Polizei hatten Jugendliche am Donnerstag in sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, sich als Reaktion auf den Tod des 17-Jährigen in Frankreich zu versammeln. Spannungen gab es laut Belga vor allem rund um das zentral gelegene Stadtviertel Anneessens.

Eine Motorradstreife hatte den 17-Jährigen am Dienstagmorgen in Nanterre am Steuer eines Autos gestoppt. Als der junge Mann nordafrikanischer Herkunft plötzlich anfuhr, fiel der tödliche Schuss aus der Dienstwaffe des Polizisten. Gegen den Beamten wurde am Donnerstag ein förmliches Ermittlungsverfahren wegen Totschlags eingeleitet, er kam in Untersuchungshaft. Der Einsatz der Waffe bei der Kontrolle war nicht gerechtfertigt, hieß es von der Staatsanwaltschaft.

Wie der Anwalt des inhaftierten Polizisten BFMTV sagte, bedauere der Beamte den Schuss auf den Jugendlichen. Mit seinen ersten und seinen letzten Worten habe er sich bei dessen Familie entschuldigt. "Er ist am Boden zerstört. Er steht nicht morgens auf, um Menschen zu töten. Er wollte nicht töten." Die Mutter des erschossenen Jugendlichen sagte unterdessen dem Sender France 5: "Ich bin nicht auf die Polizei sauer, ich bin auf eine Person sauer: denjenigen, der meinem Sohn das Leben genommen hat." (APA, red, 30.6.2023)