Im Gastblog zeigt Christine Nölle-Karimi, wie Krankheiten das Pilgern in der älteren und jüngeren Vergangenheit beeinflusst haben.

Im September 1913 brach der Kabuler Regierungssekretär Mirza Abd al-Hosain Moradkhani zu einer Pilgerfahrt auf. In den kommenden sechs Monaten reiste er per Kutsche nach Peshawar in Britisch Indien, per Eisenbahn nach Bombay, per Dampfer nach Dschedda am Roten Meer, per Kamel nach Mekka und Medina und per Hedschasbahn zum Euphrat, um von dort per Floß zu den schiitischen Heiligtümern im heutigen Irak zu gelangen. Was aus heutiger Sicht als beschwerliche Reise erscheinen mag, stellte eine enorme Erleichterung im Vergleich zu den vormaligen Pilgerreisen auf dem Landweg dar. Im ausgehenden 19. Jahrhundert erweiterte die Einführung der Dampfschifffahrt die Reisemöglichkeiten und somit den Kreis der Pilger nach Mekka: Zwischen 1853 und 1910 stieg ihre Zahl von ca. 50.000 auf rund 300.000. Im Vergleich zur diesjährigen Hadsch, zu der 2,5 Millionen Gläubige in Saudi-Arabien erwartet werden, scheinen diese Zahlen verschwindend gering.

Für das osmanische Reich, unter dessen Verwaltung die Heiligtümer bis zum Ersten Weltkrieg standen, bedeutete der Andrang der Pilger jedoch eine logistische und administrative Herausforderung. Die steigenden Passagierzahlen bargen zudem ein wachsendes Gesundheitsrisiko. Nach einem großen Cholera-Ausbruch im Jahre 1865 setzte die osmanische Regierung auf Desinfektion und Quarantäne als Mittel der Prävention. Der Einsatz der just entwickelten Dampf-Sterilisatoren war aufwendig. Da auf den Pilgerschiffen zumeist weder Bettzeug nach Mahlzeiten gestellt wurden, hatte jeder Passagier ein voluminöses Gepäck dabei, inklusive teilweise lebender Essensvorräte.

Maßnahmen gegen Cholera

Eine weitere wichtige Maßnahme war die Einrichtung eines Netzes von Quarantänestationen. Da Indien als Ausgangspunkt der Cholera-Epidemie wahrgenommen wurde, lag besonderes Augenmerk auf Reisenden, die über den Indischen Ozean eintrafen. 1882 wurde auf der Insel Kamaran, die der damaligen osmanischen Provinz Jemen vorgelagert war, die größte Quarantänestation im Roten Meer eingerichtet. Trotz der Bemühungen, die Ausbreitung von Krankheiten zu unterbinden, kam es 1890, 1892 und 1893 zu weiteren Cholera-Epidemien. Gerüchten zufolge war der Ausbruch von 1893, der bis zu 40.000 Pilger dahingerafft haben soll, ausgerechnet auf der Quarantänestation Kamaran ausgebrochen. Dies gab all jenen Auftrieb, die aus kommerziellen und politischen Gründen den Nutzen der Quarantäne bezweifelten und suggerierten, dass vielmehr Kamaran mit seinen rund 30.000 einquartierten Pilgern pro Saison als die eigentliche Brutstätte von Epidemien anzusehen sei.

Luftaufnahme der Insel Kamaran.
Luftaufnahme der Insel Kamaran.
Foto: Kamaran Island NASA, gemeinfrei

Im Oktober 1913 verbrachte auch Mirza Abd al-Hosain die obligate fünftägige Quarantäne auf Kamaran. An seinem Fall lässt sich eine soziale Staffelung der Präventionsmaßnahmen ablesen. Als Passagier der ersten Klasse waren er und sein Gepäck von der Dampf-Desinfektion ausgenommen, und er war zudem in einem getrennten Gebäude für betuchte Pilger untergebracht. Dennoch empfand er sich angesichts der Barracken, der Scheinwerfer, des eingezäunten Geländes und der Wachen am Eingang als Gefangener. Er spricht von seiner Erfahrung auf Kamaran als ebenso "bitter" wie das dortige Wasser. Als ob er den Kritikern der Quarantäne Recht geben würde, erkrankte er auf der Insel und erholte sich erst nach seiner Rückkehr an Bord des Passagierschiffs.

Maßnahmen bei Covid-19

Die heutigen Reisebedingungen sind natürlich keineswegs mit denen des hier vorgestellten afghanischen Pilgers vergleichbar. Aber auch im 21. Jahrhundert bleibt die Assoziation zwischen Hadsch und Ansteckungsgefahr erhalten. Ebenso hat die jüngste Pandemie gezeigt, dass Quarantäne ein wichtiges Mittel bleibt, um die Verbreitung von Krankheiten zu verhindern. Unter den Vorzeichen von Corona wurde die Pilgerfahrt zwar nicht unterbunden, jedoch erheblich eingeschränkt. 2020 durften nur etwa 1.000 Muslime aus Saudi-Arabien zur Hadsch nach Mekka reisen. Letztes Jahr konnten immerhin rund 900.000 Muslime aus aller Welt an der Pilgerreise teilnehmen. Dieses Jahr verspricht nun eine Rückkehr zu Vor-Pandemie-Verhältnissen. (Christine Nölle-Karimi, 30.6.2023)