Logan Sargeant absolviert für Williams seine Premierensaison in der Formel 1.
AFP/JOE KLAMAR

Die Plätze sind rar und heiß begehrt: 20 Cockpits gibt es pro Saison in der Formel 1 zu besetzen. Wer eines davon ergattert, hat bereits eine Knochenmühle in diversen Rennserien hinter sich. Zeit zum Durchschnaufen? Aber wirklich nicht. Das erste Jahr in der Königsklasse des Motorsports ist eine große Herausforderung für sich.

Erwartungshaltung und Druck

Logan Sargeant gehört neben Oscar Piastri (McLaren) und Nyck de Vries (AlphaTauri) zu den drei Rookies der heurigen Saison. Was hat der US-Amerikaner in den ersten Monaten gelernt? "Man muss mit der Erwartungshaltung zurechtkommen", sagt der 22-Jährige dem STANDARD vor dem Grand Prix von Österreich (Sonntag, 15 Uhr, ORF1 und Sky). Als junger Fahrer möchte man alles zerreißen, vergisst aber schnell, dass sich da eben noch 19 andere Ausnahmekönner auf der Rennstrecke herumtummeln. Zum Vergleich: Der US-Amerikaner hat acht Starts in der Formel 1 hinter sich, Fernando Alonso 365.

"Man muss von Wochenende zu Wochenende schauen", sagt Sargeant. Schritt für Schritt. Praktisch ist das leichter gesagt als getan. Die Formel 1 ist ein permanenter Druckkessel. De Vries, der zwar als Debütant bei seinem einzigen Rennen 2022 in Monza sensationell punktete, aber heuer ebenfalls wie Sargeant noch ohne Zähler ist, spürt dies bereits früh. "Er bleibt hinter den Erwartungen", sagte Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko diese Woche. "Wir haben keine zeitliche Frist, aber wir beobachten das genau." Die Vergangenheit dient als Mahnmal. Pierre Gasly durfte 2019 ganze zwölf Rennen für Red Bull Racing fahren, ehe er ins Schwesternteam Toro Rosso zurückkehren musste.

Oscar Piastri (vorne im McLaren) vor Nyck de Vries (AlphaTauri) beim Grand Prix von Australien.
Oscar Piastri (vorne im McLaren) vor Nyck de Vries (AlphaTauri) beim Grand Prix von Australien.
IMAGO/PanoramiC/DPPI

Der eigene Teamkollege ist der ständige Schatten für Rookies. Vergleiche zwischen Nachzügler- und Spitzenteams sind schwer, aber der eigene Teamkollege kämpft ja mit der gleichen Waffe, dem gleichen Auto. Sargeant landete in allen neun Qualifyings hinter Alexander Albon, und de Vries schnitt in sieben Rennen schlechter als Yuki Tsunoda ab.

Andere Dimensionen

Wie viel davon vom tatsächlichen Talent oder von der Erfahrung abhängt, ist schwer zu differenzieren. Selbst nach hunderten Nachwuchsrennen: Die Formel 1 ist eine neue Welt. Sargeant erklärt, dass es "unendlich viele Tools" gebe, mit denen man das Auto feinabstimmen kann. Wie viele davon gab es bei seinem Rennstall Carlin Motorsport in der Formel 2? "Null."

Als Beispiel nennt der Mann aus Fort Lauderdale, Florida, das Differential, welches die unterschiedlichen Radumdrehungen in Kurven ausgleicht. Wie stark man es einsetzt, muss der Fahrer entscheiden. "Man muss erst lernen, all die Tools effektiv einzusetzen", sagt Sargeant. Und all das bei weniger Zeit, denn Fahrer der Formel 1 haben auch abseits der Strecke und Garage zahlreiche Verpflichtungen. Stichwort: Medientag.

Nicht nur sportlich ist die Königsklasse eine Herausforderung. Rookies müssen sich auch an das ganze Drumherum gewöhnen. "In der Formel 2 hatte ich zwölf Leute in meinem Team, jetzt hunderte", sagt der Williams-Pilot. "Zum Glück bin ich gut mit Namen." Es dauert je nach Intro- bis Extrovertiertheitsgrad, bis man sich in größere Teams eingelebt hat. In einem Sport der Tausendstelentscheidungen ein weiterer Schritt zur Leistungsmaximierung. Der Vorteil ist, dass einem damit auch mehr Menschen helfen können. Aber man muss eben auch erst lernen, in welcher Angelegenheit man wo an der richtigen Adresse ist.

Selbstvertrauen

Sargeants größte Lektion in der Premierensaison war die Einsicht, wie knapp es in der Formel 1 zugeht: "Wenn du nicht deine Bestleistung bringst, ist es nicht gut genug." Womit wir wieder beim allgegenwärtigen Druck wären. Alfa-Romeo-Rookie Zhou Guanyu sagte dem STANDARD im vergangenen Jahr, dass man lernen müsse, an das eigene Auto zu glauben. "Du musst Selbstvertrauen aufbauen, um am Wochenende ein Momentum zu bekommen. Du darfst es nicht überstürzen. Ein Dreher kann deinem Selbstvertrauen als Rookie schaden", sagte der Chinese. "Deshalb gehe ich das erste freie Training meist lockerer an, beim Qualifying zählt dann das Resultat."

Wer sich in den Medien erst einmal den Ruf als "Crashpilot" erworben hat, hat ein Problem. Diese Lektion musste Mick Schumacher in den vergangenen beiden Jahren durchleben. Am Ende zog Haas den Schlussstrich und trennte sich vom deutschen Youngster, der heuer bei Mercedes als Testpilot untergekommen ist. Zhou sagt: "Du hast jedes Wochenende extremen Druck. Wenn du ein gutes Wochenende hast, geht es darum, das zu wiederholen oder zu übertrumpfen. Du musst konstant sein."

Streckenkenntnis

Streckenkenntnis "hilft dabei enorm", sagt Sargeant. Nicht nur jene im Simulator, sondern vor allem Liveerfahrung. Die Kurse der Formel 1 werden in vielen anderen Renn- und Nachwuchsserien befahren. Events der Formel 2 und 3 finden etwa als Rahmenprogramm ebenfalls an diesem Wochenende in Spielberg statt.

Die Milchmädchenrechnung ist einfach: Je öfter man einen Kurs gefahren ist, desto eher kann man sich an sein Limit herantasten und weitere Tausendstel in jeder Kurve rausquetschen. Wer etwa erst in der Königsklasse erstmals den adrenalinfördernden, halsbrecherisch engen Stadtkurs in Jeddah (Saudi-Arabien) fährt, wird sich da tendenziell schwerer tun.

Logan Sargeant, Williams
Die Formel 1 gibt Rookies wie Logan Sargeant viel zu denken. Das Problem: Rookies haben beim stressigen Programm wenig Zeit zu denken.
REUTERS/BERNADETT SZABO

Wer neu in der Formel 1, ist gewohnt, an der Spitze mitzufahren. Nur die Besten – oder jene mit reichen Familienmitgliedern – schaffen es nach ganz oben. De Vries holte 2019 in der Formel 2 den Titel und 2021 in der Formel E. Sargeant wurde 2020 in der Formel 3 Dritter. Wer holte sich damals nach einem Herzschlagfinale mit nur vier Punkten Vorsprung auf ihn Platz eins? Oscar Piastri. In der Königsklasse müssen sich Rookies jedenfalls hinten anstellen. Für Sargeant ändert sich damit aber wenig: "Man muss einfach immer sein Bestes geben."

Er ist bis heute mit Piastri befreundet. Über das Leben als Rookie reden sie kaum miteinander. "Dafür sind wir beide zu viel beschäftigt", sagt Sargeant. Insgesamt sieht er sich auf einem guten Weg. Er will sich ein Fundament aus Erfahrung und Wissen aufbauen, das künftig nicht zerbrochen werden könne.

Alpha-Tauri-Teamchef Franz Tost hielt auf der Pressekonferenz am Freitag ein Plädoyer für Neulinge: "Rookies brauchen Zeit", sagte der Österreicher. "Wenn du sie ihnen nicht gibst, hast du keine Chance." (Andreas Gstaltmeyr aus Spielberg, 1.7.2023)