Am vergangenen Sonntag verunfallte Zhou Guanyu in Silverstone schwer. Am kommenden Sonntag tritt er zum Grand Prix von Österreich an.

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Im Juli 2021 durfte Zhou Guanyu in Spielberg erstmals an einer Trainingssession der Formel 1 teilnehmen. Er überzeugte. Heuer ist der Alfa-Romeo-Pilot der erste chinesische Stammpilot in der Königsklasse. Für Schlagzeilen sorgte er zuletzt beim Grand Prix in Großbritannien. Sein spektakulärer Unfall ging um die Welt. DER STANDARD traf den 23-Jährigen vor dem Grand Prix von Österreich (Sonntag, 15 Uhr, live auf ORFeins, ServusTV und Sky) zum Interview.

STANDARD: Was geht einem durch den Kopf, wenn das Auto plötzlich wie in Silverstone kopfüber steht und die Strecke entlangschlittert?

Zhou: Der erste Flip richtet gar nicht so viel Schaden an. Das Problem ist, wenn das Auto den Boden entlangschleift. Dann kann man sich nur noch auf den finalen Aufprall vorbereiten. Ich habe mein Lenkrad losgelassen und versucht, meinen Körper in eine stabile Lage zu bringen. Ich bin generell eine ruhige Person, hatte keine Panik. Ich war bereit für den Aufprall. Du machst einfach das Beste aus der Situation. Wenn du zu denken anfängst, ist es zu spät.

STANDARD: Dann kam der Aufprall. Was war der erste Gedanke, als das Auto endlich zum Stehen kam?

Zhou: Motor ausschalten. Mein Auto war zwischen Reifenstapel und Zaun eingeklemmt. Ich wusste, wenn das Auto in Flammen ausbricht, könnte das Probleme verursachen. Sobald der Motor aus war, war ich entspannter.

STANDARD: Haben Sie sofort gemerkt, dass Sie den Unfall glimpflich überstanden haben?

Zhou: Das Erste, was man in so einer Situation macht, ist es, den eigenen Körper durchzuchecken. Du versuchst, deine Beine und Arme zu bewegen. Wenn das geht, ist das ein gutes Gefühl. Der Nacken ist schwerer einzuschätzen, aber ich habe keine gebrochenen Knochen gespürt. Deshalb war ich schon glücklich und erleichtert. Dann habe ich nur noch gewartet, bis ich befreit wurde. Ich war einfach froh, unverletzt aus dem Auto steigen zu können. Das hat nicht nur die Zuschauer überrascht, sondern auch mich.

STANDARD: Wie verarbeitet man so einen Unfall? Haben Sie sich das Video danach angesehen?

Zhou: Ich habe mir den Unfall im Medical Center angesehen, nachdem ich durchgecheckt worden war. Seither habe ich versucht, mir die Bilder nicht mehr anzusehen. Aber es ist schwer, ihnen zu entkommen. Das Video sieht sogar noch schlimmer aus. Die ganze Welt zeigt es. Nicht nur Motorsportfachportale, sondern auch BBC News. Auch daheim in China kennt es jeder.

FORMULA 1

STANDARD: Sie sagten es selbst: Das Halo hat Ihnen vermutlich das Leben gerettet.

Zhou: Als es für 2018 eingeführt wurde, haben sich viele beschwert. Ich nicht, ich habe es immer unterstützt. Und seither hat es schon vielen Fahrern in verschiedenen Rennserien das Leben gerettet. Der Unfall hat gezeigt, wie stark sich die Sicherheitsmaßnahmen in den vergangenen Jahren verbessert haben. Die Formel 1, aber auch das medizinische Team haben tolle Arbeit geleistet. Deshalb ging es gut aus, und ich bin in Spielberg dabei.

STANDARD: Welche Lektion kann die Formel 1 aus dem Unfall lernen?

Zhou: Wir müssen uns anschauen, wie das Auto zwischen Reifenstapel und Fangzaun eingeklemmt werden konnte. Vielleicht muss man die Lücke schließen. Denn wenn dort ein Feuer ausbricht, wäre es brenzlig geworden. Mein Auto stand seitlich. Es wäre schwer gewesen, da schnell rauszukommen. Das ist der Unterschied zu Romain Grosjeans Unfall in Bahrain 2020. Bei ihm stand das Auto gerade.

STANDARD: Das Kiesbett als Auslaufzone steht auch immer wieder zur Diskussion. Ihr Auto konnte sich dort eingraben und wurde danach hochkatapultiert.

Zhou: Auch das muss noch untersucht werden. Dazu gibt es bisher keine Updates. Bei dem Unfall kamen viele kleine Dinge zusammen. Es wird zwar regelmäßig getestet. Aber wenn etwas passiert, muss man darüber nachdenken, wo Nachbesserungsbedarf besteht.

STANDARD: Sie wirken die ganze Zeit sehr entspannt. Muss man als Formel-1-Fahrer furchtlos sein?

Zhou: Jeder hat Ängste. Ich bin glücklich, dass ich da unbeschadet rauskam. In den 1980ern oder 1990ern wusste man, dass bei einem schweren Unfall etwas passiert. Heute kann man glimpflich davonkommen. Als Fahrer muss man sich auf die Sicherheit verlassen. Aber während des Rennens darfst du nicht daran denken, weil das deine Performance beeinträchtigen würde.

STANDARD: Apropos Angst. Sie erzählten einmal, dass Sie Angst hatten, als Sie mit sechs Jahren zum ersten Mal auf der Gokart-Bahn waren. Erst im zweiten Anlauf stiegen Sie ins Auto. Warum haben Sie sich für den Motorsport entschieden?

Zhou: Ich liebe die Geschwindigkeit und den Wettbewerb. Ich möchte der Beste sein.

STANDARD: Sie sind mit zwölf Jahren der Karriere wegen von Ihrer Heimat Schanghai nach England gezogen. Wie war das?

Zhou: Es war sehr hart. Andere Kultur, andere Sprache. Am Anfang verstehst du nicht, was andere Leute sagen und was du machen sollst. Aber es gab dort den härteren Wettbewerb, das bringt dich weiter. Deshalb war es der richtige Weg. Wenn man daheim bleibt, wird man vielleicht in seiner Region bekannt, aber weltweit kennt dich niemand.

Kopfüber in Silverstone.
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STANDARD: Sie sind nun bekannt – als erster chinesischer Stammpilot der Formel 1. Ist das ein besonderer Druck?

Zhou: Ich stand schon immer unter Druck. Das war schon so, als ich jünger war. Ich war die Hoffnung eines ganzen Landes, in die Formel 1 zu kommen. Ich wollte mir den Traum erfüllen, genauso wie mein Land. Es ist einfacher, wenn du etwa aus Großbritannien kommst. Die haben eine lange Tradition im Motorsport und viele Fahrer herausgebracht. Wenn du es da schaffst, bist du ein Held. Wenn nicht, dann nicht. Aber ich musste es schaffen. Ich brauchte es. Ich wollte es. Und ich habe immer an mich geglaubt. Die Arbeit, die ich reingesteckt habe, zahlt sich jetzt aus.

STANDARD: Welchen Stellenwert hat der Motorsport in China?

Zhou: Es interessieren sich immer mehr junge Leute dafür und Leute, die sich bisher nicht so mit Motorsport beschäftigt haben, weil jetzt einer aus ihrem Land in der Formel 1 mitfährt. Das freut mich. Ich möchte die Leidenschaft dafür wecken. Ich möchte mich weiter beweisen und mein Land stolz machen.

STANDARD: Was hat Sie in Ihrer ersten Saison in der Königsklasse bisher am meisten überrascht?

Zhou: Wie sehr du an dein eigenes Auto glauben musst. Du musst Selbstvertrauen aufbauen, um am Wochenende ein Momentum zu bekommen. Du darfst es nicht überstürzen. Ein Dreher kann deinem Selbstvertrauen als Rookie schaden. Deshalb gehe ich das erste freie Training meist lockerer an, beim Qualifying zählt dann das Resultat. Du hast jedes Wochenende extremen Druck. Wenn du ein gutes Wochenende hast, geht es darum, das zu wiederholen oder zu übertrumpfen. Du musst konstant sein.

STANDARD: Nun steht der Grand Prix von Österreich an. In Spielberg haben Sie sich vergangenes Jahr erstmals in der Formel 1 bewiesen, als Sie im ersten freien Training in Spielberg Fernando Alonso ersetzen durften.

Zhou: Das ist eine besondere Erinnerung. Ich war sehr nervös. Nicht so sehr wie bei meinem F1-Renndebüt in Bahrain, aber nervöser als bei einem Formel-2-Rennen. Es war damals eine gute Session. Ich mag die Strecke hier.

STANDARD: Was ist die größte Schwierigkeit auf dem Red-Bull-Ring, was macht am meisten Spaß?

Zhou: Am schwierigsten ist, dass sich die Bedingungen so schnell ändern können und dass es hügelig ist. Man weiß nie, was auf einen zukommt. In der ersten Kurve kann es trocken sein, in der dritten und vierten feucht. Spaß macht, dass der Kurs viele Chancen für Überholmanöver bietet. Die Strecke ist sehr kurz, dadurch rückt das Feld eng zusammen.

STANDARD: Was ist Ihr Ziel für Sonntag?

Zhou: Ich möchte um Punkte kämpfen. (Andreas Gstaltmeyr, 8.7.2022)