Dass die Klimakatastrophe zu einer starken Zunahme von Extremwetterereignissen führt, lässt sich auch an Gewittern nachvollziehen. So hat sich in den vergangenen 40 Jahren die Anzahl der Blitze in hohen Alpinlagen teils verdoppelt, wie Innsbrucker Atmosphärenwissenschafter und Statistiker kürzlich in einer Studie im Fachmagazin "Climate Dynamics" eindrucksvoll zeigen konnten. "Dass dieser Trend so eindeutig im Einklang mit den globalen Veränderungen des Klimasystems steht, hat uns auch überrascht", sagt Thorsten Simon.

Gewitter über Innsbruck
Die Blitzanzahl in den Alpen nahm in den vergangenen 40 Jahren stellenweise um 100 Prozent zu.
Lukas Lehner

Mit seinen Forschungskollegen der Universität Innsbruck rekonstruierte er die Zahl der Wolke-Boden-Blitze in den Ostalpen zwischen 1980 und 2019. Sie nutzten Messungen, die ab dem Jahr 2010 verfügbar sind, und schlossen mithilfe von Atmosphärenanalysen und maschinellen Lernverfahren auf die früheren Jahrzehnte. Dabei verwendeten sie Daten des erdgebundenen Blitzortungssystems Aldis (Austrian Lightning Detection and Information System), das die Blitzaktivität in Österreich abdeckt.

Doch bald kann für Untersuchungen in diesem Bereich eine weitere Datenquelle genutzt werden. Denn an Bord des ersten Meteosat-Wettersatelliten der dritten Generation, MTG-I1, der vergangenen Dezember in einem geostationären Orbit in 36.000 Kilometer Höhe platziert wurde, befindet sich ein eigener "Lightning Imager". Das Instrument, das vom italienischen Konzern Leonardo in Florenz gebaut wurde, nimmt Blitzaktivitäten in nahezu der ganzen Hemisphäre – inklusive Europas, Afrikas, Teilen Südamerikas und des Nahen Ostens – mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung auf.

Satelliten überwachen Blitze

Der Satellitenbetreiber Eumetsat und die europäische Raumfahrtagentur Esa, zu deren Etat auch das österreichische Klimaministerium beiträgt, planen zudem den Start dreier weiterer Satelliten, die ebenfalls mit dem Instrument ausgerüstet sind und damit weitere Services bieten können. Insgesamt besteht das MTG-Programm aus sechs Satelliten, die allesamt bis 2035 im Orbit sein sollen. Eumetsat investiert dafür 2,9 Mrd., die Esa 1,4 Mrd. Euro.

Diese Woche wurden nun erste animierte Aufnahmen des neuen Blitzdetektors vorgestellt, der noch kalibriert wird und erst 2024 operative Daten an Forschung und meteorologische Dienste liefern wird. Sie zeigen zahllose Entladungen über Afrika und Europa als wild flackerndes Lichtspiel. Es lässt sich nachverfolgen, wie die Blitzaktivität mit der Hitzeentwicklung einhergeht und diese am Nachmittag und Abend zu Gewittern führt. Eine der Regionen mit der höchsten Blitzaktivität ist Zentralafrika, wo Entladungen entlang ausgedehnter Sturmbänder gut erkennbar sind.

Mehr Sicherheit für Flugrouten

Eumetsat-Chef Phil Evans, der den Bildern gar eine "hypnotische" Qualität zuschreibt, hebt die Bedeutung der neuen Daten für die Flugsicherheit hervor. Einer der Gründe: Die Echtzeitaufnahmen von Blitzaktivitäten über den Ozeanen – Daten, die die bestehenden terrestrischen Sensorsysteme nicht liefern können – lassen eine effizientere Routenplanung zu.

Blitz schlägt im Hintergrund ein, während eine Person mit Regenschirm durch die Gegend läuft.
Nicht nur in luftiger Höhe, sondern auch am Boden sollen die Daten die Blitzwarnung verbessern.
AFP/Rakesh Bakshi

Gerade die hochfrequentierten Flugstrecken über dem Atlantik sollen davon profitieren. Die räumliche Auflösung soll auch genauer als das bestehende US-amerikanische System sein. Gleichzeitig ermöglichen die Daten, auch an Land effektiver vor schweren Stürmen zu warnen, da deren Entstehung sich aus abrupten Veränderungen der Blitzaktivität ableiten lassen. Evans: "Es geht nicht darum, nette Bilder zu produzieren, sondern darum, Leben zu schützen."

Die technischen Fähigkeiten des Instruments klingen eindrucksvoll. Vier Kameras mit jeweils fünf Linsen, die sich die Hemisphäre aufteilen, produzieren jeweils 1000 Aufnahmen pro Sekunde und sollen auch kürzeste Einzelblitze gut abbilden können. Spezielle Spektralfilter machen es möglich, selbst wenig intensive Ereignisse bei widrigen Lichtverhältnissen – etwa wenn die Sonne auf der Meeresoberfläche reflektiert wird – einzufangen.

Besonders stolz ist Guia Pastorini, Entwicklerin bei Leonardo, auf die Auswertungsalgorithmen des Instruments. Denn die Bilder werden noch an Bord des Satelliten vorsortiert und bereinigt: Jede Sekunde wird eine Datenmenge von 48 Gigabyte produziert, an die Bodenstation gesendet werden aber lediglich 30 Megabyte – also weniger als ein Tausendstel.

Eine Frage der Genauigkeit

Allerdings: Die exakte Lokalisierung der Blitze hat auch Grenzen, da man von weit oben auf eine Wolkendecke blickt, in der die Phänomene entstehen. Die Wolken streuen das Licht und tragen dazu bei, dass die Genauigkeit der Verortung auf wenige Kilometer beschränkt bleibt. Eine definitive Einschätzung dazu wird erst nach der laufenden Kommissionierung verfügbar sein.

Gewitterzelle in der Landschaft
Gewitterzellen können schnell gefährlich werden. Die Vorhersage bleibt schwierig.
IMAGO/Jan Eifert

Im Vergleich dazu gibt das terrestrische Ortungssystem Aldis eine durchschnittliche Ortungsgenauigkeit von 100 bis 200 Metern an. Bei diesem System werden das magnetische Feld sowie die Polarität der Entladungen registriert. Aus Richtungsinformation und Zeitinformationen an den Sensorstationen kann die Position rückgerechnet werden. Aldis betreibt acht dieser Stationen in Österreich und ist an das europäische Euclid-System mit 150 Stationen angeschlossen.

Einblicke bei Blitzen in Wolken

Vorteile der satellitengestützten Beobachtung gibt es dagegen etwa bei Blitzen, die nicht die Erde erreichen, sondern zwischen Wolken entstehen und die für die Vorhersage und Warnung bei schweren Sturmereignissen relevant sind. Im Zusammenspiel mit Daten der weiteren Satelliten soll sich damit auch ein Profil der Atmosphäre erstellen lassen, sodass die Blitzinformation künftig dreidimensional darstellbar wird.

Für Phil Evans stehen die Daten der Satelliten und der erdgebundenen Sensoren nicht in Konkurrenz, sondern ergänzen sich sehr gut. "Ich weiß, dass sich manche Institutionen in Europa besonders darauf freuen, die Datensets zu kombinieren, um neue Services anbieten zu können", sagt der Eumetsat-Chef.

Die neue Zeitreihe an Blitzdaten, die nun startet, soll gemeinsam mit weiteren Atmosphäreninformationen auch der Klimawandelforschung neue Impulse geben. "Wir hoffen, dass sich mit der Zeit Trends ableiten lassen, die uns Einblicke in die Atmosphärendynamik geben", sagt Evans. Bleibt zu hoffen, dass sich in den nächsten Jahrzehnten nicht erneut eine Vervielfachung der Blitzaktivität beobachten lässt. (Alois Pumhösel, 4.7.2023)