Ein Roboter, der Zeitung liest
Dieses Bild wurde mit der KI Midjourney erstellt. Der Prompt lautete: "illustration of a friendly looking robot, presenting newspapers, looking at the camera. --ar 3:2"
Midjourney/Der Standard

Liebe Mitmenschen,

ChatGPT wird Ihnen vermutlich nicht fremd sein, sonst würden Sie diesen Newsletter wohl nicht lesen. Vergangene Woche sorgte nun eine Nachricht für Aufsehen: Nachdem OpenAIs frei zugängliches KI-Tool Anfang des Jahres die Welt im Sturm erobert hatte, sind die Zugriffe von Mai auf Juni laut dem Traffic-Analysten Similarweb um rund zehn Prozent eingebrochen. Zudem deutet sich an, dass die Nutzungszeit pro Besuch nachlässt, so die Analysten. Chatbots wie dieser hätten nun die schwierige Aufgabe, nach einem anfänglichen Hype ihren wahren Nutzen zu beweisen.

Gleichzeitig muss die Situation differenziert betrachtet werden. Denn weltweit verzeichnet ChatGPT seit März anhaltend mehr Visits als Microsofts Suchmaschine bing.com – und das, obwohl diese ebenfalls einen KI-Chatbot enthält, der im Gegensatz zu Googles Bard auch in der EU verfügbar ist. Hinzu kommt Open AIs wirtschaftliche Perspektive, denn auch für das kostenlos verfügbare ChatGPT fallen Servergebühren an, die durchaus happig sind: 700.000 Dollar pro Tag sollen es laut einer Schätzung von Ende April sein. Warum nimmt OpenAIs CEO Sam Altman diese Kosten auf sich? Weil ChatGPT eigentlich ein Sprungbrett ist, um Businesskunden für die kostenpflichtige Nutzung seiner GPT-Modelle zu gewinnen. Und hier sieht es besser aus: Der Traffic auf platform.openai.com ist von Mai auf Juni um 3,1 Prozent gestiegen.

Neue Spielzeuge

Damit einher geht, dass weiterhin neue Tools und Anwendungsfälle das Licht der Welt erblicken. So mehreren sich Listen der besten KI-Tools für die Musikproduktion und der nützlichsten KI-Werkzeuge für die Videoerstellung, und mit rows.com wurde in sozialen Medien zuletzt eine KI-Alternative zu Microsofts Excel propagiert – ein Tool, auf das vielleicht so manche politische Partei einen Blick haben sollte.

Auch soll es möglich sein, dass KIs innerhalb weniger Stunden komplexe Prozessoren gestalten. Noch in diesem Jahr soll mit dem "Humane AI Pin" ein smarter Anstecker erscheinen, der Erinnerungen an den Kommunikator aus "Star Trek" weckt. Und Eric Schmidt, ehemaliger CEO von Google, prognostizierte vergangene Woche in einem Gastbeitrag für Technology Review enorme Auswirkungen von KI auf die Wissenschaft, die unser aller Leben beeinflussen sollen – etwa im Bereich der Wetterprognosen in Zeiten der Klimakrise. 

Daten, Daten, Daten

Apropos Google: Der Konzern mit den unschuldig wirkenden bunten Buchstaben sorgte diese Woche erneut für Aufsehen, weil im großen Stil Daten im World Wide Web gesammelt wurden, um damit die eigenen Tools zu trainieren – darunter den eigenen KI-Bot Bard, aber auch zum Beispiel Google Translate. Solche Vorgehensweisen dürften im Kontext bestehender (DSGVO) als auch künftiger (AI Act) EU-Gesetze noch spannend werden. Doch keine Sorge, liebe Big Techs, ihr bekommt Schützenhilfe aus Europa: immerhin haben erst diese Woche über 150 hiesige Großkonzerne vor einer zu ambitionierten KI-Regulierung gewarnt. Sie fürchten wie so oft um Europas Wettbewerbsfähigkeit.

Zum Fürchten sind schließlich auch die noch immer kursierenden Horrorszenarien, dass eine KI die Menschheit eines Tages auslöschen könnte – oder zumindest, dass sie tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringt. Diesen Fragen widmete sich diese Woche Medienmanager Veit Dengler in einem Gastbeitrag für den STANDARD. Sarah Spiekermann, Leiterin des Instituts für IS & Society an der Wirtschaftsuniversität Wien, verfasste in ihrem STANDARD-Blog "Die ethische Maschine" gleich mehrere Beiträge zu diesem Thema. Und Altman? Der warnt erneut vor der "Entmachtung der Menschheit" durch eine "KI-Superintelligenz" und stellt bei OpenAI ein Team zusammen, das sich dieser Thematik widmen soll. In Ordnung, das ist ja nicht verboten – auch wenn er sich vielleicht gerade eher akuteren Themen widmen sollte.

In dem Sinne: Bleiben Sie menschlich, und bleiben Sie uns gewogen,

herzlichst,

Stefan Mey / Ressortleiter Web