Schon die ersten Aufnahmen, die im Juli 2022 veröffentlicht wurden, ließen am Potenzial des James-Webb-Weltraumteleskops keine Zweifel. Sie zeigten Galaxien, Nebel und Sterne in nie gesehenem Detailreichtum. Gleichzeitig lieferten sie atemberaubende Einblicke in die Geschichte des Universums: Webb beobachtet im Infrarotbereich und kann viel weiter in die Vergangenheit zurückblicken als andere Teleskope. Forschende wollen mit Webb, das 100-mal empfindlicher ist als sein Vorgänger Hubble, 13,5 Milliarden Jahre in die Vergangenheit zurückschauen und nach dem Licht der ersten Sterne suchen, die nach dem Urknall entstanden sind.

James Webb Weltraumteleskop
Das James-Webb-Weltraumteleskop startete im Dezember 2021 ins All und reiste 1,5 Millionen Kilometer, um möglichst ungestört von Sonne und Erde beobachten zu können. Es ist das bislang größte und leistungsstärkste Teleskop im All. Mit seinem 6,5-Meter-Primärspiegel ist Webb 100-mal empfindlicher als sein Vorgänger Hubble.
AP/Nasa

Ein Jahr nach den ersten Veröffentlichungen liegt eine Fülle an spektakulären Aufnahmen und wissenschaftlichen Daten vor. Das Weltraumteleskop kann die turbulente Entstehung neuer Sterne und Planeten deutlich besser sichtbar machen, als es bisher möglich war. Im Infrarotbereich lassen sich Regionen beobachten, die für uns im Verborgenen liegen, weil sie sich inmitten von Gas- und Staubwolken befinden.

Das erste Webb-Forschungsjahr brachte bereits zahlreiche Entdeckungen und wissenschaftliche Veröffentlichungen mit sich – und stellte kosmologische Theorien infrage: So erspähte das Teleskop mehrere Galaxien aus der Frühzeit des Universums, die bereits viel mehr Sterne beherbergten, als in dieser Phase zu erwarten wäre. Kürzlich enthüllten Webb-Daten das älteste je entdeckte supermassereiche Schwarze Loch, das bereits 570 Millionen Jahre nach dem Urknall entstand.

James Webb Weltraumteleskop
Einer kosmischen Sanduhr gleich erscheint ein Nachwuchsstern in einer dichten Materiewolke, die Webb vor einigen Monaten festhielt. Der Stern, eingebettet in Gas und Staub, ist erst 100.000 Jahre alt. Umgeben wird er von einer protoplanetaren Scheibe – hier werden künftig auch Planeten entstehen. So ähnlich könnte auch die Entstehung unseres Sonnensystems ausgesehen haben.
APA/AFP/ESA, NASA, CSA, STScI/HA

Das Teleskop hat auch das Zeug dazu, die Exoplanetenforschung revolutionieren. Webbs Instrumente können die Atmosphären ferner Planeten untersuchen und nach Molekülen Ausschau halten, die Aufschlüsse über die Bedingungen auf diesen Welten geben. Vielleicht, so hoffen Forschende, lassen sich auch Hinweise auf biologische Aktivitäten finden. Im Frühjahr gelang es erstmals, mithilfe des Teleskops Rückschlüsse auf die Temperatur auf einem erdähnlichen Planeten rund 40 Lichtjahre von uns entfernt zu bestimmen. Vor wenigen Wochen entdeckten Forschende mithilfe von Webb einen Baustein für die Entstehung von Leben in einem jungen Planetensystem: 

Orionnebel, James Webb Weltraumteleskop
In einem neu entstehenden Planetensystem rund 1.350 Lichtjahre von uns entfernt im Orionnebel stieß Webb auf das Kohlenwasserstoffmolekül CH3+, das als Baustein für die Entstehung von Leben, wie wir es kennen, gilt. Der Orionnebel ist eine der aktivsten Sternenwiegen in unserer Nachbarschaft und könnte ähnliche Bedingungen aufweisen wie die Umgebung, in der einst unser Sonnensystem entstanden ist. Durch die Beobachtung im Infrarot konnte Webb den Staubschleier lichten und viele neue Details enthüllen.
ESA/Webb/NASA/CSA/M. Zamani

Wie überwältigend schön ein Sternentod sein kann, hielt das Webb-Weltraumteleskop im Südlichen Ringnebel NGC 3132 fest. Die Gaswolke um den Stern, der etwa 2.000 Lichtjahre von uns entfernt ist, breitet sich mit einem Tempo von 15 Kilometern pro Sekunde aus.

James Webb Weltraumteleskop, NGC 3132
Die hellen Punkte im Hintergrund sind keine Sterne, sondern ferne Galaxien.
APA/AFP/NASA/HANDOUT

Nicht minder faszinierend sind Webbs Aufnahmen von Gebieten, in denen neue Sterne entstehen. Der Tarantelnebel im Sternbild Schwertfisch ist die größte Sternengeburtsstätte in der näheren Umgebung der Milchstraße. Das Webb-Teleskop konnte die interstellaren Staubwolken dieser Formation durchdringen und den bisher besten Blick auf die helle, heiße Sternenfabrik freilegen.

James Webb Weltraumteleskop, Tarantelnebel
ImZentrum dieser Aufnahme des Tarantelnebels strahlen bläulich massereiche Jungsterne, die Gas und Staub aus ihrer Umgebung weggefegt haben. Umgeben wird diese gigantische Blase von dichten Materiewolken, in denen ebenfalls neue Sterne entstehen.
Nasa/Esa/CSA/STScI

Dass das neue Weltraumteleskop nicht nur grandiose Aufnahmen aus den Tiefen des Alls liefern kann, beweisen atemberaubende Aufnahmen einiger Planeten des Sonnensystems. Alle vier Gasplaneten hat das Teleskop inzwischen ins Visier genommen. Dieses Bild zeigt Jupiter in fulminanter Schönheit, die Qualität der Daten übertraf alle Erwartungen.

James Webb Weltraumteleskop, Jupiter
Prominent zu sehen sind Jupiters Polarlichter und der berühmte Große Rote Fleck, der in dieser Aufnahme weiß erscheint, weil die dichten, hohen Wolken des Wirbelsturms das Sonnenlicht reflektieren.
Nasa / Esa / CSA / Jupiter ERS Team / Schmidt

Vor wenigen Wochen wurde diese Saturnaufnahme veröffentlicht. Der Ringplanet wurde mit der sogenannten Nircam des Teleskops aufgenommen, die im Nah-Infrarotbereich beobachtet. Dadurch erscheint der Saturn dunkel, verantwortlich dafür ist das Methan in Saturns Atmosphäre, das Sonnenlicht absorbiert. Die methanfreien Ringe leuchten dagegen hell.

James Webb Weltraumteleskop, Saturn
Die Saturnatmosphäre besteht überwiegend aus Wasserstoff und Helium, beinhaltet aber auch andere Gase wie Methan und Ammoniak. Die majestätischen Ringe bestehen aus unzähligen Gesteins- und Eisbrocken verschiedenster Größe.
NASA/Esa/CSA/JWST Saturn Team

Mit Stephans Quintett nahm das James-Webb-Weltraumteleskop eine berühmte "tanzende" Galaxiengruppe in den Blick, deren Zusammenspiel Fachleute schon seit langem fasziniert: Vier der fünf Galaxien, die etwa 290 Millionen Lichtjahre von uns entfernt im Sternbild Pegasus liegen, ziehen einander gegenseitig an, verformen sich und könnten dereinst miteinander verschmelzen. Benannt ist das tanzende Quintett nach dem französischen Astronomen Édouard Jean-Marie Stephan, der es 1877 als Erster entdeckte. 

James Webb Weltraumteleskop, Stephans Quintett
Benannt ist das tanzende Quintett nach dem französischen Astronomen Édouard Jean-Marie Stephan, der es 1877 als Erster entdeckte.
Nasa/Esa/CSA/STScI

Wie ein kosmisches Wagenrad oder ein Schneckenhaus mutet dieses seltene Objekt an, das aus der Kollision zweier Galaxien hervorging. Dabei entstanden zwei Ringe, die sich fortwährend ausdehnen: Der helle innere Ring besteht hauptsächlich aus heißer Materie, der äußere aus Sternenansammlungen. Als sehr unbeständig bezeichnen Fachleute den aktuellen Zustand dieser rund 500 Millionen Lichtjahre von uns entfernten Wagenrad-Galaxie. Sie wird sich weiter verändern. 

James Webb Weltraumteleskop
Als sehr unbeständig bezeichnen Fachleute den aktuellen Zustand dieser rund 500 Millionen Lichtjahre von uns entfernten Wagenrad-Galaxie. Sie wird sich weiter verändern.
Nasa/Esa/CSA/STScI

An eine Kirschblüte erinnert dieses Spektakel, das vom nahenden Ende eines besonders hellen und massereichen Sterns kündet. WR 124 hat etwa die 30-fache Masse unserer Sonne, doch er stößt unaufhaltsam seine Hülle ab.

James Webb Weltraumteleskop, WR 124
Das James-Webb-Weltraumteleskop hielt das seltene Schauspiel fest: Sternenwinde aus Gas und Staub, die in der Aufnahme in altrosa Färbung erscheinen, lassen den gut 15.000 Lichtjahre entfernten Stern scheinbar prächtig aufblühen. In Wahrheit ist es aber eher ein Verwelken, der Stern hat bereits das Zehnfache der Sonnenmasse abgestoßen. Am Ende wird sein Kern freigelegt sein und in einer Supernova explodieren.
Nasa / Esa / CSA / STScI / Webb Ero Team

Der wissenschaftliche Andrang auf das Webb-Teleskop ist enorm. Für ein Forschungsziel und Beobachtungszeit kann sich jeder bewerben, die Auswahl nach wissenschaftlicher Relevanz erfolgt durch ein Peer-Review-Gremium. Auch für das zweite Forschungsjahr mangelte es nicht an Anträgen, wie die Nasa im Frühjahr mitteilte: 1.600 Bewerbungen von 5.450 Forschenden aus insgesamt 52 Ländern sind eingegangen. 249 Projekte wurden bewilligt.

Ein Mangel an neuen Veröffentlichungen zeichnet sich nicht ab, im Gegenteil. Webb hat sich erst aufgewärmt – im übertragenen Sinne: Denn seine Instrumente müssen extrem gekühlt werden, um gut zu funktionieren. Jenes zur Beobachtung im mittleren Infrarotbereich funktioniert am besten bei -266 Grad Celsius. (David Rennert, 9.7.2023)