Schriftsteller Ludwig Laher ist Mitglied des Rates für deutsche Rechtschreibung. In seinem Gastkommentar wundert er sich über die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die sich auf dieses Gremium in der Gender-Debatte beruft. 

Johanna Mikl-Leitner wird nicht müde, sich in Sachen geschlechtergerechte Sprache auf den Rat für deutsche Rechtschreibung zu berufen. Als dienstältestes österreichisches Mitglied dieses Gremiums möchte ich daher dessen grundsätzliche Positionierungen dazu erläutern. Die Schlussfolgerungen im Hinblick auf den Beitrag der niederösterreichischen Landeshauptfrau im STANDARD weise ich hingegen als meine Privatmeinung aus.

Eingesetzt vor bald 20 Jahren, nicht zuletzt, um die von heftigen Debatten begleitete Orthografiereform der Jahrtausendwende zu evaluieren und, wo nötig, begründeter Kritik Rechnung zu tragen, zeichnet sich der Rat durch sprachnutzerfreundliche Prinzipien aus. Während die umstrittene Reform präskriptiv angelegt war und neue Regeln auch gegen Wortakzent und Semantik einführte, setzt der Auftrag der staatlichen Stellen an den Rat in erster Linie auf die Beobachtung der Schreibentwicklung, die zu Anpassungen führen kann. Mit gesellschaftlichen Anliegen hat das kaum je zu tun.

Gendern Sprache
Wie man etwas sagt: Die Linie der niederösterreichischen Landeshauptfrau in Sachen Gendern erntet viel Kritik.
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Anders sieht es mit der schriftlichen Repräsentanz verschiedener Geschlechtsidentitäten aus. Für den Rat steht außer Zweifel, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll. Dies zu leisten sieht er in erster Linie als gesellschaftspolitische Aufgabe. Die entsprechende Erklärung des Rates listet konkurrierende Schreibformen (Asterisk, Unterstrich oder Doppelpunkt) auf, mit deren Hilfe versucht wird, dieses Ziel zu erreichen, und hält fest, keine davon zu diesem Zeitpunkt ins Amtliche Regelwerk aufnehmen zu wollen. Dafür liefert er Begründungen.

Rechtliche Zweifel

Der Rat bezweifelt außerdem, dass es rechtlich gedeckt ist, wenn Hochschulen solche Formen gegenderter Schreibung zur Verpflichtung machen und Lehrende beauftragen, das bei der Bewertung von Arbeiten in Rechnung zu stellen. Umgekehrt sagt er nichts dazu, wenn Verwaltung und Rechtspflege das für sie an sich gültige Amtliche Regelwerk in bestimmten Fällen ergänzen wollen. Dazu fehlt ihm auch die Kompetenz.

Landeshauptfrau Mikl-Leitner würdigt 2021 den "Leitfaden geschlechtergerechtes Formulieren" des Arbeitskreises Gender-Mainstreaming in der NÖ-Landesverwaltung mit einem Vorwort. Darin hält sie fest: "Neben der Gleichstellung von Frauen und Männern rückt zunehmend das Recht der Menschen auf den selbstbestimmten Ausdruck der Geschlechtsidentität (Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention) in den Blickpunkt. Dies schlägt sich auch in der Sprache nieder. Zurzeit finden wir dazu verschiedene Formulierungsweisen. Es gibt jedoch keine verbindlichen Regelungen z. B. in der amtlichen deutschen Rechtschreibung." Die Empfehlungen dieses Leitfadens beinhalten klare Parteinahmen auch für Schreibweisen, die eine Neuprägung darstellen. So wird für Stellenausschreibungen, Presseartikel, Internetauftritte, Infobroschüren oder Tourismusprospekte ausdrücklich das Binnen-I vorgeschlagen.

Schlechter Stil

Daran will Mikl-Leitner offenbar in der neuen Regierungskonstellation nicht erinnert werden. In ihrem Kommentar ist nur noch von Doppelformen (Schülerinnen und Schüler) als richtige Art des Genderns die Rede. Sie selbst verzichtet im Fließtext freilich durchgehend darauf und geißelt die Empörungsspezialisten (sic!) von rechts und links. Die Landeshauptfrau versteht sich dabei selbst als Anwältin der normal denkenden Mitte, des normal denkenden Menschen. Diese Formulierung wiederholt sie mehrfach, sie zieht sich durch den gesamten Artikel, und sie ist gefährlich.

Andersdenkende indirekt als abnormal zu qualifizieren, sie automatisch den politischen Rändern zuzuordnen, ist nicht nur schlechter Stil, sondern leugnet zudem die Tatsache, dass die mit dem Gendern verbundenen Herausforderungen eben nicht durch schlichte pragmatische Regelungen, die in Wahrheit keine sind, gelöst werden können.

Schon gar nicht ist es statthaft, den Rat für deutsche Rechtschreibung als Unterstützer für eine solche Haltung ins Boot zu holen. Der ist sich nämlich der Komplexität des Problems bewusst (zum Beispiel Lesbarkeit versus Abbildung von Identität). 2021 verweist Mikl-Leitner ja selbst noch auf den selbstbestimmten Ausdruck der Geschlechtsidentität als Bestandteil der Menschenrechtskonvention. Transpersonen etwa, die sich in der Sache engagieren, werden von einem Teil der sogenannten normal Denkenden bis zum heutigen Tag ohnehin als abnormal angesehen, Mikl-Leitners Diktion bestätigt sie zusätzlich. (Ludwig Laher, 7.7.2023)