"Wir müssen feststellen, dass das Asylsystem der EU kaputt ist, nicht funktioniert", so Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Freitag bei seinem Treffen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić. Nach Budapest im Oktober und Belgrad im November war am Freitag Wien der Schauplatz des sogenannten Migration Summit. Auch die Außen- und Innenminister sowie die Polizeispitzen der drei Länder nahmen an den Gesprächen im Bundeskanzleramt teil.

Video: Nehammer empfängt Orbán und Vučić zu Migrations-Gipfel
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Zusammen mit Ungarn und Serbien habe Österreich die "Asylbremse" deutlich angezogen, so Nehammer. Die polizeiliche Kooperation zwischen den drei Ländern sei gut, nun solle ein Übereinkommen unterzeichnet werden, um organisierte Schlepperkriminalität einzudämmen. "Das geht nur gemeinsam, das geht nur, wenn man bereit ist, auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten", so der Bundeskanzler.

Neue Taskforce

In dem am Freitag unterzeichneten "Memorandum of Understanding" einigen sich die drei Länder unter anderem darauf, eine neue Taskforce zu gründen, um gemeinsam den Grenzschutz zu verbessern. Dieser können weitere Staaten beitreten. Eine weitere Taskforce soll die Hintermänner der Schleppernetzwerke bekämpfen. 

Nehammer erklärte, dass die Polizeibehörden der drei künftig noch enger zusammenarbeiten sollen, um auch die Hintermänner der Schleppernetzwerke ins Visier nehmen zu können. Man sei jetzt schon erfolgreich und habe hunderte Schlepper festnehmen können. 

Man schütze Europa vor dem Migrationsdruck, schloss sich Orbán in der gemeinsamen Pressekonferenz an. Ohne Ungarn und Serbien gäbe es in Österreich und der EU hunderttausende Migranten mehr. Durch den Krieg in der Ukraine und die "verkehrsreiche Migrantenroute" im Süden seines Landes befinde sich Ungarn in einer besonderen Lage. "Wenn wir unsere Pflicht nicht täten, wären Sie in großer Sorge", so Orbán. Ohne ein Asylverfahren dürfe niemand ungarischen Boden betreten, dieses "Ungarische Modell" sollten sich auch andere EU-Staaten zunutze machen. Die verschärften Asylregeln inklusive Verteilungsquoten, auf die sich die EU im Juni geeinigt hatte, wies er indes zurück. "Wir werden rechtliche und politische Mittel finden, um uns dagegen zu wehren."

Auch Serbiens Präsident Aleksandar Vučić sah die Reduktion der Asylzahlen als Verdienst der drei Staaten. "Ich freue mich, dass wir zu einer weiteren Stabilität Europas beigetragen haben."

Die Behauptung Viktor Orbáns, dass Migranten aufgrund der ungarischen Maßnahmen nicht nach Österreich gelangen, wies Nehammer aber zum Schluss der Pressekonferenz zurück. "Bis zu 80 Prozent der Migranten kommen über Ungarn nach Österreich. Deshalb hat Ungarn 45 Asylanträge und wir 109.000. Das System funktioniert nicht. Wir arbeiten daran, dass es besser wird."

Start unter Protesten

Der Gipfel war unter lautstarken Protesten gestartet. Nehammer begrüßte Orbán und Vučić am Vormittag unter "Shame on you"-Rufen und Pfiffen von Demonstranten und Schaulustigen am Ballhausplatz. Der Bundeskanzler hatte für seine beiden Gäste den roten Teppich ausgerollt und auch ein Spalier mit Gardesoldaten beim Eingang des Kanzleramts postiert. Etwa ein Dutzend Aktivistinnen der NGOs SOS Balkanroute und Omas gegen Rechts hielt vom äußersten Rand des Platzes mit "Schleich di"-Rufen an die Adresse von Orbán und Vučić dagegen. Sie betonten zugleich, dass Flüchtlinge willkommen seien und "kein Mensch illegal". Für Heiterkeit sorgte ein Schmähruf in Richtung des "ungewählten" Kanzlers ("Nehammer, du Gangster, bald bist du weg vom Fenster").

Nehammer Vucic Orban
Aleksandar Vučić,Karl Nehammerund Viktor Orbán (von links) beim Treffen in Wien.
AP/Heinz-Peter Bader

Die Stoßrichtung des Gipfels war schon im Vorfeld klar: Nehammer hatte erklärt, man wolle mit den beiden Partnerländern den Kampf gegen irreguläre Migration intensivieren und sich dabei vor allem auf den Außengrenzschutz konzentrieren. Seit Ende Dezember sind österreichische Polizeikräfte im Rahmen der Operation Fox in Ungarn gemeinsam mit den dortigen Beamtinnen und Beamten im Einsatz gegen Schlepper und irreguläre Migration.

Budapest stellt sich quer

"Solange die EU hier nicht ausreichend eingreift, müssen wir uns selbst helfen", sagte der Bundeskanzler. Bemerkenswert hierbei: Anfang Juni einigte sich die EU auf verschärfte Asylregeln, etwa Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen. Und wer stellt sich hier quer? Budapest. 

Die dritte Ausgabe des Treffens sorgte vorab für massive Kritik in Österreich, vor allem von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, aber auch von der SPÖ oder gar vom grünen Koalitionspartner. Sie wiesen darauf hin, dass sowohl Orbán als auch Vučić massive Attacken gegen Demokratie und Menschenrechte vorgeworfen werden. 

Außerdem erklärten sie, und das bestätigen Experten sowie diverse Statistiken, dass die Hauptroute nach Österreich weiterhin über Serbien und Ungarn verläuft. Vor allem Ungarn nimmt kaum Asylanträge an und lässt die Menschen stattdessen nach Österreich weiterziehen. FPÖ-Chef Herbert Kickl rief Nehammer hingegen auf, er solle "nicht nur mit Viktor Orbán reden, sondern wie Viktor Orbán auch gegen die illegale Masseneinwanderung handeln".

Visafreiheit aufgehoben

Als großen Erfolg der ersten beiden Treffen im vergangenen Jahr verkauft Nehammer, dass Serbien die Visafreiheit für Staaten wie Indien, Burundi oder Tunesien beendet hat, nachdem verstärkt Menschen aus diesen Ländern über die Westbalkanroute in die EU gekommen sind. Ob das aber allein Österreichs Verdienst ist, ist fraglich, schließlich hatten zuvor schon die EU und größere EU-Staaten wie Deutschland massiven Druck auf Belgrad ausgeübt, hier etwas zu ändern. 

Für Spannungen zwischen Budapest und Wien sorgte außerdem im Mai die Entscheidung Ungarns, hunderte verurteilte Schlepper vorzeitig aus der Haft zu entlassen. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) sagte damals: "Wir wollen volle Aufklärung, weil wir halten das für ein völlig falsches Signal." Die Regierung in Budapest gab der EU dafür die Schuld. Ungarn habe diese Entscheidung treffen müssen, weil die EU keinen Beitrag zu den Kosten des Grenzschutzes leiste, Ungarn jedoch zugleich mit Überlastung seiner Gefängnisse bestrafe, hieß es. (Kim Son Hoang, Ricarda Opis, APA, 7.7.2023)