Impulstanz
Impulstanz-Eröffnung: ,,Celebration 23" mit der Aufführung "More Than Naked - 10th Anniversary" von Doris Uhlich.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Kann das sein? Im Jahr 1983 hat ein Krügerl Bier im Vergleich zu heute nur 45 Cent gekostet. Daran erinnerte Dirk Stermann beim Eröffnungsspektakel der diesjährigen Impulstanz-Ausgabe im Haupthof des Museumsquartiers – und überhaupt an die Zeit vor vierzig Jahren, als das Festival gegründet wurde. Der zeitgenössische Tanz war noch gar nicht populär. Die Wiener Festwochen zum Beispiel hatten 1983 das Moskauer Bolschoi-Ballett zu Gast: Schwanensee und Romeo und Julia.

Was also wäre passiert, wenn Doris Uhlich damals ihre Gruppe unter dem Motto More than naked vor mehr als 5000 Leuten hätte auftreten lassen? Also, eine größere Sensation als heute wär’s auf jeden Fall gewesen. Mit einiger Sittenwächterei alter Schule wäre wohl zu rechnen gewesen, und der ORF hätte vielleicht einen Club 2 zum Thema Tanz und Nacktheit gesendet.

Doch die Achtziger standen unter dem Zeichen eines Aufbruchs, der Wien aus dem Muff der Nachkriegsjahre katapultierte und zu einer offeneren Stadt gemacht hat. Es war eine gute Zeit, und heute ist einiges besser. Bei der Celebration ’23 im milden Schwinden des Donnerstageslichts bestimmte entspanntes Dabeisein das dichte Gedränge. Viel Jugend, freundliches Securitypersonal, kein großes Saufen.

Der dänische Künstler Esben Weile Kjær zeigte eine Auskoppelung seiner Performance Burn!, die am Samstag noch zweimal im Mumok zu sehen sein wird. Als Feuerwehrleute verkleidete Performer wälzten sich auf der großen Freiluftbühne und duschten in hohen Funkenfontänen. Bevor Doris Uhlichs 27 weibliche, queere und männliche Tänzerinnen und Performer sowie solche mit Rollstühlen, alle ganz verschiedenen Alters, loslegten, ließen Staatssekretärin Andrea Mayer, Stadträtin Veronica Kaup-Hasler und Stermann das Festival hochleben.

Gigantischer Safe Space

Intendant Karl Regensburger rief den Geist des an Corona verstorbenen Impulstanz-Mitgründers Ismael Ivo (1955–2021) an, von der Wand des Leopold-Museums schaute Egon Schiele aus einer Werbeprojektion. Nichts war zu spüren von unserer Krisengegenwart mit ihren vergleichsweise astronomischen Bierpreisen. Das Museumsquartier wirkte wie ein Safe Space, das Publikum dankte – wohl auch dafür – mit Jubel und Applaus.

Von der Stiege zum Mumok aus wirkte der Teppich aus Köpfen, als wäre er aus einem sanft wogenden, weichen Stoff gewoben. Uhlichs temperamentvolle und abwechslungsreiche Show kam ohne übertriebene Anfeuerungshektik aus, auch dann, als Esben Weile Kjærs Funkengeysire auch hier noch einmal eingesetzt und die Körper auf der Bühne in tiefrotes Licht getaucht wurden. In der MQ-Halle G ist Uhlichs 2013 erstaufgeführte Erfolgsproduktion More than Naked in ihrer Theaterversion von Samstag bis Montag insgesamt viermal zu sehen. Eine weitere österreichische Arbeit bei Impulstanz kommt übrigens ab Sonntag als Uraufführung auf die Bühne des Burgtheaters: Living in funny eternity_L.I.F.E. von Chris Harings Ensemble Liquid Loft mit der Noise-Rock-Band Bulbul. (Helmut Ploebst, 7.7.2023)